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„Mama, Papa, Hip-Hop“

Vor 50 Jahren erfanden Jugendliche auf einer Party in der Bronx den Hip-Hop. Wenig später sah ein kleiner Junge in Minden zum ersten Mal einen Breakdancer. Was ist seitdem passiert? Deutschrap-Legende Curse blickt zurück

  • 5 Min.
Michael Curse Kurth

Am 11. August 1973 schmissen die Geschwister Cindy und Clive Campbell eine Party in der Bronx. Als DJ Kool Herc wurde Clive später zur Legende. Genau wie ihre Party, die Geburtsstunde eines Phänomens: Hip-Hop.

Zum Hip-Hop gehören DJing, Breakdance, Graffiti und natürlich Rap. Heute, fünfzig Jahre nach der legendären Blockparty der Campbells, ist er längst die größte Jugendkultur der Welt. Rapper*innen dominieren die Charts, DJs das Nachtleben, Streetart wird für Millionen gehandelt. Gleichzeitig gibt kein anderes Genre im Pop, das den Marginalisierten mehr Sichtbarkeit und Gehör gabWofür stand Hip-Hop, was zeichnet ihn heute aus? Hat sein Siegeszug ihn blutleerer, auch unpolitischer werden lassen? Zum Fünfzigsten fragen wir zwei Generationen: Die Frankfurterin LIZ. Und Deutschrap-Veteran Curse.

Im ostwestfälischen Minden aufgewachsen, arbeitet Curse heute als systemischer Coach, Autor und Podcaster. Er ist aber seit dreißig Jahren aktiver Teil der deutschen Hip-Hop-Landschaft. Er hat sieben Alben releast (gerade arbeitet er am achten), sein Debüt „Feuerwasser“ gilt bis heute als Klassiker: Da waren anspruchsvolle Lyrics, und eine Raptechnik, die deutsche Texte amerikanisch klingen und fließen ließ, was damals völlig neu war.

fluter.de: Curse, erzähl mal: Wo und wie hast du Hip-Hop kennengelernt?

Curse: Schon im Kindergarten, echt jetzt, das war ’82 oder ’83. Unter meinen Erziehern war ein Zivi aus Berlin. Der war Breakdancer und hat uns Kids in der Mittagspause Electric Boogie vorgetanzt. Kurz später habe ich einen Auftritt der Fat Boys im TV gesehen. Und die Neue Deutsche Welle schwappte durchs Land. Die hat mich früh für deutsche Texte und Wortspiele sensibilisiert. Als Kind habe ich das alles nicht zusammengebracht, ich kannte ja noch nicht mal den Begriff „Hip-Hop“. Aber es hat mich extrem fasziniert.

New Generation

Auch LIZ gratuliert der Musik ihres Lebens – ist aber schockiert, wie sich Rap entwickelt

Zu der Zeit waren die vier Hip-Hop-Elemente DJing, Graffiti, Breakdance und Rap noch ähnlich beliebt und relevant. Wie war das in den 90ern, als du dann aktiver Teil der Szene wurdest?

Als ich auf die ersten Jams gegangen bin, zog Rap gerade an den anderen Elementen vorbei. Die Rap-Acts standen schon ganz oben auf den Flyern. Aber die Jams waren noch gestaffelt: nachmittags wurde gebreakt und gesprüht, abends fingen die Konzerte an, auf denen aufgelegt und gerappt wurde. In New York hatte sich Rap zu der Zeit schon komplett abgesetzt. Da gab es keine Jams mehr, auf denen alle vier Elemente zelebriert wurden.

Gerade in den Anfangsjahren stand Hip-Hop für politischen Einspruch marginalisierter Gruppen aus den Sozialbaublocks der Bronx. Er war sowas wie der Soundtrack zum Protest.

Dieser rebellische Geist hat mich komplett angefixt. Anfangs war das eher ein Feeling, weil ich die englischen Raptexte nicht verstanden habe. Als ich mich intensiver damit beschäftigte, hat sich eine komplett neue Welt eröffnet. Ich wollte mich bestmöglich bilden, hab die Biografien von Martin Luther King und Malcolm X gelesen und die Filme von Spike Lee inhaliert. Ich war kein Schwarzer Mensch in den USA und auch keine Person of Colour in Deutschland, aber Hip-Hop konnte ich auf mein Leben übertragen: Als Kunstform, die es ermöglicht, auf Missstände hinzuweisen und aus einer Anonymität heraus die eigene Geschichte zu erzählen. Diesen Spirit finde ich bis heute das Krasseste: Du lebst im letzten Dorf, bist der Welt scheißegal und hast trotzdem die Möglichkeit, dich auszudrücken und für Menschen zu sprechen, die nicht gehört werden. Das ist noch kein politischer oder sozialkritischer Akt. Aber irgendwann hört dir vielleicht jemand zu. Und dann hast du eine Plattform.

Ende der 90er-Jahre hast du selbst erste Musik veröffentlicht. Da waren Hip-Hop und insbesondere Rap in Deutschland mit Advanced Chemistry oder dem Rödelheim Hartreim Projekt schon etabliert. Hattest du damals das Gefühl, Teil einer neuen Generation zu sein, die sich von der ersten abhebt?

In Generationen wurde damals nicht gedacht. Ich hatte Respekt vor allem, was in der Landschaft bis dato passiert war. Aber natürlich wollten wir manches anders machen. Vielleicht habe ich mich einfach als Teil einer nächsten Generation begriffen …

… die was wollte?

Neue, freshe Sachen machen, in den Sounds und in den Texten. Ich wollte, dass Rap auf Deutsch genauso flowt wie NAS oder Souls of Mischief. Es gab schon eine aktive Szene, auch tiefgründige Texte. Aber eben noch keine Songs auf internationalem Niveau. Samy Deluxe, Kool Savas und Azad haben zeitgleich angefangen. Die hatten anderswo in der Republik denselben Anspruch, obwohl wir uns damals noch gar nicht kannten.

Die Szene war überschaubar. Heute ist das anders. Hast du das Gefühl, dass es überhaupt noch eine Hip-Hop-Szene gibt?

Heute ist es eher ein Kosmos. Hip-Hop ist ein Phänomen, das Menschen überall verbindet. So ein globales Movement trifft sich natürlich nicht zum Headspin machen in einem Mindener Hinterhof. Der Geist der 90er ist uns wohl verloren gegangen. Leider. Andererseits existiert heute, wovon wir früher geträumt und wofür wir den Scheiß gemacht haben.

„Damals waren die Texte viel allgemeiner, selbst die der politischsten MC’s. Wir mussten Gesellschaftskritik richtig verpacken, es gab weniger Raum dafür“

Ist denn was übergeblieben vom Geist der frühen Tage? Wird im Deutschrap noch politisch getextet?

Durch den kommerziellen Erfolg, durch die Annäherung an den Pop, haben sich Themenschwerpunkte und Sounds verschoben. Entertainment ist in den Vordergrund gerückt. Und heute muss man vielleicht länger nach sozialkritischen Lyrics suchen, weil das Angebot an Rapmusik viel größer ist. Aber politischen Rap gibt es natürlich nach wie vor. Und ganz ehrlich: So explizit wie ein Disarstar hat damals niemand über Ungleichheit gerappt, ein OG Keemo schreibt wesentlich komplexer als die großen Lyricists der 90er. Damals waren die Texte, selbst die der politischsten MC’s, viel allgemeiner. Wir mussten Gesellschaftskritik damals anders formulieren, sie richtig verpacken: Es gab einfach weniger Raum, weniger Verständnis, weniger Sensibilität.

In deinem Song „Zehn Rap Gesetze“ aus 2000 heißt es: „Du musst Hip Hop lieben, als wärst Du immer nur Fan geblieben.“ Ist dir das gelungen?

Zu einhundert Prozent. Die Zeile löst immer noch am meisten bei mir aus, wenn ich den Song auf der Bühne performe. Ich verfolge Hip-Hop immer noch. Ich kriege längst nicht mehr alle Protagonist*innen mit, aber es gibt ja auch sau viele. Viele Acts spiegeln meine Lebensrealität nicht, aber aus MC-Perspektive kann ich die verstehen und wertschätzen. Ich feiere, dass deutscher Rap heute so divers ist: Für jede Stimmung und Situation gibt es einen passenden Sound.

Die Gefahr ist natürlich, dass es durch die Flut an Musik schwieriger wird, sie zu durchdringen.

Stimmt. Früher gab es zehn relevante Alben pro Jahr, die man sich sehr intensiv angehört hat. Heute wird Musik anders konsumiert und dadurch auch anders gemacht. Deshalb wird sie stellenweise etwas oberflächlicher und orientiert sich mehr an Hypes.

Hip-Hop feiert seinen Fünfzigsten. Was ist seine größte Leistung? Und was wünschst du ihm für die nächsten fünfzig Jahre?

Ich darf doch pathetisch werden? Hip-Hop hat seine eigene Prophezeiung erfüllt: From Nothing to Something. Oder, mehr noch: From Nothing to Everything. Ich habe im letzten Kaff am Ende der Welt 2Pac-Graffitis gesehen. Ich wünsche Hip-Hop, dass er in den nächsten fünfzig Jahren möglichst vielen so viel Energie, Message und Community gibt wie mir. Für mich war Hip-Hop immer sowas wie mein dritter Elternteil. Mama, Papa, Hip-Hop.

Titelbild: Wolfgang H. Wögerer - CC BY-SA 3.0

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.