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So ist es, ich zu sein: Streetworkerin

Hier erzählt Maren, 32, wie ihr Hund ihr dabei hilft, mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen – und warum sie manchmal für eine Zivilpolizistin gehalten wird

Illustration: Gregory Gilbert-Lodge

Als Streetworkerin bin ich jeden Tag zu Fuß in der Stadt unterwegs und komme locker auf 10.000 Schritte. Meine Zielgruppe ist zwischen 14 und 27 Jahre alt und trifft sich an öffentlichen und halböffentlichen Plätzen. Die Hotspots in Bamberg, der fränkischen Kleinstadt, in der ich arbeite, sind in der Innenstadt: der Busbahnhof oder eine Fußgängerpassage neben einem Rewe-Markt. Meistens hängen Jugendliche an Knotenpunkten ab. Dort, wo man schnell einkaufen gehen kann, wo es gleichzeitig wettergeschützt ist und man sich vielleicht auch verstecken kann.

Als Streetworkerin geht es darum, Beziehungen zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen aufzubauen, um herauszufinden, ob jemand Unterstützung braucht. Große Jugendgruppen sprechen meine beiden Kolleg:innen und ich nicht direkt an. Erst mal beobachten wir. Wenn wir merken, dass sich die gleichen Konstellationen an denselben Orten und mitunter während der Schulzeit treffen, stellen wir uns vor. Wir sagen Hallo und erklären, was wir machen. Ich mache klar, dass wir Schweigepflicht haben und unser Angebot freiwillig ist. Und: dass sie ihr Bier vor uns nicht verstecken müssen.

„Als Streetworkerin geht es auch ums richtige Timing. Ich spreche die Jugendlichen tagsüber an, wenn sie noch offen sind. Ist Alkohol geflossen, ist es meist zu spät“

In meinem Job geht es auch um das richtige Timing. Ich spreche die Jugendlichen tagsüber an, wenn sie noch offen sind. Sobald Alkohol geflossen ist, ist es meist zu spät. Ich würde auch selbst nicht wollen, dass mich jemand anquatscht, wenn ich angetrunken bin und eine gute Zeit mit meinen Freund:innen habe. 

Manchmal haben meine beiden Kolleg:innen und ich Give-aways dabei: Kondome, Aschenbecher oder Sitzkissen. Das erleichtert es uns, ins Gespräch zu kommen. Genau wie meine Hündin Alva, die ich vor viereinhalb Jahren aus Polen adoptiert habe. Manche Adressat:innen, die schon einige Jugendhilfeeinrichtungen durchschritten haben, sind Menschen gegenüber skeptisch. Bei Tieren sind sie unvoreingenommen. Einmal hat sich eine junge Frau auf Alva gelegt und sich auf ihr ausgeweint. Die Bandbreite der Probleme von Jugendlichen ist groß: vom Streit mit Partner:innen über eine fehlende Krankenkassenkarte bis hin zur Verschuldung. Wir unterstützen sie, indem wir gemeinsam Wohngeld beantragen, Jobs suchen oder Beratungsstellen vermitteln. Manchmal hilft einfach auch schon jemand, der zuhört. 

Als ich vor fünf Jahren angefangen habe, dachten Jugendliche gelegentlich, ich sei Zivilpolizistin. Ich entgegnete dann: Schaut mich doch mal an! Ich bin tätowiert, gepierct, zu klein und zu schwer, um Polizistin zu sein. Heute erkennen mich viele von weitem und rufen: „Ey, Maren!“ Manche Adressat:innen sind interessiert, aber zurückhaltend, andere erzählen mir gleich ihre gesamte Lebensgeschichte. Andere drehen sich um und signalisieren, dass sie keine Lust auf mich haben. Ich sage übrigens Adressat:innen und nicht Klient:innen, weil das auf Augenhöhe ist und nicht so klingt, als müssten wir Aufpasser spielen. Unsere Grundhaltung ist, junge Menschen als Expert:innen des eigenen Lebens wahrzunehmen.

Für vertrauliche Gespräche oder Hilfe beim Bewerbungsschreiben kommen Jugendliche gerne zu uns ins Büro, weil sie dort einen Kaffee bekommen und auf bequemen Stühlen sitzen können. Wir arbeiten eng mit der Offenen Jugendarbeit in Bamberg zusammen und teilen uns denselben Träger. Mein Auftraggeber ist die Stadt, mein Arbeitgeber der Verein „Innovative Sozialarbeit“. Nur in seltenen Fällen müssen wir das Jugendamt oder die Polizei hinzuziehen. Grundsätzlich gilt: Wenn es um Kindeswohlgefährdung, Selbstgefährdung oder Fremdverletzung geht, darf ich meine Schweigepflicht brechen. 

„Wir gelten eher als ‚good cop‘. So nehmen uns auch die Eltern der Jugendlichen und jungen Erwachsenen wahr“

Für viele ist das Jugendamt die böse Macht, die über sie hinweg entscheidet. Genau wie die Polizei, mit der viele keine guten Erfahrungen gemacht haben. Wir gelten eher als „good cop“. So nehmen uns auch die Eltern der Jugendlichen und jungen Erwachsenen wahr. Sie sind froh, dass ihr Kind sich von uns helfen lässt.

Mittlerweile arbeite ich seit fünf Jahren als Streetworkerin. Sozialarbeiter:innen, die in anderen Bereichen arbeiten, wissen oft nicht, wie belastend diese Arbeit manchmal sein kann. Manche denken sicherlich: Ach, die machen wieder einen Spaziergang, fahren auf E-Rollern oder sitzen in ihrem bunt bemalten Ford Nugget rum. Es stimmt: Wir treffen nicht immer Jugendliche an, die uns brauchen. Ich war bei einem Straßengang aber auch schon mal Ersthelferin bei einem Suizidversuch.

Ich finde es wichtig, dass man meinen Job als Studienberuf wahrnimmt. Die meisten Streetworker haben, wie ich, Pädagogik oder aber Soziale Arbeit studiert. Während meines Studiums wurde Streetwork nicht genauer thematisiert. In anderen Hochschulen gibt es aber Seminare dazu, die teilweise selbst von Streetworker:innen geführt werden. Ich habe vor der Streetwork drei Jahre als Jugendsozialarbeiterin an einer Schule gearbeitet. Das System Schule war mir dann aber zu eng, und da ich jung und unabhängig war, habe ich mich entschieden, noch mal zu wechseln, bevor ich wieder einen, sagen wir mal: geordneteren Beruf annehme.

Neugierig und interessiert sollte man sein, am besten jung und ein Gespür haben für die Probleme junger Menschen. Die Arbeitszeiten machen den Job nicht besonders sexy: Dienstag bis Samstag. Von Kommunen oder Städten werden außerdem immer mehr Zuschüsse und Stellen gekürzt. Auch wir sind davon betroffen: Aktuell teilen wir uns zu dritt zwei ganze Stellen.

Schon länger gibt es bei uns Diskussionen darüber, ob man den Begriff „Streetwork“ umbenennen sollte in „mobile Jugendsozialarbeit“. Klingt sperrig – aber trifft es in unserem Fall besser, denn ich bin wirklich nur für Jugendliche zuständig. Ich trage bei meiner Arbeit einen Rucksack mit der Aufschrift „Streetwork Bamberg“. Damit an älteren Hilfebedürftigen vorbeizugehen fühlt sich falsch an. In Großstädten geht es bei Streetwork mehr um Einzelhilfe, in der Kleinstadt können wir uns auch für die Interessen der Zielgruppe einsetzen. Zum Beispiel für den Bau eines Skateparks. Neuerdings bieten wir an, kostenlos gemeinsam mit uns ins Fitnessstudio zu gehen und mal so richtig Dampf abzulassen. 

Illustration: Gregory Gilbert-Lodge

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.