Der Feminismus ist zu weiß. Das kritisieren zumindest viele Frauen weltweit, auch in Deutschland. Sie beobachten, dass die Forderungen von Schwarzen Frauen und Frauen of Color zu selten gehört werden – und dass viele weiße Frauen ihre teils unterschiedlichen Lebensrealitäten und Erfahrungen nicht wahrnehmen.
Ein wichtiger Begriff für diese Kritik ist Intersektionalität. Das Konzept erkennt an, dass ein Mensch nicht nur aus einzelnen, sondern vielen verschiedenen Gründen diskriminiert werden kann, die sich überschneiden und gegenseitig verstärken. So hat es eine weiße, gut ausgebildete, gesunde und heterosexuelle Frau möglicherweise leichter als eine Frau, auf die diese Privilegien nicht zutreffen. Damit sich das ändert, fordern diese vier Frauen einen Schwarzen Feminismus.
„Wenn weiße Frauen verstehen, dass Feminismus intersektional gedacht werden muss, marschiere ich wieder bei Demos mit“
Kemi Fatoba arbeitet als Journalistin und hat das Magazin „DADDY“ mitgegründet:
„Dass es Unterschiede zwischen weißen und Schwarzen Frauen gibt, war mir immer bewusst. Aber als ich gesehen habe, wie viele weiße Frauen beim Berliner Women’s March auf die Straße gingen und wie wenige in den Wochen darauf gegen Rassismus protestierten, habe ich verstanden, dass weißer Feminismus nicht für uns gemacht ist. Während Schwarze Männer und Frauen um ihre Grundrechte kämpfen und im Mittelmeer ertrinken, scheinen mir weiße Frauen vor allem daran interessiert, das weiße Patriarchat gegen das weiße Matriarchat auszutauschen.
Während mir weiße Feministinnen vorwerfen, dass ich nur aufgrund des male gaze („männlicher Blick“, der Frauen als Blickobjekte abwertet, Anm. d. Red.) Make-up und High Heels tragen würde, spreche ich mit Schwarzen Feministinnen über ganz andere Dinge. Darüber, dass Schwarze häufig die falschen Medikamente bekommen, weil angenommen wird, dass wir schmerzresistenter sind. Über die hohe Sterberate von Schwarzen Müttern, die nicht ernst genommen werden, wenn sie während der Schwangerschaft Komplikationen erleben. Dass wir von Ärzten exotisiert und angemacht, in der Arbeitswelt tokenisiert (Minderheiten in Symbolpositionen, z.B. die „Quoten-Schwarze“, Anm. d. Red.) und von der Beautybranche ignoriert werden, ist dagegen fast schon banal.
Das Problem ist, dass es – im Gegensatz zu den USA oder Großbritannien – in Deutschland noch keine Daten über Sexismus in Kombination mit Rassismus gibt. Anstatt strukturell etwas zu tun, werden wir weiter gebeten, unsere schlimmsten, traumatischsten Erlebnisse zu erzählen. Damit mag unsere Lebensrealität greifbarer werden, die Diskussion aber bleibt auf einer persönlichen, emotionalen Ebene stecken. Es ist nicht meine Aufgabe, Schwarzen Feminismus zu erklären und für ein weißes Publikum greifbar zu machen. Es gibt genug Betroffenheitsgeschichten. Wenn weiße Frauen verstehen, dass Feminismus intersektional gedacht werden muss, marschiere ich gern wieder bei Demos mit. Bis dahin bin ich damit beschäftigt, mich für die Grundrechte Schwarzer Menschen einzusetzen.“
„Wer Sexismus entgegenwirken will, kann sich nicht nur die Missstände weißer Frauen mit Uniabschluss anschauen“
Josephine Apraku ist Afrikawissenschaftlerin und Mitbegründerin des Instituts für diskriminierungsfreie Bildung:
„Feministische Debatten bestimmen vor allem weiße Akademiker*innen. Also sind ihre Bedürfnisse und Ziele auch stärker vertreten. Wenn wir beispielsweise fordern, dass Frauen im Job nicht zurückstecken müssen, weil sie zu Hause für die Sorgearbeit zuständig sind, übersehen wir gerne, dass das für viele Schwarze Frauen und Frauen of Color schon lange Realität ist. Oder wenn Feminist*innen kollektiv gleichen Lohn für Frauen und Männer fordern und dabei ausblenden, dass es ungleiche Bezahlung nicht nur zwischen Frauen und Männern gibt, sondern auch zwischen weißen und Frauen of Color.
Wer Sexismus entgegenwirken will, kann sich nicht nur die Missstände weißer Frauen mit Uniabschluss anschauen. Es geht um die gleichberechtigte Teilhabe aller. Deswegen ist es wichtig, dass der Feminismus unterschiedliche Perspektiven einnimmt – und dass die, die den öffentlichen Diskurs bestimmen, das Mikrofon auch mal weiterreichen.
Für mich persönlich bedeutet das, intersektionalen Feminismus nicht nur für Cis-Frauen (Frauen, die sich ihrem zugewiesenen weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, Anm. d. Red.) zu denken, sondern auch die Marginalisierung meiner trans*, inter* und nichtbinären Geschwister zu thematisieren und zu reflektieren, wie ich Räume mit ihnen teilen kann.“
„Als Schwarze Frau hast du ohnehin mit rassistischen Vorurteilen, Beleidigungen und Gewalt zu tun, sei dazu mal noch trans!“
Jenner Hendrix tiktokt über Dates, Transidentität und die (manchmal ziemlich weißen) Kommentare ihrer Follower:
„Bei Tiktok erzähle ich aus meinem Alltag, mache Comedy oder tanze zu Musik, die mir gerade gefällt. Manche halten das für banal. Aber ich möchte nicht nur zeigen, wie mein Leben ist, sondern dass es Frauen wie mich überhaupt gibt: Es gibt etliche deutschsprachige Videos über Transmänner, aber wenige über Transfrauen und kaum welche über Schwarze Transfrauen.
Ich bin nicht perfekt und sehe mich nur bedingt als Vorbild. Aber ich möchte zeigen, dass man auch als Schwarze Transfrau seinen Weg gehen kann. So ein Vorbild hat mir als Teenagerin gefehlt. Deshalb berührt es mich total, wenn mir 15-Jährige schreiben, ich habe sie motiviert, selbstbewusster zu sein oder sich zu outen. Ich bekomme aber auch genug negative Nachrichten und habe schon den Eindruck, dass es für mich doppelt so schwer ist: Als Schwarze Frau hast du ohnehin mit rassistischen Vorurteilen, Beleidigungen und Gewalt zu tun, sei dazu mal noch trans! Wir leben im 21 Jahrhundert und viele halten das bis heute für eine Krankheit oder ein Tabu.
Ich bin keine Feministin, aber ich vertrete Standpunkte, die feministisch sind. Zum Beispiel liebe ich meinen Körper, so wie er ist, und kleide mich, wie es mir gefällt. Wenn ich mich im kurzen Kleid filme oder twerke, schreiben manche ‚Du bewegst dich zu männlich‘, ‚Deine Outfits sind zu kurz‘ oder ‚So aufreizend darf eine Frau nicht tanzen‘. Am Anfang hat mich das verunsichert. Es kostet viel Kraft, so viel von sich zu zeigen. Deshalb brauche ich immer wieder mal ein, zwei Tage ohne Videos, um runterzukommen. Aber mir schreibt niemand mehr vor, wie ich auszusehen und was ich zu tun habe. Ich mache mein Ding, allein für die vielen Schwarzen Menschen und People of Color, die zu Hause sitzen und sich nicht trauen, sich zu outen.“
„Mir hat eine Lehrerin gesagt, als Schwarze Frau könne ich keine Schauspielerin werden. Traurig ist: Ich kann heute nachvollziehen, wie sie darauf kam“
Simone Dede Ayivi macht Theater und Performancekunst:
„Das deutsche Theater ist weiß. Und männlich. Ich fühle mich dort nicht repräsentiert. Deshalb wende ich mich in meinen Inszenierungen bewusst an ein Schwarzes Publikum. Wenn ich zum Beispiel ein Stück zu Rassismus mache, möchte ich nicht erklären, was rassistisch ist, oder beweisen müssen, dass es strukturellen Rassismus gibt. Ich will Rassismuserfahrungen direkt mit dem Publikum teilen und verarbeiten.
Eine Schwarze Perspektive zu behalten ist nicht leicht: Die Kulturproduktionen, mit denen ich aufgewachsen bin, was ich in der Schule gelesen und an der Uni gelernt habe, war immer von einem weißen Blick geprägt und Teil eines weißen Kanons. Beim Schultheater hat mir mal eine Lehrerin gesagt, als Schwarze Frau könne ich in Deutschland keine Schauspielerin werden. Sie hatte natürlich kein Recht, mir davon abzuraten. Aber das Traurige ist: Ich kann heute nachvollziehen, wie sie darauf kam. Schon weiße Frauen sind im Theater krass benachteiligt. Es gibt viel mehr Männerrollen, da muss man sich nur die ganzen Stücke von Goethe, Schiller und Shakespeare anschauen, die deutsche Theater rauf und runter spielen. Dazu wird bei einer Schwarzen Julia sofort diskutiert, ob die Rolle ‚so‘ noch glaubwürdig sei. Schwarze Frauen haben es nicht leicht am Theater.
Ich habe mich lange kulturpolitisch engagiert, beispielsweise gegen Blackfacing (Weiße, die sich dunkel schminken, um Personen of Color zu mimen, Anm. d. Red.) in Theaterinszenierungen. Leute, mit denen ich noch vor fünf Jahren gestritten habe, organisieren heute postkoloniale Festivals oder machen sich für mehr Menschen of Color auf deutschen Bühnen stark. Da öffnen sich gerade viele Türen, was toll ist, aber nicht genug: Die Machtverhältnisse haben sich bisher nicht geändert.
Um ein jüngeres Publikum anzusprechen, brauchen die Theater Leute wie uns. Das heißt aber nicht automatisch, dass sie uns respektieren, sobald wir Teil der Ensembles sind. Wenn sie uns nicht mehr brauchen, lassen sie uns wieder fallen. Deshalb reicht es nicht, schnell eine Schwarze Intendantin, eine Schwarze Kulturstaatsministerin oder eine Schwarze Dramaturgin einzustellen. Wir müssen das stark hierarchische System im Theater abschaffen und auf Augenhöhe arbeiten.“
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Katharina Oguntoyes, May Ayim und Dagmar Schultz' „Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte“,
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„Reach Everyone on the Planet …“ – Kimberlé Crenshaw und die Intersektionalität (kostenloser Download auf der Seite der Heinrich-Böll-Stiftung),
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Alice Hasters: „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ oder
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„Odo“ von Dayan Kodua, das Schwarzen Kindern Geschichten erzählt, in denen sie sich und ihre Lebenswelt wiederfinden
Übrigens schreiben wir „Schwarz“ groß, um zu verdeutlichen, dass es keine Eigenschaft oder Hautfarbe ist. Sondern eine politische Selbstbezeichnung von Menschen, deren Erfahrung durch Kolonialismus und Rassismus geprägt ist – so wie das kursive „weiß“ für eine privilegierte Position steht.