Thema – Südamerika

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Mit dem Sturmgewehr ins Bett

Die Fotografin Lena Mucha hat ein Trainingscamp der letzten aktiven Guerilla Kolumbiens besucht. Die als Terrororganisation eingestufte ELN bildet dort Teenager für Kampfeinsätze aus

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2016 schließen die kolumbianische Regierung und die FARC-Guerilla (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) Frieden und beenden einen bewaffneten Konflikt, der über 50 Jahre andauerte und mindestens 220.000 Menschen tötete. Als der damalige Präsident Juan Manuel Santos noch im selben Jahr den Friedensnobelpreis überreicht bekommt, klingt er zuversichtlich: „Dank dieses Abkommens können wir sagen, dass der amerikanische Kontinent – von Alaska bis Patagonien – friedliches Land ist.“

Die ELN ist die letzte große bewaffnete Guerilla-Gruppe Kolumbiens

Doch drei Jahre später wird immer deutlicher, wie instabil dieser junge Frieden ist. Das Verhältnis zwischen der zu einer Partei umgewandelten FARC und der inzwischen rechtskonservativen Regierung unter Präsident Iván Duque ist von Misstrauen geprägt. Immer wieder werden ehemalige FARC-Anhänger getötet. Die FARC wirft der Regierung vor, sie nicht ausreichend zu schützen. Die Regierung wiederum würde die Mitglieder der FARC am liebsten viel härter bestrafen, als im Friedensvertrag festgelegt ist. Außerdem wirft sie Teilen der Gruppe vor, in Drogengeschäfte verwickelt zu sein. 

Die Sicherheitslage im Land verschlechtert sich. Die NGO Human Rights Watch macht dafür Abtrünnige der FARC, neo-paramilitärische rechte Gruppen und die Guerilla ELN (Ejército de Liberación Nacional / Nationales Befreiungsheer) verantwortlich. Die ELN ist die letzte große bewaffnete Guerilla-Gruppe Kolumbiens – und sie sorgt dafür, dass von einem Ende der Gewalt noch lange nicht die Rede sein kann. 

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Altgedient: Giovanni ist 21 Jahre alt, seit sieben Jahren bereits kämpft er für die ELN …

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… die Behörden werfen der Guerilla vor, Minderjährige dazu zu zwingen, sich ihr anzuschließen. Milena ist 16 Jahre alt

Erst Mitte Juli warnte das Auswärtige Amt davor, in den Südwesten des Landes zu reisen, weil die ELN in der Gegend bewaffnete Streiks durchführe. Die 1964 gegründete marxistische Gruppe soll heute um die 1.500 bis 2.000 Mitglieder haben. Ihre Gründer waren radikale Katholiken und linke Studenten und sahen sich als Sprecher einer ihrer Meinung nach ökonomisch und politisch benachteiligten Mehrheit. Die linksradikale Gruppe finanziert sich durch Lösegelder und über den Drogenhandel.

Nach Ermittlungen der kolumbianischen Staatsanwaltschaft ist die Guerilla für Tausende Morde, Entführungen und Zwangsrekrutierungen verantwortlich. Die Europäische Union stuft sie als Terrorgruppe ein, ins Kreuzfeuer der Guerilla geraten laut Amnesty International auch Zivilisten. Ex-Präsident Santos hatte zwar Friedensverhandlungen mit der ELN aufgenommen, Anfang des Jahres wurden diese jedoch abgebrochen. Auslöser war ein Sprengstoffanschlag im Januar auf eine Polizeischule in Bogotá, zu dem sich die ELN bekannte. 21 Menschen wurden durch die Bombe getötet.

Ein baldiger Frieden mit der ELN ist also nicht abzusehen, die Guerilla bildet weiter neue Mitglieder aus. Die Fotografin Lena Mucha hat ein Trainingscamp der ELN in einer abgelegenen Region Kolumbiens besucht. Mehrere Tage verbrachte Mucha mit den Kämpfern, die oft noch Teenager sind. Weil sie keine andere Alternative sehen, schließen sich die Jugendlichen der Guerilla an. Normalität bedeutet für sie, von nun an im Untergrund zu leben und ihr Sturmgewehr überallhin mitzunehmen, sogar ins Bett.

 
Die ELN rekrutiert ihre Kämpfer auch unter Jugendlichen. Die jüngsten Mitglieder sind zwischen 14 und 17 Jahre alt. Oft haben sie sich nicht nur aus Überzeugung der Guerilla angeschlossen, sondern weil es zuhause keine Perspektiven für sie gibt

Jeden Morgen versammeln sich die ELN-Kämpfer*innen zum Appell …

Jedes neue Mitglied der ELN muss am täglichen Kampftraining teilnehmen. Die Bedingungen sind hart. Auf dem schlammigen Boden lernen sie, wie man Menschen im Nahkampf angreift und sich verteidigt

… danach treten die neuen Mitglieder zum täglichen Kampftraining an. Je nachdem, wie fit die Neuankömmlinge sind, dauert die Grundausbildung sechs Wochen oder länger

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Sorgt für Sprengstoff: Zu den Habseligkeiten einer der Kämpferinnen gehört neben Shampoo und Zahnpasta auch ein Sprengsatz, der als Landmine verwendet werden kann. Die Zahl der Opfer von Landminen ist im vergangenen Jahr in Kolumbien deutlich gestiegen: 2017 wurden 56 Menschen getötet, im vergangenen Jahr waren es 180


 
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Ihr Gewehr müssen die Mitglieder der ELN immer bei sich tragen

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Anna und ihr Mann Bochia haben zusammen ein Kind bekommen. Bochia wird das Dorf zusammen mit der ELN bald verlassen. Dann will Anna zur Familie ihres Mannes ziehen. Die beiden wissen nicht, wann und ob sie sich wiedersehen werden

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Die ELN hat Natalia (16) in Medellín, der zweitgrößten Stadt Kolumbiens, rekrutiert. Während sie sich im Fluss wäscht, erzählt sie ihre Geschichte: „Ich habe mit der ELN zusammengearbeitet. Auf einmal sagten sie mir, dass die Polizei mich suchen würde.“ Weil sie keinen anderen Ausweg sah, folgte sie der Gruppe in die Berge. „Ich weiß nicht, ob es die richtige Entscheidung war. Aber ich hatte Angst, also bin ich hierher gekommen“

"Kein Schritt zurück: Befreiung oder Tod". Den Kampfspruch der ELN trägt jedes Mitglied an einer Kette um den Hals

„Kein Schritt zurück: Befreiung oder Tod“. Den Kampfspruch der ELN trägt jedes Mitglied an einer Kette um den Hals. Seitdem die Guerilla im Januar einen Anschlag auf eine Polizeiakademie verübt hat, bei dem 21 Menschen getötet wurden, sind die Friedensverhandlungen zwischen Regierung und ELN ausgesetzt. Ein Ende der Kämpfe ist nicht in Sicht

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.