Thema – Südamerika

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Weißes Gold

Rohstoffe schaffen Ungleichheiten – und ihr Abbau setzt oft koloniale Verhältnisse fort. Bolivien will beim Lithiumabbau mit einer deutschen Firma einen neuen Weg einschlagen. Über den Versuch einer gerechteren Zusammenarbeit

Der Cerro Rico, der Reiche Berg, ist ein erbärmlicher Anblick, durchlöchert von fast 500 Jahren Bergbau. Hier in Potosí, in 4.000 Metern Höhe, haben schon die Inkas Silber gefördert, im 16. Jahrhundert wurde das Bergwerk von den Spaniern übernommen und jahrhundertelang ausgebeutet, ohne dass die Bewohner der Region davon profitierten. Später waren es bolivianische Zinnbarone und ausländische Firmen, die Kapital aus den Minen schlugen, während den Indigenen nur die gefährliche und schlecht bezahlte Drecksarbeit blieb. Nun bricht der Reiche Berg fast zusammen, während einheimische Bergbaukooperativen die letzten Metallreste herausschlagen.

Aus der Vergangenheit will Bolivien nun lernen, wenn es um den Abbau von Lithium geht. Der Preis für das „weiße Gold“ hat sich seit 2016 zeitweise verdoppelt – und Experten rechnen langfristig mit einem weiteren Anstieg. Batterien aus Lithium sind leicht, speichern höchst effizient Energie und kommen zum Beispiel in Elektroautos zum Einsatz.

Lithium zum Schnäppchenpreis für ein deutsches Unternehmen

In Bolivien, einem der ärmsten Länder Südamerikas, lagern die wohl größten Lithiumvorkommen der Welt unter dem Salzsee Salar de Uyuni. „Wir wollen kein zweites Potosí“, erklärte Evo Morales, Boliviens indigener Präsident und ehemaliger Kokabauer. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit hatte er die Gasvorkommen verstaatlicht und die Gewinne in Sozialprogramme umverteilt. Beim Lithiumabbau möchte Morales nun nicht weniger als mit den Asymmetrien globaler Weltwirtschaft brechen. Das heißt, er will den Rohstoff nicht nur exportieren, sondern eigene Batterien herstellen.

Ein großer Schritt in diese Richtung soll der im Dezember geschlossene Vertrag zwischen dem bolivianischen Staatsunternehmen Yacimientos de Litio Bolivianos und dem deutschen Unternehmen ACI Systems Alemania (ACISA) sein. Er regelt die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, das das Recht zum Abbau der Lithiumvorkommen für insgesamt 70 Jahre erhält – eine außergewöhnlich lange Laufzeit.

Eigentlich wollte die bolivianische Regierung den Schatz allein heben und investierte in die Entwicklung einer eigenen Lithiumindustrie. Am Salar de Uyuni stehen bereits eine Pilotfabrik für die Förderung und Weiterverarbeitung des Lithiums und eine kleine Batteriefabrik. Doch dann zeichnete sich ab, dass die staatliche Bergbaugesellschaft auf ausländische Unterstützung angewiesen sein würde – es fehlt vor allem an Technik und Know-how. Schnell fanden sich zahlreiche Interessenten: chinesische, russische, iranische, koreanische, französische – und das deutsche Unternehmen ACISA.

Um den Deal einzufädeln, hatte die Bundesregierung über Jahre Beziehungen nach Bolivien aufgebaut. Und auch ACISA beschreibt die Zusammenarbeit als große Mission: „Deutschland erhält nun erstmals nach Jahrzehnten wieder direkten Zugang zu nicht heimischen Rohstoffen“, erklärt das Unternehmen. Der deutschen Automobilindustrie sei ein Coup für die Zukunft gelungen, so die deutsche Lesart des Lithiumdeals. Bislang hat der bolivianische Staat in die Forschung und Erschließung der Vorkommen fast eine Milliarde US-Dollar investiert, nun sollen im Gemeinschaftsprojekt mit ACISA weitere 300 Millionen Euro folgen. Davon trägt ACISA knapp die Hälfte – und bekommt den Zugriff auf die womöglich größten Lithiumvorräte der Welt zum Schnäppchenpreis.

Bolivien

Bolivien hat knapp über 11 Mil­lionen Einwohner (die 37 Sprachen sprechen) und ist neben Paraguay der einzige Binnenstaat Südamerikas. Da sich die Anden in einem Bogen durch den Westen des Landes ziehen, gibt es hier so ziemlich alle Klimazonen – von arktisch im Hochgebirge bis tropisch in den östlichen Tiefebenen, die zum Amazonasbecken gehören.

Werden bolivianische Rohstoffe also letztlich doch wieder vor allem im Interesse anderer gefördert? Die Regierung Morales sieht das anders. Mit 51 Prozent der Aktien verbleibe die Kontrolle über das Gemeinschaftsunternehmen und damit über die Ressource in Bolivien. Wesentlich skeptischer ist da der Leiter des bolivianischen Informationszentrums CEDIB. „Die Entscheidungsstruktur des Unternehmens spiegelt nicht wirklich die Mehrheitsverhältnisse wider“, kritisiert Oscar Campanini. Tatsächlich hat sich ACISA als Aktionär mit nur 49 Prozent erstaunliche Rechte gesichert. So müssen bei Entscheidungen im Aufsichtsrat vier von fünf Mitgliedern zustimmen. Es kann also in Bolivien keinen Beschluss ohne den deutschen Partner geben.

„Die bolivianische Regierung hat sich mit ACISA einen Partner gesucht, der bisher überhaupt keine Erfahrung im Bereich Lithium hat“, sagt Epifanio Mamani, ehemaliger Vizebergbauminister von Bolivien, heute Dozent an der Universidad Autónoma in Potosí. Außerdem glaubt Mamani nicht, dass sich das bolivianische Lithium international behaupten wird. Denn das Lithium im Salar de Uyuni hat einen recht niedrigen Reinheitsgrad, außerdem erschwert die dreimonatige Regenzeit den Abbau.

Das Konzept des „vivir bien“ stellt den Schutz der Natur über industrielles Wachstum

Der Ressourcenexperte Campanini macht sich eher um das fragile Ökosystem des Salzsees Sorgen. Wie in Chile oder Argentinien geschehen, könnte der Grundwasserspiegel durch den Lithiumabbau sinken. Das könnte der Landwirtschaft ebenso wie dem immer wichtiger werdenden Tourismus am Salar de Uyuni schaden. Und auch wenn die Region recht bevölkerungsarm ist, sieht Campanini das Recht der lokalen indigenen Bevölkerung auf Konsulta­tion bisher nicht gewahrt. ACISA Systems widerspricht: Die ansässige Bevölkerung sei nicht nur frühzeitig informiert worden, sie solle auch „bei flankierenden Aufgaben rund um die Lithiumproduktion eingebunden werden“. Auch die Umweltbedenken kann das Unternehmen nicht nachvollziehen. Man habe einen weltweit einzigartigen Prozess entwickelt, der trotz des immensen Wasserverbrauchs bei der Lithiumproduktion „eine neutrale bis positive Wasserbilanz aufweist“. Noch ist nicht sicher, ob tatsächlich weitere Batteriefabriken im Salzsee entstehen; bisher gibt es dazu nur Absichtserklärungen der Vertragspartner. Deutschland und Frankreich verkündeten kürzlich, ein Batterieprojekt beider Länder mit 1,2 Milliarden Euro zu fördern. 2020 soll eine erste Pilotfabrik in Europa entstehen.

Simón Bolívar

Bis heute wird Simón Bolívar in Südamerika als der Freiheitskämpfer schlechthin verehrt: „El Libertador“. Als Sohn einer reichen Familie 1783 in Caracas geboren, kam er auf Europareisen mit liberalen politischen Ideen in Berührung. Er schloss sich der Unabhängigkeitsbewegung an und kämpfte gegen die Sklaverei. In langen militärischen und politischen Kämpfen half er, die spanischen Truppen zu vertreiben. Kurz vor seinem Tod ernannte sich der Freiheitskämpfer zum Diktator.

Ist Bolivien also doch nicht auf dem Weg zu einer neuen, eigenständi­gen Industrialisierung? Koloniale Verhältnisse spiegeln sich nicht nur im Zugang zu Märkten, sondern auch im verfügbaren Investitionskapital und dem Zugang zu Know-how wider. Das Konzept des „vivir bien“, des „guten Lebens“, das Evo Morales zum Verfassungsprinzip erhoben hat, stellt dagegen den Schutz der Natur über industrielles Wachstum. Doch selbst Kritiker Campanini lehnt den Abbau nicht gänzlich ab: „Die Ressourcen sind Teil unseres Lebens. Die Frage ist nicht, ob wir sie abbauen, sondern ob wir einen Weg finden, bei dem die lokale Bevölkerung an erster Stelle steht.“

Selbst wenn das bolivianische Lithiumprojekt ein Erfolg für Bolivien wird, die Region Potosí soll bisher gerade einmal mit drei Prozent der Einnahmen beteiligt werden. Nach wie vor ist Potosí das ärmste Departamento Boliviens. Und Uyuni die ärmste Region Potosís. Es braucht noch viele Schritte, damit der Fluch der Geschichte gebrochen wird.

Titelbild: Matjaž Krivic/INSTITUTE

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