Wer tagelang mit seinem Reisegepäck auf dem Rücken durch Island gewandert ist, die Berge hoch bis an die Schneegrenze gestiegen, vorbei an natürlichen heißen Quellen, um dann wieder ins grüne Tal zu laufen, der freut sich darauf, den 14-Kilo-Rucksack mal absetzen zu können. Und am liebsten stehen zu lassen.

Das macht man dann auch, zum Beispiel an den bei den Isländern sehr beliebten Tankstellen. Gerade in kleinen Orten sind sie der zentrale Treffpunkt. Für den Busverkehr ebenso wie für den Einkauf - etwa von Eis oder Hot Dogs. Obwohl hier reges Treiben herrscht, kann jeder sein Gepäck stehen lassen, ohne sich Sorgen zu machen. Manche Touristen deponieren es sogar für mehrere Tage in einer Ecke. Kein Problem, die Sachen rührt keiner an.

Vertrauen ist alles

Island ist das sicherste Land Europas. Das weiß auch Sigridur Eysteinsdottir. Sie lebt in der Hauptstadt Reykjavik. Nach der Schule hat die heute 36-Jährige als Au-Pair in Hamburg gearbeitet, später noch einige Zeit in Deutschland verbracht. "Als ich aus Deutschland wiederkam, war ich selbst kurz überrascht, dass die Isländer nichts abschließen", sagt Eysteinsdottir. Weder die Haustüren noch die Autos. Gerade in den kleinen Orten werden die Wagen selbst dann nicht abgeschlossen, wenn darin Kreditkarten herumliegen.

288.000 Einwohner hat das nordische Land (zum Vergleich: Allein in Berlin leben 3,4 Millionen Menschen). Für deren Sicherheit sorgen gerade mal 600 Polizisten. Die Hälfte davon arbeitet in Reykjavik und Umland, denn dort leben etwa 180.000 Isländer. Polizisten tragen hier keine Waffe mit sich. Sie müssen sie sich ohnehin fast nur mit Autounfällen, Geschwindigkeitsüberschreitungen und Alkohol am Steuer beschäftigen.

Kriminalität gibt es zwar – aber das ist eher eine High-Tech-Kriminalität. Via Internet buchen sich Hacker Geld aufs eigene Konto. Geschieht tatsächlich mal ein Banküberfall, findet ein so genannter "Wikingereinsatz" statt – das sind bewaffnete Polizisten. Island hat übrigens keine eigene Armee. Dafür stellt das kleine Land den USA aber einen Militärstützpunkt zur Verfügung und es ist NATO-Mitglied.

Außerhalb von Reykjavik in den kleinen, verstreuten Ortschaften der Insel sind die Polizeichefs wegen Beschäftigungslosigkeit mehr als nur für die Sicherheit zuständig. Sie können zum Beispiel Ehen schließen und wieder scheiden. Verbrechen gibt es kaum: Schließlich kennt hier jeder jeden. Da würde man den Täter ohnehin schnell fassen.

Gewalttätig ist nur die Natur

Ohne Auto sind die Menschen in Island meist aufgeschmissen. Gut zu Fuß ist auch Rúnar Valsson, Polizist in Vopnafjördur. "Wir haben seit 12 Tagen keinen Polizeiwagen mehr in der Stadt", sagt er. Das einzige Polizeiauto von Vopnafjördur ist defekt und wurde zur Reparatur in die Hauptstadt gebracht. Das werde noch dauern, haben ihm die Kollegen in Reykjavik gesagt. Ein anderes Polizeiauto für die Übergangszeit gibt es nicht. Sollte Valsson nun einen Notruf erhalten, muss er zu Fuß gehen. "Wenn etwas auf dem Land passieren sollte, bin ich darauf angewiesen, dass mich Leute mitnehmen", sagt Rúnar Valsson. "Oder ich werde sehr lange brauchen, bis ich am Einsatzort bin."

Mitgenommen werden Fußgänger immer. Die Isländer helfen gerne, schließlich ist man aufeinander angewiesen. Gewalttätig ist hier vor allem die Natur. Das Wetter kann blitzschnell umschlagen, Sturm und Gewitter bringen. Doch gerade, weil jeder jedem hilft, ist es auch ein heimeliges Land. "Island ist ein gutes Training für alle, die das Vertrauen in die Menschheit verloren haben", sagt eine Touristin, die seit zehn Jahren immer wieder nach Island kommt. Die Menschen sind sehr selbstbewusst - auch die Kinder haben so gut wie keine Angst. Es sei denn, es werden ihnen die Eddas, die gruseligen isländischen Märchen, vorgelesen.

Alva Gehrmann schreibt als freie Autorin für verschiedene Zeitungen. Sie lebt in Berlin.