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Was für ein Brett

Filme wie „Meu nome é Bagdá“ würde Brasiliens Präsident gerne verbieten. Zum Glück wurde der Skatefilm noch vor Bolsonaro produziert

Film meu nome e bagda

Worum geht’s?

Bagdá ist 17 und lebt mit ihrer Mutter und ihren beiden jüngeren Schwestern am Rande São Paulos. Den größten Teil ihrer Freizeit hängt sie mit ihrer Skaterclique ab, in der sie als fast einziges Mädchen unter lauter Jungs ihren Platz finden und behaupten muss.

Gratulation!

„Meu nome é Bagdá“ hat den Großen Preis der Internationalen Jury von Generation 14plus für den Besten Film gewonnen, im Wert von 7.500 Euro und gestiftet von der Bundeszentrale für Politische Bildung.

Wie wird’s erzählt?

In vielen kurzen, recht unaufgeregten Episoden, oft passiert nicht richtig was. Mal hängt Bagdá im Friseursalon eines befreundeten queeren Paars ab. Mal bewirft sie ein Auto mit Wasserballons. Mal hilft sie ihrer neunjährigen Schwester Bia, die unbedingt zum Mars fliegen will, bei einem Bewerbungsvideo für die NASA. Oft skatet sie natürlich oder macht mit ihrem Camcorder Videos von den anderen beim Skaten. Aber auch eine sexismusgespickte Polizeirazzia und homophobe Aggressionen gehören zu Bagdás Alltag.

Regisseurin Caru Alves de Souza arbeitet möglichst ohne Kunstlicht, dafür mit der Handkamera und viel Improvisation – die Darstellerinnen bekamen das komplette Skript der Szenen nie zu sehen –, was den Film sehr unmittelbar macht. Zwischen die Spielszenen schneidet Alves de Souza immer wieder lange Sequenzen, die nur von Musik unterlegt sind, dazu kommen durchchoreografierte surreale Szenen, die wie fürs Theater inszeniert scheinen.

„Wir haben so sehr einen gemeinsamen Vibe, dass wir manchmal sogar unsere Tage gleichzeitig kriegen.“

Was soll uns das zeigen?

Caru Alves de Souza wollte einen Film machen „über starke, unabhängige Frauen, die zusammen Spaß haben und einander unterstützen“. Das hat sie auch. Weibliche Selbstermächtigung gegen den täglichen Machismo in Brasilien ist das Thema von „Meu nome é Bagdá“, Männer sind potenziell verzichtbare Störenfriede. Das gilt auch fürs Skaten, wie Bagdá merkt, als sie in einem anderen Stadtviertel eine rein weibliche Skatecrew trifft und sich mit ihr anfreundet.

Gänsehautmoment:

Auf einer Party wird Bagdá von einem Skater ihrer Gruppe zum Küssen gezwungen. Er hält ihr den Mund zu, damit sie nicht um Hilfe ruft. Dass die Situation einigermaßen schnell endet, ist bloßes Glück.

Stärkste Szene:

Mithilfe ihrer neuen Freundinnen traut sich Bagdá, den Jungen von der Party mit seinem Verhalten zu konfrontieren, und bringt die #MeToo-Debatte auf den Skateplatz – vor der gesamten Skatercrew.

Stärkster Satz:

„Wir sind uns so nah, haben so sehr einen gemeinsamen Vibe, dass wir manchmal sogar unsere Tage gleichzeitig kriegen“, sagt eine der Skaterinnen, die Bagdá kennenlernt. Nur eine von mehreren verbalen Verschwesterungsszenen.

Wie im schlechten Film: Die rechtsextreme Regierung beendet die brasilianische Filmförderung

Gut zu wissen:

Nicht nur vor der Kamera dominieren die Frauen, auch dahinter: Regie, Kamera, Drehbuch, Produktion, fast alle kreativen Schlüsselpositionen in „Meu nome é Bagdá“ sind weiblich besetzt. Die Reise nach Berlin mussten Caru Alves de Souza und ihr Team selber bezahlen: Die nationale Filmförderungsanstalt Ancine hat im Herbst die Unterstützungsmittel zur Teilnahme an internationalen Festivals gestrichen – ausgerechnet in dem Jahr, in dem mit 19 so viele brasilianische Filme wie noch nie bei der Berlinale laufen.

Die Maßnahme ist Teil eines größeren Konflikts: Der seit Anfang 2019 amtierende ultrarechte brasilianische Präsident Jair Bolsonaro will über die Fördermittelvergabe erreichen, dass vor allem Filme unterstützt werden, die „traditionelle Werte“ vermitteln. Zwar wurde ein erster Versuch, die Förderung von Fernsehserien mit LGBTQI-Inhalten zu stoppen, im Herbst 2019 von einem Bezirksgericht rückgängig gemacht – doch damit ist dieser Kulturkampf von oben noch nicht vorbei. Erst wurden mehrere Direktorenposten bei der Ancine nicht besetzt und deren Arbeit damit lahmgelegt. Am 21. Februar wurden dann ein evangelikaler Pastor und die Direktorin eines christlichen Filmfestivals als Direktoren eingesetzt. Sie verwalten den Fördertopf.

Die Filme, die aktuell anlaufen, sind noch mit Fördergeldern aus der Zeit vor Bolsonaro entstanden. Für 2020 wurde die Förderung um fast die Hälfte gekürzt. Ob es in ein, zwei Jahren noch so emanzipatorische Projekte wie „Meu nome é Bagdá“ geben wird, ist unklar.

Für alle …

… Skaterinnen. Und für alle Skater, die kritisch hinterfragen wollen, wie wohl sich Frauen in ihrem Hobby und Lebensumfeld fühlen.

„Meu nome é Bagdá“ (Generation 14plus, Brasilien 2020) feierte am 25.2. auf der Berlinale seine Weltpremiere und läuft auf dem Festival noch an drei weiteren Terminen.

Titelbild: Luh Barreto

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.