Thema – Musik

Suchen Newsletter ABO Mediathek

„Heute sind alle Genres Hip-Hop“

50 Jahre Hip-Hop! Die Frankfurter Rapperin LIZ gratuliert der Musik ihres Lebens – und ist schockiert, wie sich das Genre entwickelt

  • 5 Min.
Lizz

Auf einer Blockparty in der Bronx soll DJ Kool Herc im August 1973 zum ersten Mal einen „Breakbeat“ gespielt haben, für viele die Geburtsstunde des Hip-Hop. Heute dominieren Rapper*innen die Charts, DJs das Nachtleben, Street-Art wird für Millionen gehandelt. Gleichzeitig finden marginalisierte Menschen hier Gehör und Sichtbarkeit. Wofür stand Hip-Hop, was zeichnet ihn heute aus? Zum Fünfzigsten fragen wir zwei Generationen: Deutschrap-Veteran Curse. Und die Frankfurterin LIZ.

Seit 2020 aktiv, brauchte LIZ keine drei Singles, um Deutschrap zu ihrem Wohnzimmer zu machen. Und das, obwohl die 25-Jährige keinen aalglatten Autotune macht, sondern über Schicksalsschläge, Straffälligkeiten, Drogen und psychische Struggles rappt.

fluter.de: LIZ, wann ist Hip-Hop in dein Leben gekommen?

LIZ: Der war vor mir da: Meine Mutter war und ist großer Rap-Fan. Als sie mit mir in den Wehen lag, hat sie Songs von Moses Pelham gehört. Als ich ein Mädchen war, liefen bei uns zu Hause die frühen Alben von Azad und Bushido. Irgendwann habe ich die Texte verstanden, stand tagtäglich vor dem Spiegel, um mitzurappen. Dann hab ich erste eigene Texte geschrieben … Es hat sich immer so angefühlt, als wäre Rap in mir drin. Es gab irgendwie gar nicht die Option, selbst keinen Rap zu machen.

Warst du damit eine Außenseiterin?

Überhaupt nicht. Rap hat in meiner Gegend eine extrem große Rolle gespielt. Der war für uns viel relevanter als der Mainstream im Radio. Wenn ich an meine Jugend zurückdenke, schießen mir Lieder von Celo & Abdi durch den Kopf. Die liefen ständig, überall, bei den älteren und jüngeren Leuten.

„Es gibt Rapper, von denen du auf der Straße niemals denken würdest, dass die sich so krass artikulieren können. In anderen Genres wäre für solche Leute kein Platz“

In der Hinsicht ist deine Heimatstadt Frankfurt am Main sicher besonders. Es wirkt immer, als stünde die ganze Region wie eine Mauer hinter ihren Rapper*innen. Und man muss sagen, dass sie Deutschrap wirklich ihren Stempel aufgedrückt haben.

Es hat ewig gedauert, bis ich überhaupt bemerkt habe, dass in anderen Städten auch gute Rapper unterwegs sind. Ich bin mit der Gewissheit aufgewachsen, dass Frankfurter Rap der beste und wichtigste ist, den es in Deutschland gibt. Und würde immer noch behaupten, dass er eine zentrale Rolle spielt, vor allem für Menschen mit Migrationshintergrund. Leute wie Azad oder Haftbefehl haben mit ihrer abgehackten Aussprache und ihrem Sprachencocktail einen komplett neuen Slang erfunden. Daneben hat Frankfurter Rap für mich einen eigenen Vibe: Hier wird offen über Emotionen gesprochen, keiner verstellt sich. Ich finde, Rapper aus anderen Städten wollen meist einem Bild gerecht werden, die Frankfurter hauptsächlich sich selbst.

Wer so tief im Hip-Hop-Kosmos seiner Stadt verwurzelt ist, beschäftigt sich vermutlich nicht allzu intensiv mit den Ursprüngen der Kultur in den USA?

Mir war immer bewusst, dass es mehrere Generationen gab, die sich gegenseitig beeinflusst und aufeinander aufgebaut haben. Aber für mich begann die Hip-Hop-Geschichte lange in Frankfurt. Ich bin zum Beispiel generell kunstinteressiert, beschäftige mich erst seit ein paar Jahren mit Graffiti. Irgendwann habe ich kapiert, dass Graffitis nichts anderes sind als Straßengemälde, die zu jeder Uhrzeit für jede und jeden sichtbar sind. Den Gedanken finde ich inspirierend. Mittlerweile habe ich Tattoos, die stilistisch an Graffiti angelehnt sind.

Ziemlich Hip-Hop.

Ja. Aber viele der Roots habe ich wirklich erst nachgeholt, als ich selbst angefangen habe, Musik zu veröffentlichen.

Wie das?

Wenn dir die Leute zuhören, hast du eine Verantwortung. Rap steht aber oft für egoistisches Verhalten – und das ist nichts, was ich vorleben will. Die Auseinandersetzung mit den ursprünglichen Werten der Hip-Hop-Kultur hat mir gezeigt, dass Rap und Egoismus eigentlich gar nicht zusammengehen.

Leider suggeriert Rap immer noch oft, dass Arschlochverhalten am Ende zum Erfolg führt.

Mich hat es immer mehr abgeholt, wenn Leute in ihrer Musik Schwäche gezeigt haben. Wenn deutlich wurde, dass das Menschen mit Fehlern sind. Solche Acts haben mich aufgebaut, mir geholfen zu reflektieren, sogar in den schweren Phasen meines Lebens. Wenn jemand immer nur erzählt, wie krass er ist, ist mir das ziemlich egal.

Old Generation

Anfang der 80er sah ein kleiner Junge in Minden seine ersten Breakdancer. Deutschrap-Legende Curse blickt für uns zurück

Gibt es etwas, das Rap kann und andere Genres nicht?

Rap lebt von einer Ernsthaftigkeit, die Pop- oder Schlagermusik einfach nicht haben. Es gibt keine Kunstform, in der du so auf deinen Sprachgebrauch achten musst. Und keine, in der du dich so gut erklären kannst. Das Verrückte ist ja: Es gibt so krasse Rapper da draußen, von denen du, wenn du sie auf der Straße siehst, niemals denken würdest, dass die sich so gut artikulieren können. Ich glaube, in anderen Genres wäre für solche Leute kein Platz.

Gibt es heute noch eine Hip-Hop-Szene?

Klar! Echter Rap erkennt und respektiert sich. Es gibt immer noch Leute, die rappen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Auf der anderen Seite ist die Kultur halt gewachsen, Mainstream. Heute ist Hip-Hop alle Genres – und alle Genres sind irgendwie Hip-Hop. Ich kann verstehen, dass das für Leute, die damals in den kleinen Szenen aktiv waren, schwer nachzuvollziehen ist.

Hip-Hop ist gerade 50 geworden. Wie würdest du euer aktuelles Verhältnis beschreiben?

Ich habe Hip-Hop vieles zu verdanken, vielleicht mein ganzes Leben. Früher hat er mir als Hörerin Halt gegeben, heute ist Songschreiben wie Therapie für mich. Rap hat mir viel beigebracht.

Welche war die wichtigste Lehre?

Dass ich nicht der einzige Mensch mit Komplexen und Problemen bin.

Was wünschst du Hip-Hop für die Zukunft?

Vielleicht, dass er sich traut, in die Vergangenheit zurückzureisen. Zumindest wünsche ich ihm das jeden Freitag, wenn die neuen Singles rauskommen. Da bin ich meist schockiert, wie sich Rap entwickelt. Es gibt immer weniger Leute, die mit tiefen Themen erfolgreich sind. Dieses ganze „Was hab ich, was du nicht hast“-Gepose langweilt mich. Als ich mit 15 nach Identifikation gesucht habe, hätten mir die meisten der heutigen Songs vermutlich nichts gegeben.

Titelbild: Paul Broeker / CC BY-SA 4.0

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.