Bergsteigen ist eine der wenigen Sportarten, bei denen eine falsche Entscheidung dramatische Konsequenzen haben kann: Steinschlag, Spalten oder Lawinen können den Trip schnell beenden. Dabei ist das Wort Risiko für mich überhaupt nicht negativ behaftet. Ich weiß, dass ich Risiken eingehen muss, um weiterzukommen. Da ich ein Sicherheitsfetischist bin, war für mich das größte Wagnis in meinem Leben, das Bergsteigen zu meinem Beruf zu machen.
Eigentlich hatte ich nach dem Abitur schon einen anderen Plan: erst ein bisschen bergsteigen, dann Medizin studieren. Von den Noten her hätte das gepasst. Meinem Vater, der als Tischler arbeitet, hätte eine akademische Laufbahn gefallen. Doch war dieser sicherere Weg des Studiums wirklich der, den ich gehen wollte? Oder sollte ich es mit dem professionellen Bergsteigen versuchen?
Keine einfache Entscheidung, denn dafür gibt es ja weder ein Studium noch eine Ausbildung. Und dann komme ich auch noch aus Ostwestfalen, wo es nicht mal Berge gibt. Aber was soll’s. Immerhin gab es eine Kletter-AG in meiner Schule. Mit Anfang zwanzig begann ich, höhere Berge zu besteigen. Im April 2014 gelang mir eine Solobesteigung der etwa 6.800 Meter hohen Ama Dablam in Nepal. Ein Jahr später befand ich mich gerade im Basecamp des Mount Everest, als plötzlich eine riesige Lawine anrollte und alles unter sich begrub. Ich hatte Todesangst – aber ich überlebte und fühlte mich danach wie wiedergeboren. Und sah plötzlich alles glasklar vor mir: Ich wollte den riskanten Weg gehen und Profibergsteiger werden.
„Später habe ich Angst vor dem Stürzen bekommen. Beim Training in der Kletterhalle stürze ich absichtlich aus verschiedenen Höhen“
Wenn ich bergsteige, vergesse ich alles andere um mich herum. Es gibt nur die Gegenwart, und in der muss ich ganz bewusst sein, um keine Fehler zu machen. Natürlich habe ich auch Angst. Nur darf die Angst keine Kontrolle über mich haben, sondern sie muss einen Fokus erzeugen auf das, was ich gerade tue. Dann ist auch die Angst positiv zu bewerten. Als Kind hatte ich sogar Höhenangst. Das Klettern hat mir dabei geholfen, sie zu überwinden. Später habe ich Angst vor dem Stürzen bekommen. Beim Training in der Kletterhalle stürze ich absichtlich aus verschiedenen Höhen. Ich sage mir immer: Nur wer fällt, dem wachsen Flügel.
Heute, mit 28 Jahren, kann ich vom Bergsteigen leben. Ich halte Vorträge, habe Sponsoren und auch ein Buch geschrieben. Zuletzt noch ein kleines E-Book, in dem
ich erkläre, warum gerade Faulheit erfolgreich machen kann. Dabei geht es nicht ums Nichtstun, sondern um fokussiertes Tun. Aktuell lebe ich in Frankreich und habe ein sehr gutes Trainingscamp direkt vor der Haustür: den Montblanc. Heute fragen mich meine Eltern nicht mehr, ob ich nicht doch lieber Medizin studieren möchte. Und das, obwohl ich noch nicht mal eine Rentenversicherung habe.
Zivilcourage beweisen, seine Träume verfolgen oder Ängste bezwingen – ein bisschen Risiko kann sich lohnen. In unserer Reihe berichteten neben Jost zwei weitere Menschen vom Wagnis ihres Lebens.
Illustration: Studio Pong