Nach unserem Heft zum Thema Wohnen habt ihr uns geschrieben, warum es in eurer WG zu Zoff kommt. Wir haben vier WG-Streits mit der Mediatorin Stephanie Warsow besprochen. Sie kann aus der Ferne zwar keine vollständige Mediation geben, aber Tipps, die euch zu einer Lösung führen können.
„Ein Mitbewohner hält sich gar nicht an den Putzplan, der andere macht schlampig sauber. Wie einigen wir uns auf einen Sauberkeitsstandard?“
Stephanie Warsow: Ein WG-Klassiker und trotzdem jedes Mal ganz individuell. Ich verstehe die Frage völlig, aber so eng gefasst minimiert sie den Raum für spätere Lösungen. Ich rate euch deshalb, einen Schritt zurück zu machen: Geht es wirklich um eine gemeinsame Vorstellung von einer sauberen Wohnung? Um den Wunsch, die Hausarbeit fair aufzuteilen? Oder gibt es vielleicht ganz andere Bedürfnisse als Sauberkeit? Also: Seid ihr euch über euren Konflikt einig?
Um sich einer Lösung zu nähern, empfehle ich die Methode der achtsamen Kommunikation. Dafür
-
setzt ihr euch zusammen
-
und startet das Gespräch ganz anders als sonst: in Stille. Eine Minute achtet jeder darauf, wie er sich fühlt und welche Stimmung er bei den anderen wahrnimmt. (Ihr werdet merken: Eine Minute zieht sich, manche fangen derweil aus Verlegenheit automatisch an zu putzen.)
-
Dann beginnst du, den Konflikt zu schildern. Wie empfindest du die Situation? Bleib bei dir, vermeide Bewertungen oder Anschuldigungen. Für die anderen gilt: zuhören, keine Fragen, keine Kommentare, kein Augenrollen.
-
Jetzt gibt dein Sitznachbar wieder, was er verstanden hat. Während er spricht, gelten dieselben Regeln: zuhören, nicht unterbrechen.
-
Sobald er fertig ist, darfst du ihn korrigieren, bis du dich wirklich verstanden fühlst.
-
So geht ihr reihum.
Wenn euer Thema wirklich die Sauberkeit ist, überlegt euch eine gemeinsame Frage. Vielleicht wird aus „Wie einigen wir uns auf einen Sauberkeitsstandard?“ dann etwas Allgemeineres wie „Wie verteilen wir die Aufgaben im Haushalt gerecht?“. Jetzt sucht ihr Lösungen: Schreibt auf, was euch einfällt. Wichtig für das Brainstorming: Alles darf aufgeschrieben werden, die Lösungen dürfen Spaß machen und auch völlig utopisch sein. Anschließend schaut ihr, welche Idee umsetzbar ist und für alle passt.
Mitbewohner haben nicht nur Wünsche, sondern auch Rechte. Wir haben die wichtigsten zusammengestellt
Achtsame Kommunikation ist ungewohnt und erst mal irre anstrengend. Aber dank der Methode hören sich viele das erste Mal zu, ohne sofort in Trotz („Macht doch, was ihr wollt“), Wut („Den nächsten dreckigen Topf zieh ich dir über den Schädel“) oder Anschuldigung („Du putzt nie“) zu verfallen. Allein die Trennung von Emotions- und Sachebene hilft oft schon, eine Lösung zu finden. Zum Beispiel Eltern, die einmal im Monat zum Putzen kommen.
(Aber mal im Ernst: Konkrete Lösungen schlage ich absichtlich nicht vor. Was bei anderen gut klappt, lässt sich nicht kopieren, und servierfertige Tipps machen blind und unkreativ für eigene Lösungen.)
„Ich bekomme Bafög, müsste also eigentlich keine Rundfunkgebühr zahlen. Mein Mitbewohner besteht aber auf meine Beteiligung. Was jetzt?“
Für ein Gericht wäre eure Sache klar: Wer BAföG erhält, muss keine Rundfunkgebühr zahlen. Deshalb sind Gerichte aber auch für Urteile zuständig, nicht für Konfliktlösungen.
Die finanzielle Schere zwischen Studierenden ist groß. Ich erlebe oft, dass es beim Thema Finanzen zu Problemen kommt. Eventuell geht es deinem Mitbewohner gar nicht unbedingt um die 8,75 Euro (eine halbe Rundfunkgebühr) im Monat. Sondern um Werte wie Fairness oder Gemeinschaft.
Um das herauszufinden, kann ich wiederum zur achtsamen Kommunikation raten (siehe oben). Wenn ihr euch zugehört und die Sichtweise des anderen verstanden habt, schreibt ihr Lösungsideen auf Zettel, die ihr sichtbar aufhängt. Jeder darf drei Stimmen verteilen. Ist die Lösung mit den meisten Stimmen okay für euch beide? Probiert sie aus und setzt euch in zwei Monaten einen Termin, bei dem ihr überprüft, ob die Lösung für beide Seiten funktioniert. Erkennt ihr mehrere Konflikte, schreibt ihr zuerst alle Konflikte auf Zettel und stimmt dann ab, welchen ihr zuerst angeht.
„Wie bringe ich (Typ Zweck-WG) meiner Mitbewohnerin (WG-Vorbild „Friends“) freundlich bei, dass ich nicht jeden Abend mit ihr kochen oder Serie schauen möchte?“
Du stellst dir euer Zusammenleben anders vor und möchtest ihr das „freundlich“ beibringen. Damit hast du die Konfliktlösung schon vorbereitet: Konflikte empathisch anzusprechen, also so, dass sich der Empfänger gehört und verstanden fühlt, ist eine der wichtigsten Techniken zur Konfliktlösung. Wir nennen das Konzept gewaltfreie Kommunikation:
Schritt 1: Beschreibung (Was ist meine Bobachtung? Ohne Beurteilung)
„Mir ist aufgefallen, dass wir in letzter Zeit täglich zusammen gekocht haben.“
Schritt 2: Gefühl (Was löst das bei mir aus?)
„Ich fühle mich dabei zunehmend unter Druck.“
Schritt 3: Bedürfnis (Was ist mein Bedürfnis?)
„Ich möchte meine Abende gerne freier gestalten.“
Schritt 4: Bitte (Was ist meine konkrete Bitte an mein Gegenüber?)
„Bitte lass uns eine Regelung für gemeinsame Aktivitäten finden.“
Gewaltfreie Kommunikation ist denkbar einfach. Und wird dir vielleicht trotzdem schwerfallen, weil man nicht drauflosreden kann, sondern reflektieren und seinen Beitrag auf eine klare Bitte hin strukturieren muss. Wenn dir das gelingt, kann es trotzdem sein, dass deine Mitbewohnerin enttäuscht ist. An dem Punkt könnt ihr die gewaltfreie Kommunikation fortsetzen. („Ich sehe, du bist enttäuscht. Das macht mich traurig, ich möchte, dass wir uns in der WG wohlfühlen. Können wir uns morgen in Ruhe zusammensetzen und überlegen, wie eine Regelung für gemeinsame Aktivitäten aussehen könnte?“)
„Meine Mitbewohnerin und mein Mitbewohner können sich nicht ausstehen und laden ihren Frust übereinander bei mir ab. Ich will auf keiner Seite stehen. Soll ich weiter deeskalieren, obwohl mich das belastet?“
Im ersten Schritt würde ich dir raten, dich nicht mit der WG zusammenzusetzen, sondern mit dir selbst: Was willst du genau? In Ruhe gelassen werden? Den Streit lösen? Sollen deine Mitbewohner*innen ihn unter sich lösen? Oder ihr drei zusammen?
Zweiter Schritt: Teile deiner Mitbewohnerin und deinem Mitbewohner deine Bitte mit, bestenfalls mithilfe der gewaltfreien Kommunikation. Je nachdem, wie offen sie vorher gesprochen (oder gestritten) haben, kann schon „deine Offenbarung“ viel bewirken. Ihnen zum Beispiel bewusst machen, dass du unter der Situation leidest. Oder dass du schon Ideen hast, wie ihr den verfahrenen Konflikt auflöst. Ein wichtiges Learning aus meinen Mediationen: Unterschätze nie, wie kraftvoll eine konkrete Bitte sein kann!
„Wir – zwei Haupt-, zwei Untermieter – sind seit acht Jahren eine WG und waren immer sehr vertraut. Jetzt möchte ein Hauptmieter die Wohnung für sich und schlägt vor, eine Münze zu werfen. Sollen wir das Glück entscheiden lassen? Und ist die „Auslosung” Sache der Hauptmieter oder sollten alle mitreden?“
Zwei Hauptmieter, zwei Untermieter, zwei straighte Fragen: schwierig. Um das zu entzerren, ist wichtig, dass die Betonung der (Vor-)Rechte des Einzelnen aus unserem „anerzogenen“ Anspruchsdenken stammen. Diese Rechte, von denen die Untermieter formal weniger haben, sollten für eure Lösungsfindung also erst mal keine Rolle spielen. Das ist für die Argumentation ungewohnt.
„Lasst euch nicht entmutigen, falls ihr mit diesen Tipps nicht weiterkommt. Das heißt nicht, dass euer WG-Streit unlösbar ist“
Um nicht gleich bei einer Lösung zu landen, die gar nichts mit eurem tatsächlichen Konflikt zu tun hat, rate ich wieder zum vielleicht entscheidenden Schritt zurück: Was wollt ihr eigentlich? Geht es euch wirklich darum, gerecht auszulosen, wem die Wohnung gehört? Dann ist ein Münzwurf eine schnelle Lösung. Ist eine Auslosung die einzig faire Option? Oder ist euch eigentlich daran gelegen, die WG so umzustrukturieren, dass alle bleiben können?
Kurz: Ihr müsst verstehen, wer was will. Und erkennen, ob noch alle Parteien bereit sind, eine Lösung zu finden. Das ist die absolute Voraussetzung. Wenn ihr achtsam kommuniziert und wirklich ins Verstehen kommt, empfinden es am Ende vielleicht sogar alle als fair, eine Münze zu werfen. Lasst euch nicht entmutigen, falls ihr mit diesen Tipps nicht weiterkommt. Das heißt nicht, dass der Konflikt unlösbar ist. Ihr könnt nach den teils kostenlosen Mediationsangeboten der Studentenwerke (auch Sozialberatung genannt) suchen oder als WG zusammenlegen und euch einen Mediator suchen. Das kann günstiger sein, als auszuziehen.
Stephanie Warsow arbeitet als Mediatorin und Kommunikationstrainerin. Ihre Berufswahl ist ein bisschen autobiografisch: Auch Stephanies WG stand mal so uneins vor der Frage, wie die Wohnung aufgelöst wird, dass schon um die Kosten für Umzugskartons gestritten wurde. Heute haben sich die Wogen geglättet, die Ansätze der Mediation hätten ihr damals bestimmt geholfen. (Foto: privat)
Titelbild: Jan Q. Maschinski / AD David Dörrast