Man kann auf der Welt vieles für Geld kaufen. Je ärmer die Länder, je zerrütteter die staatlichen Strukturen, desto größer ist meist das Angebot illegal zu erwerbender Dienstleistungen. Ich habe in vielen Ländern gearbeitet, in denen Bestechung und Korruption Alltag sind. Selten stach sie mir so ins Auge wie in Benin, an der Grenze zu Nigeria.

Das erste Mal kam ich 2015 an die Grenze zwischen den beiden westafrikanischen Ländern. Sèmè Kraké heißt der Grenzübergang. Ein dystopisch anmutender Markt, durchzogen von vermüllten Pisten und pechschwarzen Pfützen, umgab ihn. Schweine wühlten im Müll, Männer luden Ananas auf Pick-up-Trucks. An kleinen Ständen wurden Essen, Shampoo oder Motorrad-Ersatzteile verkauft. In den wenigen mehrgeschossigen Steinhäusern boten Händler Fisch und tiefgekühltes Geflügel aus Italien an. 

Je ärmer das Land, je zerrütteter die staatlichen Strukturen... 

Ich war damals dort, weil man hier auch Kinder kaufen konnte. Besser gesagt, man konnte sie hier nach Nigeria schaffen lassen, wo sie dann als Sklaven arbeiten mussten. Dafür mussten selbstverständlich die richtigen Leute geschmiert werden. Allen voran die Polizei, die ich sogleich aufsuchte.

Der Chef der Grenzeinheit residierte in einigen rostigen Frachtcontainern. Von dort kontrollierten seine Männer die zwei Spuren, über die der Grenzverkehr läuft. Im Hintergrund verrottete ein Rohbau. Die EU verfolgte den hehren Plan, eine neue Grenzanlage zu bauen. Niemand konnte hier an der Grenze allerdings sagen, wann mit ihrem Bau begonnen wurde, und noch weniger, wann oder ob er fertiggestellt würde. Das Geld, so schien es, war anderweitig verwendet worden.

Benin gilt als einer der Haupteinfuhrhäfen für Waffen und Drogen in Westafrika. Südamerikanisches Kokain landet nicht selten hier, bevor es auf dem Landweg nach Norden geschafft wird. Auf der Rangliste des Human Development Index der Vereinten Nationen liegt das Land auf dem 167. Platz von 188. Das politische System gilt zwar als stabil und seit der Demokratisierung 1990 hat es mehrere friedliche Wahlen und Machtwechsel gegeben, doch ist politische Korruption in dem kleinen Land nach wie vor ein großes Problem.

...desto größer ist meist das Angebot illegal zu erwerbender Dienstleistungen

Ich saß also beim Chef der Grenzeinheit in seinem auf 17 Grad heruntergekühlten Container – draußen waren es über 35 – und schaute dem Mann dabei zu, wie er sich die Fußnägel schnitt, während er mir versicherte, dass man schwerlich ganze Lkw-Ladungen Kinder über die Grenze schaffen könne, wo seine Männer diese doch tagein, tagaus argwöhnisch bewachen würden. Auf gar keinen Fall!

300 Meter nördlich allerdings lag ein zweiter Grenzübergang, über den ich, Scheine verteilend, eine Stunde zuvor spaziert war. Als ich diesen erwähnte, war das Interview beendet. Der Chef schmiss mich aus seinem Container, noch bevor er am kleinen Zeh des linken Fußes angelangt war. Neun Fußnagelabschnitte lagen nun neben seinen Füßen auf dem Schreibtisch. Ich trat hinaus in die Hitze.

Der zweite Grenzübergang, der allgemein als „la voie illégale“ bekannt war, bestand aus einer unbefestigten Piste samt knietiefen Schlaglöchern und insgesamt acht langen, dünnen Holzstöcken, die als Schranken dienten.

In der ersten und der letzten Baracke an diesem Übergang saßen Männer in blauen Overalls, den Uniformen der Beniner Polizei. Zwischen ihren Verschlägen lagen sechs weitere Baracken, für jede Schranke eine, bemannt mit Vertretern der wichtigsten Stämme. An jeder Schranke zahlte hier, wer lieber nicht über den regulären Grenzübergang wollte. Ich spazierte hinüber bis zur nigerianischen Seite, wo weitere Baracken standen. Ein offiziell wirkender beninischer Grenzbeamter nahm mir den Pass ab. Ich erklärte ihm, ich wolle nicht nach Nigeria, ich hätte nur bis hierher, zu ihm, an die Grenze laufen wollen. Doch das kümmerte ihn nicht. Ich musste ihm ein paar Scheine in die Hand drücken und mir meinen Pass zurückkaufen.

Hier also überquerte die Grenze, wer nicht wollte, dass seine Waren, sein Auto oder er selber kontrolliert wurde. Ich hatte ein paar Tage zuvor in der Hauptstadt Porto-Novo einen narbengesichtigen Kinderhändler getroffen, der mir erklärt hatte, dass er und seine Kollegen nicht nur die Polizisten für Stillschweigen bestachen, sondern teilweise auch Polizeiuniformen erhielten, um unbehelligt die Grenze passieren zu können. Alles eine Frage des Preises.

Benin gilt als einer der Haupteinfuhrhäfen für Waffen und Drogen in Westafrika

Am letzten Checkpoint, dort, wo „la voie illégale“ einfach wieder schlammige Piste wurde, saß ein dicker Polizist. Kam ein Auto, stand er auf, ging zum Fenster und nahm ein paar Scheine entgegen. Dann hob er die Schranke und winkte das Auto durch. Den ganzen Tag, soweit ich das beobachten konnte, ging das so.

Als ich nun an ihm vorbeilief, riss es ihn förmlich aus dem feuchten Sessel. Ob ich nicht wisse, schrie er, dass das hier der illegale Weg sei? Doch, das wisse ich, entgegnete ich. Ich wurde festgenommen und wieder zum Container des Polizeichefs geschafft.

Darauf angesprochen, dass ich gerade noch einmal am „voie illégale“ war und dort seine Männer gesehen hatte, ja von ihnen sogar verhaftet worden war, erklärte er mir unumwunden, es gäbe keinen „voie illégale“ und ich müsse nun gehen.

 

Wieder stand ich vor seinem Container in der feuchten Hitze und schaute auf die anderen fünf Container, die einmal weiß gewesen waren. In jedem hingen neue Klimaanlagen und große Flachbildfernseher.

Da man mich nicht mehr weiter zu beachten schien, ging ich zu dem Container in der südöstlichen Ecke der Anlage. Zu Prosper, dem Prinzen des Petit Palais, einem Königshaus des Landes, von dem man sagte, er sei hier tief in den Kinderhandel verwickelt. Jemand, der gut daran verdiene.

Hier überquerte die Grenze, wer nicht wollte, dass seine Waren oder er selber kontrolliert wurde

Der Prinz saß lächelnd in seinem Container. „Ja“, sagte er, nachdem er mir ausführlich die Vorteile des Kinderhandels dargelegt hatte. Vor seinem Fenster kontrollierte gerade ein Polizist eine Busladung Handys, bekam eines in die Hand gedrückt und winkte den Wagen zügig durch. „Ja, das ist der beninische Weg. Ich kann das auch verstehen. Viele Leute haben hier Ansprüche jenseits ihrer eigentlichen Möglichkeiten. Auch Polizisten.“

Dann stand er auf und ging in die brütende Hitze des Mittags. Weit hinten, hinter einem Gürtel aus Palmen und Müll, brandete der Atlantische Ozean an die Küste. Gelbe Kanister lagen auf dem Strand verstreut. Jemand hatte Buchstaben- und Zahlenkombinationen auf sie gekritzelt. Es waren Kennzeichen, welchem Schmuggler die Kanister gehörten.

Dort im Meer, nur ein paar hundert Meter entfernt, pendelten große Holzkähne mit starken Außenbordmotoren. Sie fuhren 20 Kilometer in nigerianisches Hoheitsgebiet hinein und wieder zurück. Die Schmuggler füllten dort Kanister mit Benzin und schifften sie dann nach Benin. Da die Brandung meist zu stark war, konnten die Schiffe nicht an den Strand kommen. Die Schmuggler warfen die Kanister ins Wasser, und Scharen von Kindern schwammen in die Wellen und brachten sie an Land. Gelegentlich ertrank ein Kind.

Man konnte ganz offiziell seinen Pass stempeln lassen. Alles eine Frage des Preises

Prosper wusste auch darüber Bescheid, schien dem Benzinschmuggel aber keine übermäßige Bedeutung beizumessen. Er setzte sich heftig schwitzend in seinen Kleinwagen und machte seine tägliche Runde zum illegalen Übergang.

Hinter dem letzten Container versank sein Wagen unvermittelt bis zum Kühler in einer schlierigen, leicht blubbernden schwarzen Pfütze. Prosper lächelte.

Die Polizisten am Anfang des illegalen Weges grüßten ihn ehrfurchtsvoll, die Männer an den anderen sieben Schlagbäumen mit den dicken Geldbündeln in der Hand ebenfalls. Selbst die lokale Stadtverwaltung, so sah ich nun, hatte einen eigenen Schlagbaum. Am Ende des Weges wies mich Prosper freundlich darauf hin, dass hier noch eine zweite Polizeibaracke stand. Hier konnte man ganz offiziell seinen Pass stempeln lassen. Der Preis war Verhandlungssache.

„Das Pech, das wir haben“, sagte er dann und schien kurz betrübt, „ist Nigeria. Die Nigerianer sind doch alle komplett korrupt. Da kann man für Geld alles kaufen.“ Neben ihm zählte ein junger Mann, der für ihn arbeitete, ein dickes Bündel Geld. Schuld sind immer die, von denen man selbst kein Geld bekommt. Und auch das ist Korruption.

Titelbild: STR/AFP/Getty Images

Fritz Schaap arbeitet als Auslandsreporter für den „Spiegel“ und „Die Zeit“. In Benin war er 2015 auf der Suche nach jenen Männern, die die Kinder des Landes nach Nigeria verkaufen

 

Der Corruption Perception Index von Transparancy International zeigt, wo auf der Welt Korruption eine besonders große Rolle spielt. Schlusslichter waren 2016 vor allem Bürgerkriegsländer wie Somalien und Syrien. Eine vergleichsweise kleine spielte Korruption in Neuseeland und Dänemark.

 

Wie man aber aus den Schlagzeigen weiß: Korruption ist längst nicht nur in instabilen oder armen Ländern ein Problem – Stichwort Panama Papers.

 

Wie sieht die Lage in Deutschland aus und was wird gegen Korruption gemacht? Mehr Infos dazu gibt es hier.