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Prostitution in Deutschland verbieten?

Das schwedische Modell, Freier zu bestrafen, möchten viele auch hierzulande eingeführt sehen. Zu Recht?

Prostitution verbieten?

JA: Prostitution strotzt vor Missbrauch

Anreize zum Ausstieg aus der Prostitution sollte es nicht nur für Sexarbeitende geben, findet Christa Roth. Auch eine ganze Gesellschaft könne und müsse sich gegen ein ausbeuterisches Gewerbe stellen

Selbstbestimmt, lustvoll und sicher – so sollte Sex sein. Egal ob im privaten Raum oder gewerblich praktiziert. Bei Letzterem ist das jedoch in den seltensten Fällen gegeben, denn gewerblicher Sex findet in der Regel auf dem Straßenstrich oder im Bordell statt. Teure Hostessendienste werden vergleichsweise selten nachgefragt. Es gibt sie auch entsprechend nicht überall. Aber genau darum geht es: Angebot schafft Nachfrage.

Die meisten Prostituierten liefern sich ihren Freiern aus schierer ökonomischer Not aus

Die Nachfrage nach käuflichem Sex wird keine Justiz der Welt kurzerhand komplett eindämmen können. Doch die Umstände, unter denen das stattfindet, kann eine Gesellschaft durchaus mit Gesetzen und durch ihr Verständnis von Moral und Kultur beeinflussen.

Wird das Kaufen von Sex wie in Schweden unter Strafe gestellt, ist das vor allem eines: ein Fingerzeig, dass hier etwas Ungutes im Gange ist. Denn machen wir uns nichts vor, die meisten Prostituierten liefern sich ihren Freiern aus schierer ökonomischer Not aus. Andere Jobs sind ihnen oft nicht zugänglich oder zu schlecht bezahlt. Kaum jemand prostituiert sich über Jahre hinweg aus Vergnügen oder um schnell an „leichtes“ Geld zu kommen. Wer diesem Märchen glauben will und zugleich den Slogan „Mein Körper gehört mir“ hochhält, ignoriert das schmutzige Geschäft, auf dem Prostitution basiert. Auch wer meint, das Problem mit „geregelter Sexarbeit“ zu lösen, verschließt die Augen vor missbräuchlichen Machtstrukturen, die sich hinter den legalen Scheinwelten etablieren.

Anreize, diesem Gewerbe nachzugehen, das als Menschenhandel bezeichnet werden muss, sollten gar nicht existieren

Zu oft ist käuflicher Sex verbunden mit vielfältigen Formen von Zwang und Unterdrückung. Zwang etwa durch Zuhälter, die es immer geben wird und die in erster Linie am eigenen Profit interessiert sind und erst danach an der Sicherheit „schutzbefohlener“ Sexarbeitender. Unterdrückung findet statt, wenn man einen derart intimen Akt, der jenseits der reproduktiven Dimension schlicht eine positive Selbsterfahrung und -bestätigung bieten soll, immer wieder in einen gänzlich anderen Kontext versetzen muss. Befriedigung ist hier eine Einbahnstraße. Hingabe ein Fremdwort. Jeglicher Ekel muss überwunden oder eben unterdrückt werden, sonst hat die Nummer wenig Aussicht auf Erfolg.

So zu tun, als sei sich „freiwillig“ selbst verkaufen nur eine andere Form des Geldverdienens, ist eine zynische, verächtliche Haltung. Anreize, diesem Gewerbe nachzugehen, das als Menschenhandel bezeichnet werden muss, sollten am besten gar nicht existieren. Sie sind aber nun einmal da. Daher müssen die Hürden, Sex zu kaufen, erhöht werden.

Insofern macht Schweden vieles richtig. Seit 1999 werden Freier (und nicht, wie sonst oft üblich, Prostituierte) per Gesetz zu einer saftigen Geldstrafe oder gar Gefängnis verdonnert. Dieses Damoklesschwert aus Anprangern, Verfolgen und Bestrafen hat immerhin die Straßenprostitution quasi halbiert. Wichtiger als das ist allerdings, dass die Sicht der Schweden auf käuflichen Sex sich inzwischen gewandelt hat. War die gesellschaftliche Stellung von Freiern noch nie eine angesehene, so gilt heute mehr denn je: Wer für Sex bezahlen muss, ist im Grunde ein Loser. Und dazu auch noch kriminell.

Freiern in Erinnerung rufen, dass sie Teil eines verbrecherischen Systems sind

Mit dieser Botschaft wird Freiern in Erinnerung gerufen, dass sie – gewollt oder nicht – Teil eines weithin verbrecherischen Systems sind. Arbeitslosen (und oft migrantischen) Prostituierten andererseits ist damit insofern geholfen, als sie und ihre Probleme wieder sichtbarer werden, sodass es eine gesellschaftliche Debatte geben kann.

Und wir hier? Prostitution ist seit 2002 in Deutschland nicht mehr sittenwidrig, Prostituierte selbst werden aber weiterhin stigmatisiert. Deshalb weiß auch niemand so wirklich genau, wie viele Menschen ihren Körper regelmäßig feilbieten. Zwischen 400.000 und einer Million (überwiegend Frauen), schätzen die bundesdeutsche Hurenorganisation Hydra und andere Branchenkenner wie lokale Anlaufstationen. Ob sich diese Wissenslücke bald schließt, ist fraglich, obwohl sich laut dem neuen deutschen Prostituiertenschutzgesetz Sexarbeitende behördlich melden müssen. Dass mit den dadurch gewonnenen Daten ebenso Missbrauch betrieben werden kann, dafür braucht es nicht viel Fantasie. Von wegen Schutz!

Das neue Gesetz soll den Prostituierten mehr Sicherheit geben: Kondompflicht, jährliche verpflichtende Gesundheitsberatung (Prostituierte unter 21 Jahren: alle sechs Monate) und Mindeststandards für die Bordellausstattung. Mit Regelungen dieser Art gaukeln wir uns aus einer falsch verstandenen liberalen Gesinnung vor, wir könnten aus dem vermeintlich ältesten Gewerbe der Welt ein weniger ausbeuterisches machen. Und falls nicht, tja, dann wird halt ein neues Gesetz zum Erfolg des alten beschlossen – auch wenn sich nichts bessert. Warum gehen wir stattdessen nicht einfach wie die Schweden (oder Norweger oder Isländer) den anderen, genauso denkbaren Weg und kümmern uns darum, dass in Zukunft weniger Leute von ihrem Weg abkommen?

Ab 2006 wohnte Christa Roth ein Jahr lang in der Nähe vom Straßenstrich in der Berliner Kurfürstenstraße, wo es leider gar nicht fürstlich zuging. Hier bestimmten aufdringliche Freier und elende Prostituierte das Bild.

Collagen: Renke Brandt  

NEIN: eine Illegalisierung wäre gefährlich

Ein Sex-Kauf-Verbot würde nur die unsichtbaren Formen der Prostitution zunehmen lassen, befürchtet Luka Lara Charlotte Steffen. Aber selbstverständlich müsse die strukturelle männliche Gewalt thematisisert werden – wie in jedem anderen Bereich der Gesellschaft

Sollten Sexarbeiter*innen nicht die gleichen Rechte haben wie alle anderen Bürger*innen? Das schwedische Modell sieht das leider nicht so vor, es geht nämlich ganz schön gegen das Selbstbestimmungsrecht. Hinter dem Postulat von Geschlechtergerechtigkeit versteckt sich ein stereotypes Verständnis von Prostitution. Für Deutschland sollte diese Verschärfung keine Option sein.

Sexarbeiter*innen werden in einen Opferdiskurs gezwungen, wodurch ihnen das Recht auf Selbstbestimmung aberkannt wird

Das sogenannte Sex-Kauf-Verbot sanktioniert Kunden von sexuellen Diensten. Damit soll sich das Gesetz gegen das System von Prostitution richten, nicht aber gegen die Prostituierten. Hintergrund für den Entschluss ist die Annahme, Prostitution sei immer etwas Verletzendes und keine Person würde freiwillig diese Tätigkeit ausüben.

Puuh, schwierig. Die Gesetzgebung differenziert nämlich nicht zwischen Zwangsprostitution und Menschenhandel oder eben freiwilliger Sexarbeit, wodurch diese als Konsequenz in die Illegalität verschoben wird. Alle Sexarbeiter*innen werden in einen Opferdiskurs gezwungen , wodurch ihnen das Recht auf Autonomie und Selbstbestimmung aberkannt wird. Strukturelle männliche Gewalt innerhalb der Prostitution zu thematisieren und zu sanktionieren ist unabdingbar, genauso wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen. Die gesamte Kundschaft zu kriminalisieren macht an dieser Stelle jedoch wenig Sinn, da so die Gründe verkannt werden, warum Menschen überhaupt in diesem Gewerbe arbeiten. Und da hilft es wenig, dass nur die Freier bestraft werden, denn die Konsequenzen tragen die Sexarbeiter*innen.

Die eigene prekäre ökonomische Situation, mangelnde Alternativen oder Drogenabhängigkeit sind die häufigsten Gründe, diese Arbeit zu verrichten. Ein Verbot bringt aber nicht auf magische Weise einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt und somit einen besseren Job, noch bringt es den Aufenthaltstitel, der für viele migrantische Sexarbeiter*innen absolut notwendig wäre. Stattdessen würde es Stress bedeuten. Stress, weil die Freier Angst vor Sanktionierungen haben müssten. Stress, weil dann immer alles ganz schnell gehen müsste: das heißt weniger Zeit, um zu entscheiden, ob der Freier möglicherweise gefährlich ist oder nicht. Weniger Zeit, um über Geschlechtskrankheiten zu sprechen und Safe-Sex-Praktiken zu verhandeln. Weniger Zeit bedeutet weniger Sicherheit.

Die gesetzliche Klassifizierung in eine „gute“ und eine „schlechte“ Sexualität hat bemerkenswert erzieherische Züge

Das Verbot mag die sichtbarsten Formen von Prostitution verringern, lässt die unsichtbaren allerdings vermutlich enorm zunehmen. Und unsichtbare Dienstleistungen in versteckten Gebieten sind natürlich mit einem viel höheren Gewaltpotenzial verbunden. In Schweden gibt es knapp 20 Jahre nach der Einführung des Gesetzes immer noch Prostitution; es hat eine Standortverlagerung von der Straße in Hinterzimmer und das Internet stattgefunden.

Geht es hier also wirklich um das Wohlergehen von Sexarbeiter*innen oder um eine von oben diktierte Moral? Die gesetzliche Klassifizierung in eine „gute“ und eine „schlechte“ Sexualität hat bemerkenswert erzieherische Züge und eine verstärkte gesellschaftliche Stigmatisierung von Sexarbeiter*innen zur Folge. Ihre Arbeit scheint durch die Gesetzgebung nämlich moralisch ziemlich verwerflich. Fest steht, dass es durch die gesellschaftliche Ächtung schwerer fällt, sexualisierte Gewalt zur Anzeige zu bringen oder einen HIV-Test zu machen. Das Gleiche gilt für den Zugang zu Sozialämtern und dem Justizsystem. Fällt Kunden außerdem tatsächlich Gewalt auf – zum Beispiel zwischen Prostituierten und Freiern –, müssen sie sich gut überlegen, ob sie eine Anzeige aufgeben sollen, da sie selbst mit Sanktionen zu rechnen haben.

Das Sex-Kauf-Verbot ist aber weder ein Mittel gegen Armut noch gegen Diskriminierung

Schon die Einführung des deutschen Prostitutionsschutzgesetzes im vorletzten Jahr wurde von Sexarbeiter*innen scharf kritisiert. Die gesetzlich verpflichtende Anmeldung und Beratung schütze weder Betroffene von Menschenhandel, noch unterstütze sie Sexarbeiter*innen. Stattdessen würden besonders gefährdete Sexarbeiter*innen in die Illegalität gedrängt, wenn sie keine Meldeadresse, Zustellanschrift oder Aufenthaltsgenehmigung vorlegen können. Ein Verbot wird diese Illegalisierung nur ausweiten und lässt gefährliche Schlupflöcher entstehen. Außerdem bestärkt es gesellschaftliche Vorurteile und fällt somit den Personen in den Rücken, deren Situation doch eigentlich verbessert werden sollte!

Sexarbeit ist für die meisten sicherlich keine Arbeit wie jede andere, und Ausstiegswünsche überschatten emanzipatorische Formen. Das Sex-Kauf-Verbot ist aber weder ein Mittel gegen Armut noch gegen Diskriminierung. Wie wäre es mit der Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen und einem erleichterten Arbeitsmarktzugang für Geflüchtete und Migrant*innen? Und generell dem gleichen Lohn für gleiche Arbeit? Der geschlechtsspezifische Entgeltunterschied liegt, unbereinigt, in Deutschland nämlich immer noch bei 21 Prozent.

Luka Lara Charlotte Steffen studiert Regie und arbeitet als freie Journalistin. Für mögliche Verhandlungen eines neuen Gesetzes wünscht sie sich ein starkes Mitspracherecht für Sexarbeiter*innen.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.