Thema – Klimawandel

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Ein Stoff macht Karriere

Wasserstoff gilt als klimaschonende Alternative zu Erdgas, Öl und Kohle. Was kann der Energieträger wirklich?

Wasserstoff

Die Idee ist simpel. Da gibt es einen Stoff, der Autos antreiben, Hochöfen anheizen und Erdöl ersetzen kann. Der ohnehin überall auf der Welt vorkommt. Den man über verschiedene Verfahren gewinnen kann. Und der noch dazu keine klimaschädlichen Emissionen verursacht, wenn seine Energie freigesetzt wird. Ein Hoffnungsträger namens Wasserstoff.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz ist begeistert. „Wir befinden uns in der Phase eines großen industriellen Aufbruchs“, sagte er vergangenen Sommer beim Besuch einer Wasserstofftankstelle für Brennstoffzellenzüge in Frankfurt am Main. Und auch Industrieverbände, Privatanleger und Start-ups stimmen immer wieder in das Loblied ein.

Mit Wasserstoff, so liest es sich manchmal, ist das Klimaproblem im Handumdrehen gelöst. Doch wie realistisch ist das wirklich?

Weg von Kohle, Öl und Gas

Besonders für die Schwerindustrie ist Wasserstoff interessant – also überall dort, wo Fabriken viel Energie in Form von Hitze brauchen. In den Hochöfen der Stahlindustrie zum Beispiel reagiert Koks, also Kohlenstoff, mit Eisenerz. Der Koks ließe sich durch Wasserstoff ersetzen, die Stahlproduktion könnte damit emissionsfrei sein. Die Salzgitter AG, einer von Deutschlands größten Stahlproduzenten, testete dazu bereits zwischen 2019 und 2022 ein Verfahren, bei dem sie den Wasserstoff in ihren Glühprozessen und Verzinkungsanlagen einsetzte. Und die Thyssenkrupp AG plant, 2026 ihren ersten wasserstoffbetriebenen Hochofen in Betrieb zu nehmen.

Auch in der Glasindustrie müssen Öfen hohe Temperaturen erzeugen, meist wird dazu Erdgas verbrannt. „Das sind Bereiche der Industrie, die schwer zu elektrifizieren sind“, sagt Dana Kirchem, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Denn so hohe Temperaturen lassen sich nicht einfach mit einer elektrischen Heizspirale generieren. Auch hier könnte die Lösung Wasserstoff sein: Ein kürzlich abgeschlossenes Forschungsprojekt in Nordrhein-Westfalen, an dem auch der Bundesverband der Glasindustrie beteiligt war, fand heraus, dass die Ofentemperatur durch den Einsatz von Wasserstoff ebenso konstant gehalten werden kann.

Allerdings kam es dabei zum Beispiel zu Schwankungen in der Glasqualität. Zudem sind große Investitionen nötig, um die Industrie umzurüsten, und die Verfahren sind bisher nicht wirtschaftlich, es geht schleppend voran. Daher beschränkt sich der Einsatz von Wasserstoff sowohl in Stahl- als auch Glaswerken bisher auf Testprojekte – meist mithilfe von Fördergeldern.

Alle testen, kaum einer macht weiter

Auch im Bereich der Mobilität ist der Einsatz von Wasserstoff denkbar. Denn auf der Straße, der Schiene, den Ozeanen und Flüssen müsste man nicht ganze Fabriken umbauen, sondern lediglich den Antrieb der jeweiligen Gefährte: Treibt Wasserstoff über eine Brennstoffzelle einen Elektromotor an, so dreht sich die Schiffsschraube, rollen die Reifen, rattern die Räder. Das zumindest ist die Theorie.

In der Praxis fährt jedoch bisher kein Schiff mit Wasserstoff. Nur Testprojekte gibt es – wie das Binnenfrachtschiff „Elektra“ auf der Havel. Aber die benötigten Brennstoffzellen müssen sehr leistungsfähig sein – und das ist bisher viel zu teuer im Vergleich zu Schweröl.

Da ist man bei Autos schon weiter, da sie weniger Leistung benötigen: Hyundai und Toyota haben bereits serienmäßige Wasserstoffautos auf den Markt gebracht. Außerdem entwickeln einige Forschungseinrichtungen und Unternehmen synthetische Kraftstoffe, die wasserstoffbasiert sind. Erdölbasiertes Benzin oder Diesel wären damit vermutlich abgemeldet. Der Vorteil der synthetischen Kraftstoffe: Tanklaster, Rohrleitungen und Antriebe blieben die gleichen, nur der Kraftstoff darin würde sich verändern. Aber auch hier gibt es zwar Testprojekte, so weit das Auge reicht – doch nur wenige Autohersteller bringen die Entwicklung ernsthaft voran.

Besser läuft es schon auf der Schiene, zumindest bei Bremerhaven. Da fährt seit Sommer 2022 der Wasserstoffzug „Coradia iLint“ der Firma Alstom. Der Regionalzug fährt dort, wo nur schwer elektrische Oberleitungen installiert werden können. Immerhin: kein Testbetrieb, sondern nach Fahrplan, inklusive Passagiere.

Die wichtigste Frage: Wie entsteht der Wasserstoff?

Die größte Herausforderung des Wasserstoffs ist seine Produktion. Denn er lässt sich nicht einfach aus der Erdkruste fördern und anschließend verbrennen wie Erdgas oder Erdöl. Stattdessen muss man ihn erst aus Wasser herauslösen.

Abhängig davon, wie genau das gemacht wird, gibt es unterschiedliche Formen des Wasserstoffs. 

  • Grüner Wasserstoff, wenn der Strom zum Herauslösen aus erneuerbaren Energiequellen genutzt wird. Dabei entstehen nur Wasserstoff und Sauerstoff, keine Emissionen.
  • Grauer Wasserstoff, wenn Wasserdampf und Erdgas reagieren, um den Wasserstoff zu lösen. Bei diesem Prozess entstehen jedoch auch CO2-Emissionen – zudem muss das Erdgas importiert werden.
  • Blauer Wasserstoff, wenn diese Emissionen anschließend im Erdboden gespeichert werden. Ähnlich wie in einem Atommülllager der Abfall verklappt wird, sollen so die Emissionen von der Atmosphäre ferngehalten werden.
  • Und türkiser Wasserstoff, wenn Methan gespalten wird und neben Wasserstoff auch fester Kohlenstoff entsteht. Auch dieser kann als Granulat in unterirdischen Halden oder alten Bergwerksstollen gelagert werden – und ist so unschädlich für die Atmosphäre.

Bevor man also die Energie des Wasserstoffs nutzen kann, muss man Energie investieren. Kommt die Energie – wie beim grauen Wasserstoff – aus Erdgas, ist wenig gewonnen: Es besteht weiterhin eine Abhängigkeit von ausländischen Erdgaslieferanten wie Russland. Und es gibt wenig Fortschritt beim Klimaschutz, da Emissionen entstehen.

Wasserstoff  (Fotos: Mark Mühlhaus | attenzione | Agentur Focus)
Die Salzgitter Flachstahl geht einen Schritt in Richtung klimaneutraler Stahlerzeugung (Fotos: Mark Mühlhaus | attenzione | Agentur Focus)
 

Anders hingegen beim grünen Wasserstoff: Ein Windrad erzeugt Strom. Dieser spaltet bei der Elektrolyse Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff auf. Und der gewonnene Wasserstoff wiederum ersetzt im Stahlwerk den Koks, in der Glashütte das Erdgas oder treibt über eine Brennstoffzelle ein Elektroauto an. Emissionsfrei – abgesehen natürlich von der Produktion der Windräder, Brennstoffzellenautos und Elektrolyseure selbst. Industrieverbände, Bundesregierung, Klimaschutzinitiativen sind sich einig: wenn Wasserstoff, dann in Grün.

Doch von diesem Ziel ist die Realität aktuell weit entfernt. „Die Nachfrage nach grünem Wasserstoff ist noch nicht hoch, da er noch zu teuer ist“, sagt Dana Kirchem vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Denn eine großflächige Serienproduktion gibt es noch nicht, erst langsam werden geförderte Forschungsprojekte zu einem lukrativen Industriezweig. Wenig Angebot also – und damit wenig Nachfrage. In Deutschland wird deshalb zu über 90 Prozent grauer Wasserstoff eingesetzt. Nach den Plänen der Bundesregierung soll sich das ändern.

Dafür gibt es aber bisher zu wenig Strom aus erneuerbaren Energien. „Grünstrom ist knapp“, sagt Dana Kirchem. Und überall dort, wo der Strom aus Windrad oder Solarpanel genutzt wird, um Wasserstoff herzustellen, geht Strom verloren. Nicht immer sei das sinnvoll. „Wir sollten ihn direkt nutzen, wo es möglich ist.“ Besser sei es, mit dem erneuerbaren Strom direkt die Wärmepumpen oder das Elektroauto anzutreiben, ohne den Umweg über Wasserstoff. In vielen Bereichen ginge es also auch völlig ohne Wasserstoff viel effizienter.

 

Mehr Windparks, mehr Solarparks, und zwar schnell

Dana Kirchem plädiert deswegen dafür, sich erst um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu kümmern: mehr Windparks, mehr Solarparks, und zwar schnell. „Sonst sind alle unsere Pläne von der direkten Stromnutzung bis hin zum Wasserstoff bedeutungslos“, sagt sie.

Die Energiekrise dürfte dem Vorhaben Rückenwind geben: Deutschland bekommt kaum noch Erdgaslieferungen aus Russland, Ende April sollen die verbliebenen drei Kernkraftwerke herunterfahren, und auch der Braunkohleabbau soll nur noch maximal 15 Jahre Energie liefern. Das wird wohl den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen – und damit indirekt auch das Vorhaben der Wasserstoffnutzung. Denn wo mehr Windparks und Solarpanels stehen, da gibt es auch mehr Möglichkeiten, den Grünstrom für die Wasserstoffherstellung einzusetzen.

Dabei könnten auch neue Märkte weltweit eine Rolle spielen. In Nordafrika und dem Nahen Osten zum Beispiel werden bereits diverse Solaranlagen betrieben, viele weitere sind geplant. Sie könnten Grünstrom per Überseekabel auch nach Deutschland liefern. Und an manchen Standorten in Nord- und Westafrika soll bereits Ende dieses Jahrzehnts grüner Wasserstoff produziert werden – der dann per Schiff nach Deutschland kommen könnte. In Zukunft könnten wir also nicht mehr nur mit Öl und Gas aus dem Ausland versorgt werden, sondern auch mit Strom oder grünem Wasserstoff aus Wind- oder Sonnenkraft.

Es braucht noch Zeit – und viel erneuerbare Energie

Die Infrastruktur für die Herstellung des Wasserstoffs hier vor Ort in Deutschland ist jedoch eine Herausforderung. Wo sollen zum Beispiel Elektrolyseure, also die Orte, an denen der Wasserstoff mithilfe des Grünstroms gewonnen wird, stehen? Direkt neben der Tankstelle? Oder doch schon am Windpark selbst? Und wie transportiert man den Wasserstoff am besten, der in flüssiger Form auf etwa minus 250 Grad Celsius oder gasförmig bei sehr hohem Druck gehalten werden muss? „Da wird noch viel geforscht und diskutiert. Aber vieles ist noch nicht klar“, sagt Dana Kirchem. „Wir sollten uns nicht darauf einrichten, dass wir in zehn Jahren eine wasserstoffbasierte Energiewirtschaft haben.“

Ein Fazit, das so mancher Lobesrede einen Dämpfer geben dürfte. Und auch so mancher Aussage von Unternehmen, die im Wasserstoff die schnelle und einfache Lösung für die Klimakrise sehen.

So schön die Vorstellung von einem reinen, emissionsfreien Energieträger auch ist: Bevor Wasserstoff unsere Energieträume Wirklichkeit werden lässt, braucht es noch Zeit – und vor allem viel erneuerbare Energie.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.