Als Nichtadliger war Tschechow unter den großen russischen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts eine Ausnahme. Sein Großvater war noch Leibeigener gewesen und hatte sich und seine Familie freigekauft. Der junge Anton war ein gewissenhafter Medizinstudent, frönte aber nebenbei intensiv seinem geliebten Hobby, dem Schreiben. Mit 20 Jahren gelang es ihm erstmals, kleine humoristische Texte an eine Zeitschrift zu verkaufen. Und obwohl er zunächst nur sehr bescheidene Honorare einfuhr, bedeutete das für die ganze Familie ein wichtiges Zubrot.

Doch Anton Tschechow sollte nicht lange mittellos bleiben. Ziemlich bald war er so erfolgreich, dass er vom Schreiben leben konnte und es zu seinem Hauptberuf machte. Allerdings praktizierte er – unter anderem während einer großen Cholera-Epidemie – auch immer wieder mal als Arzt, wenn er gebraucht wurde.

In Westeuropa ist Tschechow heute vor allem als Bühnenautor berühmt. „Drei Schwestern“, „Der Kirschgarten“, „Onkel Wanja“ und andere Stücke sind immer noch Dauerbrenner auch auf deutschen Bühnen. Tschechows Dramen sind nicht wirklich handlungsgetrieben, sondern zeichnen sich gerade durch die grundsätzliche Handlungsunfähigkeit ihrer sehr gesprächigen Protagonisten aus. Sie umkreisen die Daseinsprobleme des niederen russischen Landadels und Bürgertums im späten 19. Jahrhundert, werden aber dennoch als zeitlose, psychologisch tief durchdrungene Konversationsstücke über die existenziellen Sinn- und Lebenskrisen des modernen Menschen aufgefasst.

In Russland wurde und wird Tschechow mindestens ebenso sehr für seine Erzählungen und Novellen geliebt. Einen großen Roman schrieb er allerdings nie. Vielleicht hing das auch damit zusammen, dass er bereits früh um seine unheilbare Lungenkrankheit wusste. Er starb im Alter von 44 Jahren während der Kur im süddeutschen Badenweiler an Tuberkulose. Tschechows Leichnam wurde in einem gewöhnlichen Güterwaggon zurück nach Russland transportiert. Er trug die Aufschrift „Für Austern“.

Mehr aus der Reihe „Mitreden, obwohl ich das Buch nicht gelesen habe“:

Teil 1: Alexander Puschkin – der Nationaldichter
Teil 2: Nikolai Gogol – der Surreale
Teil 3: Fjodor Dostojewski – der Spieler
Teil 4: Lew Tolstoi – der Graf
Teil 5: Anton Tschechow – der Menschenfreund