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Von der App in den Mund

Als Meme-Food gehen Lebensmittel auf TikTok viral. Immer mehr Internetstars nutzen diese Dynamik und bringen Eistees oder Schokoriegel auf den Markt. Was hat das für Folgen?

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Im Frühjahr 2021 wurde in den USA in manchen Läden der Fetakäse knapp. Grund dafür war ein TikTok-Rezept für eine Pastasoße aus Kirschtomaten und eben Feta. Es ging viral und sammelte Millionen von Views, viele weitere Varianten folgten, und der Verkauf des Käses wurde so stark angeschoben, dass es kurzzeitig zu Lieferproblemen kam. Die Feta-Pasta war ein Meme-Food geworden.

Meme-Food, das sind Lebensmittel, Getränke, Zubereitungsmethoden oder Zutaten, die sich in sozialen Netzwerken viral verbreiten. Immer mehr Menschen wollen mitmachen und kaufen die entsprechenden Produkte. Sie versetzen Trinkwasser mit verschiedenen Sirups, trinken „Dalgona-Kaffee“ – ein aufgeschlagener Instantkaffee – oder essen eine Orange in der Dusche. Was absurd klingt, ist nur eine kleine Auswahl von TikTok-Meme-Food-Trends der letzten Jahre, von denen Menschen jenseits der Videoplattform vermutlich so gut wie nichts mitbekommen haben – bis sie dann auf einmal in die Realität schwappen. Wie 2014 in Japan: Nachdem von Kohle schwarz gefärbte Lebensmittel die Timelines in den sozialen Medien fluteten, präsentierte auch Burger King ein schwarzes Hamburgerbrötchen.

So hat das Internet wachsenden Einfluss auf die Produkte in unseren Warenkörben und die Gerichte auf unseren Tellern. Und weil Meme-Food zum Verkaufsfaktor werden kann, ist es auch für Unternehmen interessant: Lebensmittelkonzerne bezahlen viel Geld, um ihren Produkten in den sozialen Medien zu einem viralen Erfolg zu verhelfen. Dass ein Produkt zum Meme wird, ist aber alles andere als garantiert. Es bleibt immer ein wenig ein Glücksspiel, dessen Erfolg auch davon abhängt, wie gut Werbeagenturen ihre Internetzielgruppe kennen und deren Lebensgefühl treffen.

Wer seine Zielgruppe meistens ziemlich gut kennt, sind die Internetstars selbst. Entsprechend sind immer mehr von ihnen nicht bloß Werbeträger für fremde Marken, sondern versuchen, ihre Popularität mit eigenen Produkten zu Geld zu machen. Das ist an sich auch nicht so neu, schon seit längerem verkaufen Influencer*innen und Youtube-Stars ihr eigenes Merch, etwa Mode, Kosmetika, Dekoartikel und auch Bücher.

Nun lassen sie auch immer häufiger Lebensmittel oder Getränke produzieren und vertreiben sie selbst – was oft ziemlich erfolgreich läuft. Die Youtuber Logan Paul und KSI brachten die Sport- und Energydrink-Marke „Prime“ auf den Markt, mit der sie im Jahr 2022 über 250 Millionen Dollar umgesetzt haben – so viel, dass sie sich in diesem Februar einen der teuren Super-Bowl-Werbeplätze leisten konnten. Auch der aktuell weltweit erfolgreichste Youtuber, MrBeast, hat eine eigene Schokoriegel-Marke namens „Feastables“, die sich in den ersten 72 Stunden nach Verkaufsbeginn  mehr als eine Millionen Mal verkauft haben.

Und auch Musik- und Medienstars springen auf den Zug auf: In Deutschland gibt es allein vier verschiedene Eisteesorten, die unter dem Namen der Rapper Capital Bra, Shirin David, Bushido und Haftbefehl verkauft werden. Capital Bra und Haftbefehl haben außerdem eigene Tiefkühlpizzen. Der „BraTee“ von Capital Bra hat sich seit seiner Markteinführung 2021 schon 80 Millionen Mal verkauft, seine Tiefkühlpizza mehr als 9,5 Millionen Mal.

Auf klassische Werbung sind die Internet-Stars so wenig angewiesen wie auf Algorithmen. Sie erreichen ihre Fans direkt

Schokolade, Zuckergetränke und Tiefkühlpizzen: Gerade Internetstars mit jüngerer Zielgruppe holen ihre Fans und Follower*innen mit Produkten ab, die man gemütlich vorm Bildschirm essen und trinken kann und die oft alles andere als gesund sind. Der „Prime“-Drink steht unter anderem für seinen Vitamin-A-Gehalt in der Kritik, der über dem maximal empfohlenen Tagesbedarf von Kindern liegt. Auch der Koffeingehalt liegt deutlich über dem der meisten anderen Energydrinks.

Durch die direkte Ansprache auf den eigenen Kanälen sind die Influencer*innen dabei nicht auf klassische Vermarktungswege wie Anzeigen oder Fernsehwerbung angewiesen. Dabei zahlt sich doppelt aus, dass sie sich bereits eine breite Basis an Fans und Follower*innen – beziehungsweise Kundschaft – aufgebaut haben, die ihnen auf den sozialen Medien folgt. Denn so sind sie nicht von den Timeline-Algorithmen der Plattformen abhängig und erzielen von Anfang an eine große Sichtbarkeit und Reichweite. Und im (marketingtechnischen) Idealfall verknüpfen sie ihre eigenen Produkte mit den Themen ihrer Internetprofile.

Die Schokoriegel von MrBeast etwa sind durch ihre Zutaten besonders für Menschen mit Morbus Crohn geeignet, eine Krankheit, die der Youtuber selbst hat und von der er in seinen Videos hin und wieder erzählt. Das Sportgetränk „Prime“ passt wiederum perfekt zu den Inhalten von KSI und Logan Paul, die auf Youtube unter anderem an Amateurboxkämpfen teilnahmen und dort lange für eine wechselseitige Fehde bekannt waren. Ihre „Prime“-Kooperation verkündeten sie in einem Livestream, der von vielen in Erwartung eines weiteren Kampfes der beiden angeklickt wurde. Bei der Vermarktung folgen sie der Internetlogik, dass durch ständige neue und übertriebene Aktionen Aufmerksamkeit erzeugt wird. So kippt Logan Paul in einem viralen Stunt dem Basejumper Johnni DiJulius das Sportgetränk in den Mund, während der an den Kufen seines Helikopters hängt

Auch MrBeast setzt bei der Vermarktung seiner „Feastables“ auf diese Logik. So bat er im März 2023 seine Twitter-Follower*innen, die Supermarktauslagen seiner Schokoriegel-Marke aufzuräumen. Zahlreiche Fans folgten seinem Aufruf und teilten im Anschluss Bilder der von ihnen ansprechend sortierten Regalabschnitte. Ein Beispiel, das zeigt, dass für Internetstars und Influencer*innen ganz eigene Regeln gelten, wenn es um den Vertrieb und Verkauf ihrer Produkte geht.

Je größer und engagierter die Internetcommunity der Stars ist und je gigantischer und aberwitziger ihre Marketingaktionen, desto mehr Produkte verkaufen sie. Im für sie besten Fall wird das Produkt selbst zum Meme-Food und zum viralen Trend, wie etwa bei „Prime“. Immer mehr Fans teilten ihren Enthusiasmus für das neue Getränk mit eigenen Videos, Vorfreude und Sichtbarkeit stiegen, und all das führte dazu, dass die Getränke bei ihrer Markteinführung in den USA binnen weniger Stunden ausverkauft waren. Oder, dass es Ende 2022 zu tumultartigen Szenen in britischen Aldi-Filialen kam, bei denen Kund*innen schon mal in die Truhe mit den „Prime“-Flaschen sprangen.

Viele Nutzer*innen sozialer Medien haben das Bedürfnis, selbst an viralen Momenten teilzuhaben, und wenn das bedeutet, sich im Geschäft um die Flasche eines mittelmäßigen Sportgetränks zu streiten. Was auch zeigt, wie wichtig ein kritisches Bewusstsein dafür ist, wie virale Hypes in sozialen Medien entstehen und angefeuert werden und wie diese sich dann ganz analog in den Supermärkten und Lieferketten auswirken. Denn nur so kann man sich bewusst dafür entscheiden, bei welchen Meme-Food-Trends man mitmacht – und welche Waren man lieber (unaufgeräumt) in den Regalen liegen lässt.

Illustrationen: Renke Brandt

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.