Corona ist für alle eine Gefahr – besonders für Medizinpersonal und Pflegekräfte, die ständig mit den schlimmsten Folgen konfrontiert sind. Antje Holst und Agop Hacikoglu leiten die Intensivstation des Agaplesion Diakonieklinikums Hamburg. Ein Gespräch über Angst, Hilflosigkeit und, trotz allem, die Liebe zum Beruf
Frau Holst, Herr Hacikoglu, seit mehr als einem Jahr behandeln Sie auf Ihrer Intensivstation Coronapatientinnen und -patienten. Wie geht es denn Ihnen selbst damit?
Holst: Viele Menschen da draußen verstehen nicht, dass Covid-Patienten für uns sehr belastend sind und sehr viele Ressourcen binden. Nahezu alle Krankenhäuser haben ein komplettes Besuchsverbot. Dadurch haben schwer kranke Patienten keine Freunde und keine Familie am Bett. Stattdessen müssen wir sie mit unserer Empathie und unserer Fürsorge durch die Zeit tragen. Das geht einem schon nahe.
Ihre Arbeit birgt auch für Sie selbst Gefahren. Sind Sie mittlerweile geimpft?
Holst: Ja, beide.
Hacikoglu: Sogar als einer der Ersten.
Ist Ihre Angst, sich bei den Kranken zu infizieren, dadurch gesunken?
Holst: Ich würde es eher Respekt nennen, wir haben ja unsere Schutzausrüstung. Auch sonst gehen wir mit hochinfektiösen Patienten um. Das ist für uns nicht neu. Neu ist, dass man sich acht Stunden lang extrem schützen muss. Wir können nicht einfach in ein Zimmer reinrennen, wenn wir sehen, dass der Patient Luftnot hat. Erst müssen wir uns selbst schützen. Diese 30 Sekunden auszuhalten, in denen es dem Patienten schlecht geht, in denen er vielleicht Todesangst hat, um unsere Schutzkleidung anzuziehen: Das fiel vielen schwer. Aber Eigenschutz geht vor. Das Risiko liegt ja auch jetzt nicht bei null Prozent. Wir dürfen nicht nachlassen in der eigenen Vorsicht.
Fühlen Sie sich auch vom Rest der Bevölkerung genug geschützt?
Hacikoglu: Es ist schon manchmal beängstigend, wie leichtfertig Leute damit umgehen. Sie sind sich nicht darüber im Klaren, was diese Krankheit mit sich bringen kann. Früher dachte man: Na ja, es sind die Alten und Vorerkrankten. Aber das hat sich sehr drastisch geändert. Auch wirklich junge, die nicht vorerkrankt sind, können einen schweren Verlauf haben.
Erschwert es Ihnen die Arbeit, wenn Sie sehen, dass da teils auch jüngere Patienten liegen?
Hacikoglu: Das ist natürlich ein Problem. Wenn da ein Ende-30-Jähriger liegt und man betreut ihn als Pfleger mit Mitte zwanzig, dann merkt man schon, wie nahe einen diese Krankheit auch persönlich betreffen kann.
Holst: Die Patienten haben Familie, die haben einen Job, vielleicht haben sie sich gerade ein Haus gekauft. Es gibt einen Zeitraum zwischen 7 und 14 Tagen, in denen sich entscheidet, ob ein Patient über einen Schlauch beatmet werden muss oder nicht. In diesen Tagen trägt man die Patienten, die in Todesangst sind, mit Worten und Gesten durch die Zeit. Mit solchen Existenzfragen konfrontiert zu werden ist natürlich auch für unsere jungen Pflegekräfte eine erhebliche Belastung. Wir haben kein Medikament, das man geben kann, und dann wendet es sich zum Guten. Wir haben nur Medikamente zur Unterstützung. Man steht also daneben und wartet, in welche Richtung der Mensch gewissermaßen kippt. Auch das muss man aushalten können.
Hat die Pandemie auch Ihr Leben jenseits des Jobs verändert?
Hacikoglu: Ich bin nebenher Fußballtrainer, dem kann ich jetzt natürlich nicht nachkommen. Ich werde immer wieder mal von meinen 15- und 16-jährigen Spielern angeschrieben, weil die das nicht nachvollziehen können. Als Trainer ist man natürlich auch Vorbild und erklärt dann, warum, weshalb und wieso. Man ist schon so eine Art Anlaufstelle für Freunde und Familie.
Holst: In der ersten Coronawelle war es so, dass manche Ärztinnen oder Pfleger in ihrem Bekanntenkreis nicht gern gesehen waren, weil man Angst davor hatte, sich bei ihnen zu infizieren. Dann war man komplett isoliert. Immerhin konnten wir zur Arbeit gehen und uns mit Kollegen austauschen. Die Beziehungen innerhalb des Teams sind dadurch viel enger geworden.
„Die Pandemie sollte uns eine Lehre sein, dass die Sparmaßnahmen den Gesundheitssektor an seine Grenzen bringen“
Es gibt immer noch Menschen, sogar einzelne Mediziner, die das Coronavirus als harmlos abtun. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie das hören?
Holst: Ich würde Coronaleugner gerne mal in eine Reha schicken. Da können sie sehen, was es mit Menschen um die dreißig macht, die einen „milden“ Verlauf haben und danach nicht mehr arbeitsfähig sind. Es ist ja nicht nur die Lungenkrankheit Corona. Ich habe viel mehr Angst davor, einen milden Verlauf und dann neurologische Symptome zu haben. Diese krassen neurologischen Ausfälle, dass man nicht mal mehr zwei Zeilen lesen kann.
Fühlen Sie sich heute wertgeschätzter in Ihrer Arbeit als vor der Pandemie?
Hacikoglu: Ich persönlich fühle mich wertgeschätzt, Klatschaktion hin oder her. Ich mache meine Arbeit liebend gern. Aber diese Pandemie sollte uns eine Lehre sein, dass die Sparmaßnahmen den Gesundheitssektor an seine Grenzen bringen.
Was würden Sie sich für die Zeit nach der Pandemie wünschen?
Holst: Dass vieles mehr wertgeschätzt wird. Dass man dem alten Nachbarn beim Einkauf hilft. Dass man sich auf Verabredungen freut. Dass man sagt: Dieser Moment ist mir wichtig, du bist mir als Mensch wichtig, also packe ich mein Telefon weg, um mich auf die Situation zu konzentrieren. Dieser Blick für den anderen, der offene Blick. Dass der erhalten bleibt, das würde ich mir wünschen.
Fotos: Patricia Kühfuss/laif