
Wünsch dir was
Wie sähe eine Welt aus, in der Wünsche in Erfüllung gehen? Das spielt die ägyptische Zeichnerin Deena Mohamed in ihrem Comic „Shubeik Lubeik“ durch – und fragt, ob es wirklich so wünschenswert wäre
Was würde ich mir wünschen, wenn ich einen Wunsch frei hätte? Zu dieser Frage fällt den meisten von uns vermutlich ein ganzer Haufen an Antworten ein. Aber wenn man dann wirklich eine Chance dazu hat, nur eine einzige – was sagt man da genau?
Solche Überlegungen gehören zum Leben der Menschen im Comic „Shubeik Lubeik“ von Deena Mohamed. Wobei, und das macht alles noch komplizierter, die Wünsche durchaus ihren eigenen Kopf haben. Ort der Handlung ist dabei nicht irgendeine Fantasywelt, sondern das heutige Ägypten, also das Heimatland Deena Mohameds.
Mohamed zählt zu den wichtigsten Comiczeichnerinnen ihres Landes. Bekannt wurde sie 2013, damals war sie gerade mal 18, mit dem Webcomic „Qahera“ über eine hijabtragende Superheldin.

„Qahera“ bestand nur aus zehn kurzen Episoden, „Shubeik Lubeik“ – arabisch für „Dein Wunsch ist mir Befehl“ – ist mit rund 500 Seiten deutlich umfangreicher angelegt. Ausgangspunkt des in drei Kapitel unterteilten Buchs ist ein kleiner Kiosk in Kairo. Dessen Besitzer Shokry, ein gottesfürchtiger, hilfsbereiter und bescheidener Mann, hat von seinem Vater drei Erste-Klasse-Wünsche geerbt, die ein Vermögen wert sind, denn sie haben viel Macht und wenig Fehlerpotenzial. Eigentlich verstoßen Wünsche gegen Shokrys religiöse Überzeugungen, doch als er in finanzielle Schwierigkeiten gerät, bietet er sie zum Verkauf an.
Wunsch Nummer eins geht an Aziza, eine junge Witwe aus der Unterschicht. Viele Jahre hatte sie für den Wunsch gespart, und dann wird er ihr umgehend von der Polizei abgenommen. Die glaubt Aziza nicht, dass sie sich etwas so Wertvolles leisten kann, wirft sie ins Gefängnis und versucht, sie zur „freiwilligen“ – denn andernfalls würde er seine Kraft verlieren – Abgabe ihres Wunsches zu nötigen. Ein Szenario, das in einem autoritär geführten Staat wie Ägypten gar nicht so weit hergeholt erscheint.

Wunsch Nummer zwei geht an Nour, ein nonbinäres rich kid, das unter Depressionen leidet. Der Mangel an Selbstwertgefühl und Perspektive gefährdet zunehmend Nours Studium. Mit dem Wunsch erhofft sich Nour einen Ausweg, doch verzweifelt daran, eine Formulierung zu finden, die auch wirklich die Probleme löst. (Spoiler: „Ich möchte glücklich sein“ ist gar nicht gut!)
Wunsch Nummer drei will Kioskverkäufer Shokry schließlich einer an Krebs erkrankten Stammkundin schenken, die sich aber hartnäckig weigert, ihn anzunehmen. In dieser Episode erfahren wir viel über die Herkunft der beiden, über die Umsiedlung der Landbevölkerung wegen Bauprojekten, über arrangierte Hochzeiten, die Zwänge des Kapitalismus und über das Verhältnis des Islam zum Thema Wünsche. Denn, und das ist die große Stärke von „Shubeik Lubeik“: Deena Mohamed hat sich nicht einfach nur drei Geschichten ausgedacht. Sie betreibt komplexes Worldbuilding. Wie sieht eine Welt aus, die wie unsere ist, aber eben ergänzt um Wünsche, die wirklich in Erfüllung gehen? Was sind die Folgen, was die Konflikte, und welche gesellschaftlichen Regeln bilden sich für einen guten Umgang heraus?
So muss man beispielsweise für Erste-Klasse-Wünsche ein Zertifikat haben, damit man beim Verkauf nicht betrügen kann. Es gibt staatliche Verbote und Aufklärungskampagnen, denn drittklassige Wünsche können Menschen, die mit ihnen zu große Dinge verändern wollen, regelrecht schaden: Man sagt, man will zehn Kilo abnehmen und verliert dann vielleicht seine Beine. An die ökonomische Seite hat Mohamed ebenfalls gedacht. Die Wünsche werden wie Rohstoffe gewonnen, wobei die wunschreichsten Regionen eher im Globalen Süden liegen – und die Vertreter der Kolonialmächte viele Jahre lang deren Wunschvorkommen ausgebeutet haben.

Das alles erzählt Deena Mohamed mit visueller Wucht: Sie wagt grafische Experimente, spielt mit Licht und Schatten, variiert Perspektiven, Ausschnittgrößen, Seitenlayouts. Vor allem in der zweiten Geschichte fährt Mohamed ein Feuerwerk an Ideen auf, um die depressive Gedankenwelt von Nour eindrücklich zu visualisieren.
So dynamisch das optisch ist, so schleppend ist teilweise das Erzähltempo. Viele Dialoge könnten ein wenig Straffung vertragen, und auch wenn die schwierige Entscheidungsfindung der Charaktere ein wichtiger Teil des Themas ist, muss man sie vielleicht nicht in jeder Spirale so ausführlich beschreiben. Die wichtigste Aussage des Comics wird schließlich auch so klar: Glücklicher sind die Menschen in einer Welt voller Wünsche nun wirklich nicht.
„Shubeik Lubeik – Dein Wunsch ist mir Befehl“ von Deena Mohamed ist auf Deutsch im Verlag Schreiber & Leser erschienen.
Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.