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Für einen Abschluss müssen viele Studierende in den USA astronomische Studienkredite aufnehmen – 1,5 Billionen Dollar Schulden haben sich so angehäuft. Wer soll das zahlen?

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Studienkredite, USA

Als Stephen Rogers im vergangenen Jahr die Zusage für einen Studienplatz an der Uni in Berkeley bekommt, muss er zwei Entscheidungen treffen. Beide haben, für sich genommen, weitreichende Folgen für sein Leben. 

Die eine hat mit dem Zeitpunkt zu tun. Ein unsichtbares Virus fegt über die USA hinweg. Im März 2020 weiß niemand, wie lang die Pandemie andauern wird; und niemand kann ihm so richtig sagen, wie das Studium im Herbst aussieht. Wird es vor Ort stattfinden, oder muss es online abgehalten werden?

Die andere Entscheidung, die Stephen Rogers mit der Zusage zu treffen hat, ist eine finanzielle. Er hat einen Bachelorabschluss von einer Universität in Boston, seit fünf Jahren arbeitet er bei einer großen Beratungsfirma in New York. Mit einem MBA, einem Master of Business Administration, von der University of California, Berkeley, eine der angesehensten Universitäten der Welt, will er sein berufliches Profil schärfen. Rogers hat bloß ein Problem: Eigentlich kann er sich so ein Studium nicht leisten. 

Ex-Präsident Obama hat seinen Studienkredit erst mit 44 endgültig getilgt

Ein Jahr MBA in Berkeley, inklusive 70.000 Dollar Studiengebühren, kostet rund 100.000 Dollar. Das sind zurzeit 83.000 Euro. Rogers hat einen Kredit beim Staat aufgenommen, um die Studiengebühren bezahlen zu können. Damit ist er einer von 45 Millionen Menschen in Amerika, die dem Bildungsministerium Geld schulden, um ihre Ausbildung zu finanzieren. Rogers, das sei dazugesagt, heißt gar nicht so. Seinen richtigen Namen würde der 27-Jährige ungern in Verbindung mit seiner finanziellen Lage in der Öffentlichkeit wiederfinden.

Rogers hat bereits für seinen Bachelor einen Kredit aufnehmen müssen. „Das waren ungefähr 25.000 Dollar“, erzählt er heute. Knapp 60 Prozent davon hat er inzwischen abbezahlt. Jeden Monat legt er rund 250 Dollar allein für die Tilgung beiseite. Dieser Weg folgt einer seltsamen inneren Logik: Das teure Studium muss man in den USA absolvieren, um später einmal mehr als der Durchschnittsbürger zu verdienen. Die wenigsten verdienen allerdings gleich so gut, dass sie den Kredit innerhalb kürzester Zeit zurückzahlen könnten. Also stottern sie kleine Beträge ab, während die Zinseszinsen die Gesamtsumme anschwellen lassen. 

Über die Jahrzehnte hat sich so in den Vereinigten Staaten ein Schuldenberg von 1,5 Billionen US-Dollar angehäuft. Zu groß, um ihn jemals abbezahlen zu können, argumentieren Studienverbände, Soziologen und Volkswirte. Selbst Menschen mit guten Jobs und Einfluss brauchen manchmal 15 bis 20 Jahre, bis sie schuldenfrei sind. Barack Obama ist 44, als er 2005 seine letzte Rate überweist. Drei Jahre später wird der Absolvent der Harvard Law School zum 44. Präsidenten der USA gewählt. 

Der Einstieg in den Beruf nach Schule oder Uni ist oft nervenaufreibend genug. Der zusätzliche Stress, große Geldbeträge, die scheinbar nicht kleiner werden wollen, zurückzahlen zu müssen, ist dabei nicht hilfreich. Es gibt haufenweise Studien, wie sich das auf die Studierenden auswirkt: In einer aktuellen Umfrage geben 53 Prozent der Befragten an, dass ihr Studienkredit Depressionen bei ihnen auslöse, neun von zehn plagen Angstgefühle.  

Wird Joe Biden das Dilemma um die Studienkredite lösen? 

Auch Stephen Rogers sagt, dass es nicht immer einfach ist. Nach zwei Jahren MBA erwartet er, rund 130.000 Dollar an Studiengebühren zurückzahlen zu müssen. Während seiner Zeit als Berater in New York hat er etwas Geld gespart, einen festen Nebenjob hat er nicht. Rogers will sich ganz auf die Uni konzentrieren. Es klingt etwas masochistisch, aber seine Entscheidung für das teure Berkeley-Studium sei auf eine Art ein Ansporn: „Ich hatte noch nie so hohe Schulden, und es ist definitiv riskant“, sagt er. „Und natürlich löst das eine Unsicherheit und Beunruhigung in mir aus.“ Er hofft jedoch, dass sein Gehaltsniveau nach dem MBA so hoch ist, dass er den Kredit relativ zügig abbezahlen kann. Sein Plan: einen guten Abschluss machen und dann richtig, richtig hart arbeiten.

Seit der Finanzkrise von 2008 ist der Schuldenberg der US-Amerikaner noch einmal angewachsen. Im Schnitt mussten Studierende 2019 Kredite in Höhe von 33.000 US-Dollar zurückzahlen, rund 20 Prozent mehr als noch 2016. Durch die Pandemie, die die US-Wirtschaft hart getroffen hat, dürfte sich die Situation im Jahr 2020 weiter verschärft haben. Der einzige Ausweg scheint ein allumfassender Schuldenerlass für Studienkredite durch die Politik zu sein.

Im Februar 2021, Joe Biden war vier Wochen vorher vereidigt worden, stand der neue US-Präsident auf einer Bühne bei einer Bürgersprechstunde. Aus dem Publikum kam die Frage, ob er ein bundesweites Programm unterstütze, Studierenden Schulden bis zu 50.000 Dollar zu erlassen, ohne Wenn und Aber. Bidens Antwort fiel eindeutig aus: „Ich werde das nicht tun.“

„Ich verstehe, welche Auswirkungen Schulden haben“, fügte der Präsident hinzu. „Ich bin bereit, 10.000 Dollar abzuschreiben, aber nicht 50.000 Dollar, weil ich nicht glaube, dass ich dazu befugt bin.“ Zurzeit prüfen Experten, ob der Präsident diese Befugnis hätte.

In Deutschland jobben zwei Drittel neben der Uni, denn Bafög allein reicht oft nicht zum Leben. Wie wirkt sich das auf das Studium aus?

Ein Masterstudium ist in den USA der gängige Weg, um sozial aufzusteigen. Die horrenden Studiengebühren und teuren Kredite sind jedoch echte Hindernisse auf dem Weg dahin – vor allem für nichtweiße Familien und Haushalte. Das hat auch damit zu tun, wie staatliche Hochschulen wie Berkeley finanziert werden. Seit den 1970er-Jahren habe sich das Modell nach und nach verändert, erzählt Louise Seamster, die an der University of Iowa zum Thema Schulden und ökonomische Ungleichheit forscht. Ein Großteil der US-Bundesstaaten hätten ihre Ausgaben für Bildung immer weiter heruntergeschraubt, die Unis im Gegenzug Programme zusammengespart und Studiengebühren angehoben: „Die Kosten werden auf die Studierenden umverteilt.“

Coronabedingt läuft die Schuldenspirale gerade ein bisschen langsamer: Die Rückzahlungen von staatlichen Studienkrediten in den USA sind bis Ende September aufgeschoben. Heißt: Stephen Rogers schuldet dem Staat so viel wie vorher, nur muss er momentan keine Raten für seinen MBA-Kredit abstottern. Es ist die kleinstmögliche Entlastung, die ihm zurzeit bleibt.

Mittelfristig, glaubt Louise Seamster, führe aber kein Weg daran vorbei, den Studierenden die Schulden in großem Umfang zu erlassen. Zwar sei dieser Schritt regressiv, weil selbst Wohlhabende, die sich ein Studium leisten können, davon profitierten. Gleichzeitig könne man das Thema Studienkredite aber nicht diskutieren, ohne es aus Sicht von racial inequality zu betrachten, also der ungleichen Verteilung unter verschiedenen ethnischen Bevölkerungsgruppen. 

Für Seamster ist ein Schuldenerlass in erster Linie ein Schritt, die ungleichen Vermögensverhältnisse anzupassen, um nichtweißen US-Amerikanern bessere Aufstiegsmöglichkeiten zu bieten. Danach müsse man allerdings über eine Reform des Systems und dessen Finanzierung diskutieren – ansonsten wachse die Schuldenblase mit der nächsten Generation ins Unermessliche. 

Illustration: Frank Höhne

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.