Thema – Terror

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Mal Glatze, mal Vollbart

Kann ein Linksterrorist zum Rechtsextremisten werden? Oder ein Nazi zum überzeugten Salafisten? Kommt öfter vor, als man denken würde

Seitenwechsel

„Doch unsere Herzen sind rot, rot, roter als Blutkonserven / Und wenn der Tod kommt, dann werden wir sterben / Wie Krieger, wie Menschen, die lieber hängen als Zwängen zu unterliegen.“

„Es gibt keine Kämpfer innerhalb der linken Szene, […] kein Ehrgefühl. Diese Leute sind Flaschen. Die werfen aus 30 Metern Entfernung Steine auf Nationalisten, die sich auch im ehrbaren Nahkampf stellen würden.“

Zwei Aussagen. Zwei Botschaften. Zwei politische Lager, die, auf den ersten Blick, gegensätzlicher kaum sein könnten. Hier ein Treuebekenntnis zur linksextremen Szene, verpackt als Songtext auf dem 2008 veröffentlichten Album „Alarmstufe Rot“. Dort der Hohn eines überzeugten Neonazis in Richtung Antifa. Das Überraschende an diesen Zitaten ist, dass hinter beiden ein und dieselbe Person steht: der Musiker Julian Fritsch, geboren 1988, alias MaKss Damage.

„Diese Fälle helfen uns, besser zu verstehen, wie die Szenen funktionieren“ 

Zwischen beiden Aussagen liegen knapp drei Jahre. Und ein Gesinnungswandel quer über das politische Spektrum. Dass Extremisten ihre Gruppen verlassen, ist bekannt. Doch manchmal folgt auf den Ausstieg keine Abkehr vom gewalttätigen Aktivismus – sondern der Übertritt ins zuvor „feindliche“ Lager.

Der Politikwissenschaftler Daniel Köhler, der 2014 das Deutsche Institut für Radikalisierungs- und Deradikalisierungsforschung gründete, sagt, dass Extremisten die Seiten wechseln, sei ein bislang wenig beachtetes Phänomen: „Doch diese Fälle helfen uns, besser zu verstehen, wie diese Szenen funktionieren und ob es sogar verbindende Elemente gibt.“

Dafür hat Köhler zum Beispiel den Lebenslauf von Horst Mahler studiert, dem wohl bekanntesten Überläufer der 68er-Bewegung, der einen ähnlichen ideologischen Weg wie Julian Fritsch ging. Mahler hatte sich in den Sechzigerjahren der linksextremen Szene angeschlossen und war 1970 an der Gründung der Roten Armee Fraktion beteiligt, deren frühe Mitglieder er zunächst als Anwalt vor Gericht verteidigte, bevor er selbst in den bewaffneten Untergrund ging. Während seiner Zeit im Gefängnis kam es zum Bruch mit seinen einstigen Verbündeten. Seit den späten Neunzigerjahren tritt Mahler offen als Rechtsextremist auf, der den Holocaust leugnet und davon spricht, dass „Hitler der Erlöser des deutschen Volkes“ war und „Gott will, dass das Deutsche Reich wieder aufersteht und den Judaismus überwindet“.

Wechsel ja, Wandel nein

Mahler selbst erklärte die scheinbare 180-Grad-Wende seiner politischen Gesinnung nicht als Übertritt von links nach rechts, sondern als eine „Entwicklung“. Und die ist es im Grunde auch: vom antisemitischen, antiimperialistischen Kommunisten hin zum antisemitischen, antiimperialistischen nationalen Sozialisten. Als „Wechsel ohne Wandel“ bezeichnet der Politologe Köhler diese Art Rechtfertigung. In den Augen der Überläufer haben nicht sie sich verändert – sondern die alten Kameraden, die die „wahren Ziele“ aus den Augen verloren haben.

Derzeit analysiert Köhler über 40 Überläufer-Fälle aus aller Welt – und fand dabei heraus, dass ein Weltbild voller Intoleranz gegenüber dem Judentum und dem westlichen Kapitalismus sowohl im Links- als auch im Rechtsextremismus eine zentrale Rolle spielt. Außerdem geht es häufig um die Ablehnung insbesondere westlicher staatlicher Autoritäten – beispielsweise der Polizei oder des Parteiensystems. Beim Wechsel von extrem rechts nach extrem links steht oft auch die Abrechnung mit der alten Gruppe im Fokus. Etwas komplexer wird es bei Überläufern zum Salafismus, denn hier vollzieht sich auch eine religiöse Konversion, die es so bei den anderen politischen Lagern nicht gibt.

Beim Wechsel in ein einstmals feindliches extremes Umfeld gehe es auch darum, so Köhler, sich selbst als starken Charakter mit ehrenhaften Überzeugungen darzustellen. Nicht man selbst ist Verräter, sondern die anderen. So spricht auch der Neonazi und Ex-Linksradikale Julian Fritsch in einem Interview von „ständigen Intrigen“, von fehlender Kameradschaft und mangelndem Aktionismus in seiner einstigen Szene. Auf eine Ideologie, die ihren Worten keine Taten folgen lasse, könne er verzichten. Deshalb habe er aufgehört, sich selbst zu belügen, und sei zu den „wirklichen Patrioten“ gekommen. Auch im rechtsextremen Milieu ist Fritsch allerdings schon angeeckt. Unter anderem bezichtigte er Kameraden, mit der Polizei zu kooperieren und die rechte Ideologie nur zum Geldverdienen zu nutzen.

„Manche von uns hatten Hämmer dabei. Wir wollten nicht diskutieren, sondern diese Leute einfach nur zerstören“ 

Der gebürtige Londoner Matthew Collins, der einst zu den mächtigsten Personen der rechtsextremen Partei British National Front (BNF) und der militanten Gruppierung Combat 18 gehörte, wechselte ins linksextreme Lager. Als Teenager kam er erstmals mit der extrem rechten Szene in Kontakt. Dort fühlte er sich aufgehoben, verstanden, unterstützt. Und rutschte immer tiefer in den rechten Sumpf, Gewalt stand auf der Tagesordnung. Sie habe ihm auch „Spaß gemacht“, so Collins. Bis zu einem Sommerabend 1989. Gemeinsam mit 39 Kameraden stürmte er die Bibliothek des Londoner Stadtteils Welling. Dort hatten sich Bürger versammelt, die besprechen wollten, was man gegen die Präsenz der rechten British National Party in ihrem Viertel tun könnte. „Wir sind da reingestürmt, haben Türen eingetreten, manche von uns hatten Hämmer dabei. Wir wollten nicht diskutieren oder protestieren, sondern diese Leute, dieses Treffen einfach nur zerstören“, sagt Collins. 17 Opfer kamen mit teils schweren Verletzungen ins Krankenhaus.

Als seine Kameraden den Überfall anschließend als heldenhafte Tat verkauften, begann in Collins ein Umdenken: „Dieser Angriff war völlig unverhältnismäßig und unser Umgang damit absolut daneben. Plötzlich dachte ich: Diese Leute erzählen mir auch, der Holocaust hätte nicht stattgefunden. Was, wenn das ebenso gelogen ist?“ Daraufhin vertraute sich Collins dem antifaschistischen Magazin „Searchlight“ an. Drei Jahre lang lieferte er dem „Gegner“ Namen, Gesprächsprotokolle, Angriffspläne und Details über Geldtransfers. Collins hatte nur ein Ziel: die BNF zu zerstören.

1992 war der Informant Collins Teil einer Dokumentation über die Aktivitäten von Combat 18. Obwohl er von einem Schauspieler gemimt wurde, ahnten seine alten Kameraden schnell, wer der Maulwurf war. Eine Woche nach Ausstrahlung der Doku musste Collins das Land verlassen. Zehn Jahre lang versteckte er sich in Australien, ehe er nach London zurückkehrte. Noch heute engagiert er sich in der linksextremen Szene.

Haben viele Überläufer gemein: Judenhass, Antiimperialismus, männliches Geschlecht

Der Ideologiewechsel kann in alle Richtungen stattfinden: von links nach rechts, von rechts nach links, aber auch von links oder rechts zum radikalen Islamismus. Der 29-jährige Sascha L. etwa wandelte sich vom Neonazi zum Salafisten. Aufgewachsen mit häuslicher Gewalt, Drogen und psychischen Problemen, wurde er 2010 im rechtsextremen Umfeld aktiv, hetzte online als „Peter Unsterblich“ gegen Muslime, Einwanderer und die jüdische Gemeinschaft. Seine Freunde im rechtsextremen Milieu versuchte er von den ideologischen Parallelen zum Islam zu überzeugen, allerdings stieß er auf Ablehnung – und entfernte sich von seiner alten Gruppe.

Eine neue Radikalisierung folgte. L. teilte ein Video mit der Fahne des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS), legte den Treueschwur des IS ab und erklärte, Muslime, die diesen Eid nicht leisten würden, seien genauso „abzuschlachten wie die Ungläubigen“. 2017 wurde er wegen der „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz“ zu 39 Monaten Haft verurteilt.

Die typische Persönlichkeit für einen radikalen Ideologiewechsel gäbe es nicht, sagt Terrorismusforscher Köhler. Er habe aber festgestellt, dass fast ausschließlich Männer von einem Extrem ins andere abwandern. Manche von ihnen suchten weiter nach einem Umfeld, in dem sie Gewalt und Macht ausüben können, andere würden sich lange mit einem Sinneswandel beschäftigen. „Bei eher militanten, actionsuchenden Gewalttätern vollzieht sich der Wechsel innerhalb weniger Monate oder Jahre, bei eher intellektuellen Überläufern wie Mahler dauert es mitunter Jahrzehnte“, sagt Köhler.

 

Trotzdem stellte er eine Gemeinsamkeit fest: Die Grenzen zwischen verfeindeten extremistischen Gruppen seien durchlässiger, als Forschung und Gesellschaft bislang angenommen haben. Vor allem Judenhass und Antiimperialismus dienen als eine Art Schnellstraße zwischen feindlichen Lagern.

Illustration: Renke Brandt

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