Thema – Corona

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Mach mal langsam

Die „Degrowth“-Bewegung fordert seit Jahren weniger Wachstum. Kommt ihr die Corona-Pandemie da gelegen? Unsere Autorin hat sich auf der Strategiekonferenz umgesehen

  • 6 Min.

Timelines und Nachrichtenseiten waren in den vergangenen Monaten mit einem Thema gefüllt: der Corona-Pandemie. Es ging um Infektions-, aber auch Wirtschaftszahlen. Wie katastrophal es ist, dass sie schrumpft, las man. Nur: Wäre es eigentlich so schlimm, wenn die Wirtschaft nach der Pandemie nicht wieder höher, schneller und größer würde, sondern niedriger, langsamer und regionaler?

Dafür wirbt seit einigen Jahren die „Degrowth“-Bewegung. „Entwachstum“ soll heißen, die Wirtschaft nicht an Profit und Wachstum, sondern an Mensch und Natur auszurichten. Klingt schön, doch bleibt die Diskussion meist ein akademisches Luftschloss. Um das zu ändern, traf man sich nun zur großen Konferenz – nicht wie geplant in Wien, sondern im Internet. Unsere Reporterin hat sich ihren gemütlichsten Pyjama angezogen, eine große Kanne Tee gekocht und sich mit dem Laptop aufs Sofa gelegt. Das sind ihre drei wichtigsten Erkenntnisse:

1. Die Wirtschaft schrumpft gerade: Das ist aber kein „Degrowth“

Gleich zu Beginn ein Dämpfer. Auf dem Podium wird klargestellt: Was wir gerade erleben, ist kein „Degrowth“. Ja, die Wirtschaft schrumpft weltweit, aber das war so nicht geplant. Und genau da liegt der Unterschied: Bei „Degrowth“ geht es darum, dass wir uns vom Zwang des Wachtsums lösen und uns auf ein gutes Leben für alle, Lebewesen wie Planet, konzentrieren. Denn Wachstum ist endlich. Wie das funktionieren könnte? Weniger individuell kaufen, mehr gemeinsam nutzen; mehr reparieren und Konsum generell hinterfragen; weniger staatliche Hilfen für den Flugverkehr, mehr Förderung für die Bahn; weniger Arbeitsstunden, dafür mehr Freizeit. Weniger, weniger, weniger: Das soll nicht nur jede*r Einzelne im Kleinen, sondern die Gesellschaft als ganze umsetzen. Nur wie? 

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Degrwoth

Es ist ernst, findet die „Degrowth“-Bewegung und setzt entsprechende Gesichter auf …

Vor allem der globale Norden soll verzichten. Vom Ende der „imperialen Lebensweise“ spricht der Politikwissenschaftler Ulrich Brand. Damit meint er, dass die reichen Staaten ihren Wohlstand auf Kosten von Umwelt und Arbeitskräften des globalen Südens nicht nur stützen, sondern auch ausbauen. Das treibe die soziale Ungleichheit und die Klimakrise voran. Um dem entgegenzusteuern, ist vor allem eines wichtig: Umdenken.

Der Gedanke, dass die Wirtschaft schrumpfen könnte, macht vielen Angst: Aktuell baut unser wirtschaftliches, politisches und gesellschaftliches System auf Wachstum auf. Unser wichtigster Messwert dafür ist das Bruttoinlandsprodukt. Eine zentrale Forderung von „Degrowth“ ist daher, das BIP durch andere Indizes zu ersetzen. Warum erhebt man nicht das Glück, die Chancengerechtigkeit oder Gesundheit in einer Gesellschaft? Wenn man das Allgemeinwohl erfassen würde, würde der Fortschritt jenseits von wirtschaftlichem Wachstum kenntlich, heißt es auf dem Podium.

2. Der Wandel kommt von unten, nicht von oben

Vieles auf der Konferenz bleibt abstrakt und akademisch, obwohl es eigentlich um konkrete Strategien gehen sollte. Umso spannender wird es, wenn bei den Livediskussionen Personen sprechen, die Erdachtes bereits im Kleinen in die Tat umgesetzt haben.

Armin Bernhard ist einer der wenigen Speaker, die nicht vor einem brechend vollen Bücherregal sitzen, sondern in einer Holzhütte in dem kleinen Dorf Mals in Südtirol. Mit rollendem R erklärt er, warum sich bei ihm im Dorf die globalen Konfliktfelder im Kleinen widerspiegeln. Während die Apfelmonokulturen in Südtirol in Pestizidwolken gehüllt werden, halten die Bewohner*innen dagegen. Sie hätten keine Lust auf industrielle Landwirtschaft, Wettbewerb und Spekulationen. Also tun sie sich zusammen und stellen sich gegen die Agrarlobby. Mit Erfolg. Nach einem Referendum wurde beschlossen, dass die Gemeinde pestizidfrei bleiben soll. Sie hätten kürzlich eine Bürgergenossenschaft gegründet, die die Gestaltung der Region mitbestimmt. Ganz ohne Druck von außen und ohne Blick auf Zahlen. Armin sagt, dass es für Transformation Laboratorien der Zukunft benötige – und so eines möchte Mals sein. 

„Kein Reichtum und Privilegien für wenige, mehr Geld und Chancen für alle. Aber wer verzichtet schon gern auf den eigenen Wohlstand?“

Der Meinung ist auch die Mehrheit der Diskutant*innen. Neben regionalen Initiativen wie der in Mals braucht es eine breite Masse, die eine 180-Grad-Wende hinlegt. Zentrale Verbündete, um dies zu erreichen: die Gewerkschaften. In einer Diskussion stellt Anna Daimler, Vorsitzende der Gewerkschaft Vida, jedoch klar, dass das Verhältnis zu „Degrowth“ kompliziert sei. Die Aufgabe einer Gewerkschaft sei es, Arbeit zu sichern – nicht zu reduzieren. Die „Degrowth“-Bewegung spricht jedoch von einer Woche mit 30 oder weniger Arbeitsstunden. Dafür soll es den gleichen Lohn geben. Alles machbar, so die Verfechter*innen, wenn Manager auf ihre großzügigen Gehälter verzichten würden. Wie man die Leute davon genau überzeugen soll und ob es nicht doch Zwangsmaßnahmen geben würde, bleibt offen.

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Armin Degrowth

… erst als Bauer Armin spricht, fühlt sich die Reporterin gut unterhalten. Er erzählt, wie Wandel im Kleinen funktioniert

3. Die Corona-Pandemie hilft – ein bisschen

Ab Mitte März trendete in europäischen Städten #stayathome. Menschen, die jedoch auf der Straße leben, konnten dem nicht folgen. Laut Schätzungen sind es in Europa etwa 700.000. Ausreichend Wohnraum für alle würde es jedoch geben, so die Architektin Gabu Heindl. Er müsse nur richtig umverteilt werden. Und damit kommt man an einen kritischen Punkt. „Degrowth“ fordert die Umverteilung von Ressourcen aller Art. So auch die des Vermögens. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auf. Etwa 2.100 Personen besitzen mehr Gesamtvermögen als die unteren 60 Prozent der Weltbevölkerung. Die „Degrowth“-Bewegung fordert nicht weniger als: kein Reichtum und Privilegien für wenige, sondern mehr Geld und Chancen für alle. Aber wer verzichtet schon gern auf den eigenen Wohlstand? 

Während der Vorträge wird daher heiß diskutiert, wie man die Ideen besser kommunizieren könnte. Und da kommt Corona wieder ins Spiel. Auch wenn die Corona-Krise keinen Grund zum Jubeln gibt, sehen sie viele als Chance, um auf „Degrowth“ aufmerksam zu machen. Es sei ein guter Moment, um Menschen zu verdeutlichen, dass man nicht weitermachen könne wie bisher. Den Menschen werde während der Krise vorgeführt: Staaten und internationale Organisationen können handlungs- und zahlungsfähig sein und Maßnahmen beschließen, die in normalen Zeiten unvorstellbar waren. 

Titelbild: Frieder Blickle/lOliver Ruether/laif

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.