1. Investoren benötigen Sicherheit:

Bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise in der Europäischen Währungsunion spielt die Senkung der Defizite in den öffentlichen Haushalten der Mitgliedsstaaten eine zentrale Rolle. Die von der Krise am stärksten betroffenen Staaten senken ihre Ausgaben und erhöhen zusätzlich Steuern, um die ausufernde Verschuldung unter Kontrolle zu bringen und die Investoren an den internationalen Kapitalmärkten davon zu überzeugen, dass ihr Geld sicher angelegt ist.

Gleichzeitig befinden sich diese Staaten in einer tiefen Rezession. Die Wirtschaft schrumpft, und die Arbeitslosigkeit steigt. Deshalb werden nun Forderungen lauter, den Sparkurs aufzugeben und wieder höhere Defizite im Staatshaushalt in Kauf zu nehmen. Durch höhere Staatsausgaben oder Steuersenkungen soll die Nachfrage stabilisiert und die Rezession beendet werden. Die Staatsverschuldung soll erst dann abgebaut werden, wenn die Wirtschaft sich wieder erholt hat. Ein solcher Kurswechsel ist allerdings aus mehreren Gründen fragwürdig.

2. Die Menschen geben nicht unbedingt mehr aus, wenn sie mehr Geld haben:

Erstens ist es keineswegs sicher, dass die Nachfrage wirklich zunimmt, wenn der Staat mehr Geld ausgibt oder Steuern senkt. Bisherige Erfahrungen zeigen: In Situationen, in denen die Staatsverschuldung bereits sehr hoch ist, sorgen weitere Schulden bei Konsumenten und Investoren für weitere Verunsicherung, weil sie wissen, dass der Staat irgendwann seine Defizite abbauen muss. Höhere Schulden heute bedeuten also höhere Steuern morgen. Daher schränken viele ihre Ausgaben ein und sparen lieber.

3. Die Zinsen in den Ländern verhindern den Aufschwung:

Zweitens besteht die Gefahr, dass eine neuerliche Ausweitung der Verschuldung die Zinsen auf Staatsschulden ansteigen lässt. Es kann auch dazu kommen, dass die Banken in den Krisenstaaten höhere Zinsen zahlen müssen, um sich zu refinanzieren, weil die Bonität der Banken stark von der finanziellen Lage der Staaten abhängt, in denen sie ihren Sitz haben. Das liegt daran, dass Banken, wenn sie in finanzielle Schwierigkeiten geraten, davon abhängig sind, von ihren Regierungen finanzielle Unterstützung zu erhalten. Steigende Finanzierungskosten für Banken würden bedeuten, dass sich Kredite für Unternehmen und Konsumenten ebenfalls verteuern. Auch das würde zu einem Rückgang der privaten Nachfrage führen, was den positiven Konjunktureffekt höherer Staatsnachfrage zunichtemachen könnte.

Kreditfinanzierte staatliche Konjunkturprogramme können dann sinnvoll sein, wenn es einen vorübergehenden wirtschaftlichen Einbruch gibt, Staatsausgaben und Staatseinnahmen aber auf lange Sicht ausgeglichen sind. Die hoch verschuldeten Volkswirtschaften in Südeuropa sind aber eindeutig überschuldet – sie haben über ihre Verhältnisse gelebt. Kein Weg führt daran vorbei, den Gürtel dauerhaft enger zu schnallen.

4. Die Löhne in vielen Ländern sind zu hoch:

Die hohe Verschuldung ist nicht das einzige Problem. Hinzu kommt, dass Löhne und Preise in Südeuropa infolge des kreditfinanzierten Wirtschaftsbooms vor der Krise so weit angestiegen sind, dass die Unternehmen in diesen Ländern nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Damit die Wirtschaft sich erholen kann, müssen Löhne und Preise sinken. Diese Anpassung kann verzögert werden, wenn der Staat kreditfinanzierte Konjunkturprogramme auflegt.

Außerdem könnten einige der Krisenstaaten in Europa sich nur dann höher verschulden, wenn andere Staaten für sie bürgen. Damit müssten die Steuerzahler anderer Staaten zusätzliche Risiken auf sich nehmen. Schon heute sind hohe Kredite und Bürgschaften für die Krisenstaaten bereitgestellt worden. Zu einer weiteren Ausdehnung werden die Steuerzahler in Staaten wie Deutschland kaum bereit sein. Dadurch, dass die Staaten im Norden der Währungsunion zunehmend zu Gläubigern der Krisenstaaten im Süden werden, entsteht außerdem Potenzial für politische Konflikte. Es ist absehbar, dass die Schuldnerstaaten über kurz oder lang einen Schuldenerlass fordern werden. Die Steuerzahler in den Gläubigerstaaten würden dann Verluste erleiden. Deshalb wäre es nicht nur aus ökonomischen, sondern auch aus politischen Gründen falsch, den finanzpolitischen Sparkurs in Europa aufzugeben.

Clemens Fuest ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sowie Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium der Finanzen.