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Die Gamingbranche ist noch immer männlich dominiert, und das merkt man vielen Spielen an. Die Gründerinnen von „Fein Games“ wollen es anders und vielfältiger machen

  • 7 Min.
Finding Hannah

„Finding Hannah“ beginnt mit einem Wimmelbild. Ein überladener Schreibtisch, ein Buch über Existenzialismus und ein Zettel: „Call Oma!“

Das Game erzählt von Dilemmata am Arbeitsplatz und den Konflikten verschiedener Frauengenerationen. Da ist eine Mutter, die sich, angesteckt durch die Hippie-Bewegung, wenig um die Tochter und viel um sich selbst gekümmert hat. Eine Großmutter, die für die Familie alles auf sich zu nehmen scheint. Und die Protagonistin Hannah, die sich selbst sucht. „Ein feministisches Spiel“, sagt Lea Schönfelder, eine der beiden Entwicklerinnen des Games. „Hannah ist total lost“, sagt Franziska Zeiner, die andere. Es gehe um Freiheit, die Autonomie sein kann, aber auch eine Bürde. 

Schönfelder hat Animation studiert, Zeiner Game Design. 2020 haben sie zusammen das unabhängige Gaming-Studio „Fein Games“ gegründet. Jetzt sitzen beide in Zeiners Wohnzimmer in Berlin und zeigen Episoden aus „Finding Hannah“, ihrem ersten Spiel, mit dem sie gleich von einer Jury für den „Apple Design Award 2023“ in der Kategorie „Inklusivität“ nominiert wurden.

Zwei Frauen, die ein Studio gründen und ein preisverdächtiges Spiel entwickeln. Ein Spiel, in dem drei Frauen die Protagonistinnen sind. In der Gamesbranche ist das nach wie vor ungewöhnlich – obwohl fast die Hälfte aller Spieler:innen weiblich ist.

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Zwei Frauen sitzen auf einem Sofa (Foto: Fein Games)
Franziska Zeiner und Lea Schönfelder von Fein Games (Foto: Fein Games)

Die männliche Perspektive dominiert 

Viele erfolgreiche Spiele würden sich männlich anfühlen, erzählen Schönfelder und Zeiner. Weil sie von Themen wie Krieg und Gewalt erzählen, von Konflikten, Sieg und Triumph. Weil sie Frauenfiguren oft als bloße Dekoration zeigen oder sexualisieren würden. Weil sich die Perspektive der Produzierenden auf die Games übertrage. Und es sind eben immer noch mehr Männer, die Spiele entwickeln und entscheiden, was entwickelt wird. Lauteiner globalen Studie der IGDA (International Game Developers Association) arbeiten im Game Design 30 Prozent Frauen (und 8 Prozent Nichtbinäre). Die Zahl steigt seit Jahren langsam an.

Manche in der Branche sehen die männliche Perspektive der Spiele nicht oder finden sie egal, sagen Schönfelder und Zeiner, andere verteidigen sie harsch. Die beiden erzählen von Anita Sarkeesian. Die Gamekritikerin hatte vor zehn Jahren eine YouTube-Reihe zur Darstellung von Frauen in Games gestartet – und bekam daraufhin Mord- und Vergewaltigungsdrohungen. Aus der Debatte wurde eine regelrechte Kampagne gegen Aktivistinnen und Gamerinnen. Unter dem Hashtag „Gamergate“ starteten männliche Gamer auf verschiedenen Internetplattformen 2014 eine frauenfeindliche Hasskampagne gegen die feministische Bewegung in der Videospielszene. Immerhin sei seit dieser „Gamergate-Kontroverse“ mehr über den strukturellen Sexismus in der Gamesbranche diskutiert worden, sagen die „Fein Games“-Gründerinnen. #MeToo habe die Gamesindustrie erreicht.

Finding Hannah
Von der Spielmechanik her ist „Finding Hannah“ ein Wimmelbild-Suchspiel. Es sind die Schauplätze …

Seitdem posten auf X/Twitter häufiger Betroffene über ihre Erfahrungen mit Gender Gaps und sexueller Gewalt in Gamingstudios. 2019 legten Mitarbeitende von Riot Games den laut Medienberichten größten Streik in der Geschichte der Videospielbranche hin, als sie vor dem Studio gegen die ungleiche Bezahlung und „bro culture“ im Umgang mit Sexismus und sexueller Belästigung protestierten. Aber es gibt Möglichkeiten für Frauen, sich zu organisieren. Und die werden auch genutzt. Zum Beispiel bei der NGO „Women in Games“, die die Interessen von Frauen in der Industrie vertritt und versucht, ihnen den Weg in die Branche zu erleichtern. Frauen wie die ehemalige Riot-Games-Designdirektorin Christina Norman, die „Assassin’s Creed“-Produzentin Jade Raymond oder Gaming-Influencerinnen wie Pokimane oder Valkyrae machen das selbstverständlicher. Die Branche wird weiblicher. Aber es dauert.

Schönfelder und Zeiner hätten damals bei der Gründung keine weiblichen Vorbilder gehabt, erzählen sie. „Wir waren Außenseiterinnen“, sagt Schönfelder. Eine Zeit lang warb das Studio mit dem Slogan „Spiele von Frauen für Frauen“. Davon wollten beide weg: Gleichberechtigung sollte längst normal sein, sie sollte nicht betont werden müssen.

Schwierige Branche für Frauen

In Computerspielen wird sie immer noch oft verhindert. Nicht nur durch die Handlung und Charaktere, sagt Schönfelder, sondern auch durch die Arbeitsbedingungen. Unbezahlte Überstunden und tagfüllende Crunch Times vor dem Release neuer Titel galten lange als normal. Die Studios machten sich die Attraktivität der Branche zunutze: Seinen vermeintlichen Traumjob macht man auch für wenig Lohn. Daten der britischen Regierung zeigen dazu einen Pay Gap zwischen den Geschlechtern. Den gebe es auch zwischen den Berufen. „Programmierer verdienen teils doppelt so viel wie Artists, die immer noch öfter weiblich sind“, sagt Zeiner.

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Finding Hannah
… und die Hintergrundgeschichte, die den Unterschied machen

Bei „Fein Games“ haben sie sich deshalb vorgenommen, „disziplinunabhängig“ zu zahlen. Und das Studio hat die 32,5-Stunden-Woche als Standard festgelegt. So bleibt mehr Zeit für Kinder oder ein Ehrenamt. Aktuell arbeiten sieben Frauen und zwei Männer im Team. Sie würden gern diverser werden, sagt Zeiner: Bisher ist ihre Perspektive zwar eine mehrheitlich weibliche, aber eben auch eine weiße. Belehren wollen die beiden Gründerinnen aber niemanden. „Fein Games soll Fragen stellen“, sagt Schönfelder. „Hannah stellt sich viele sehr existenzielle Fragen zum Thema Glück und Selbstbestimmung. Diese Fragen richten wir dadurch auch an unsere Spielerinnen, sie sollen zum Nachdenken motiviert werden.“ 

Bald will das Studio sein zweites Game produzieren. Schönfelder und Zeiner suchen noch nach Geld von Publishern und Investoren. Es gibt verschiedene Ideen und Prototypen. Aber eine Botschaft aus „Finding Hannah“ soll auch über der nächsten Produktion stehen: Angst sollte kein Faktor sein, wenn man Entscheidungen fällt. Schönfelder und Zeiner suchen nach einem Game, das dem Markt fehlt, nicht nach einem, das die Gaming-Dudes wollen. Und das muss sich am Ende gar nicht unbedingt widersprechen. 

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.