Die Rotorblätter des präsidialen Helikopters schneiden durch die Novemberluft, als Donald Trump auf dem Rasen hinterm Weißen Haus vor seinem Abflug noch kurz vor die Presse tritt. Es ist der 26. November 2018, der Präsident trägt einen dunklen Mantel überm Anzug, aber keinen Schal oder gar Handschuhe – das Thermometer zeigt schließlich angenehme zehn Grad.
Trump verzieht das Gesicht, als die ersten Fragen zu einer neuen wissenschaftlichen Studie kommen, die die katastrophalen Folgen des Klimawandels für die US-amerikanische Gesellschaft aufzeigt. „Ich habe den Bericht gesehen, ich habe ein bisschen darin gelesen?…“, sagt er und macht eine Kunstpause, „…? und das ist schon in Ordnung.“ Ob der Klimawandel denn seiner Meinung nach desaströse Folgen für die Wirtschaft habe, hakt ein Reporter nach. „Nein, das glaube ich nicht.“
Den Klimawandel und seine Folgen anzuzweifeln ist in den USA ein weit verbreitetes Phänomen
Was der Präsident dort infrage stellte, ist das „National Climate Assessment“. Ein offizieller Bericht seiner Regierung, an dem über 300 Wissenschaftler und 13 Bundesbehörden zwei Jahre gearbeitet haben. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Klimawandel schon jetzt in den USA zu spüren ist und die Konsequenzen ohne ein Gegensteuern verheerend sein könnten.
Den Klimawandel und seine Folgen anzuzweifeln ist in den USA ein weit verbreitetes Phänomen. In einer Umfrage im Frühjahr 2018 gaben nur 64 Prozent der Befragten an, dass sie glaubten, die globale Erwärmung sei menschengemacht. Dabei hat dort die Zahl verheerender Umweltkatastrophen in den vergangenen Jahren zugenommen. Allein 2017 entstand dadurch ein Schaden von mehr als 300 Milliarden US-Dollar.
Der Trick für Öl- und Gasunternemen: Wenn die Berichterstattung umschlägt, muss man der Geschichte wieder den richtigen Dreh verpassen
Um zu verstehen, warum in den USA dennoch viele Menschen eher „alternativen Fakten“ glauben als wissenschaftlichen Studien, muss man etwas zurückschauen: Die moderne Umweltbewegung in den USA begann in den 1960er- und 1970er-Jahren. Bei zunehmendem Wohlstand der Gesellschaft beschäftigten sich erste Aktivisten mit Fragen, die sich um die Lebensqualität der Bürger drehten. Aus dieser Zeit stammen der Clean Air Act (1963) und der Clean Water Act (1972), 1970 wurde außerdem die Environmental Protection Agency (EPA) gegründet, eine Bundesbehörde, die Umweltschutz „als integralen Teil“ der amerikanischen Wirtschaftspolitik betrachten soll.
Schnell stemmten sich jedoch große Unternehmen der Öl- und Gasindustrie gegen den wachsenden Einfluss der Umweltschützer. Aus Angst vor Einschränkungen ihrer Geschäftsaktivitäten bedienten sie sich eines Tricks, den sie sich bei der Tabakindustrie abgeguckt hatten: Wenn die Berichterstattung umschlägt, muss man der Geschichte wieder den richtigen Dreh verpassen.
Und so fing die Industrie an, eine Reihe von vordergründig unabhängig agierenden Institutionen zu finanzieren. Sogenannte Thinktanks, Forschungsinstitute, PR-Firmen und andere Interessenverbände wie das American Petroleum Institute positionierten Experten, um Forschungsergebnisse anzuzweifeln und eigene Daten zu präsentieren. Mithilfe von Artikeln, Berichten, Werbung und Veranstaltungen wurde die frohe Botschaft verbreitet, wie effizient und vergleichsweise sauber fossile Brennstoffe doch seien.
Heute gibt es mehrere Hundert dieser Interessenvertretungen, die in Washington Lobbyismus für die großen Konzerne betreiben. Eine davon ist das konservative Heartland Institute. Auf seiner Website werden die Abgeordneten, die bei den Wahlen im November 2018 neu ins Repräsentantenhaus gewählt wurden, herzlich begrüßt und darauf hingewiesen, dass „unser für Regierungsangelegenheiten zuständiges Vollzeitteam und mehr als 200 Experten bereitstehen, Ihnen in Politikfragen zu assistieren“.
Gewichte in der Energiepolitik haben sich zugunsten der Industrie verschoben
Wenn es nach dem Heartland Institute ginge, würden sich Politiker dort Tipps für ihre Politik holen. „Im Kongress haben die meisten Abgeordneten kleine Teams, die von Rente über Gesundheit bis Energiethemen alles abdecken müssen“, sagt Robert Brulle, Professor an der Brown University in Rhode Island. „Diese Mitarbeiter sind keine Experten und müssen trotzdem alles verstehen.“ Also kommen die Lobbyisten zu ihnen und erklären, wie die Dinge funktionieren. „Die bringen Daten, Fakten und vorgefertigte Gesetzestexte gleich mit.“ Wenn laut einer Yale-Umfrage 70 Prozent der Amerikaner daran glauben, dass die globale Erwärmung real ist, spiegelt die Politik diese Mehrheitsmeinung kaum wider, sagt Brulle.
Die Gewichte in der Energiepolitik haben sich zusätzlich zugunsten der Industrie verschoben, seit mit dem Republikaner Trump ein Mann aus der Wirtschaft das Präsidentenamt bekleidet, der gar nicht erst von den Lobbyisten überzeugt werden muss. In den ersten 18 Monaten der neuen Regierung hat die Umweltbehörde EPA acht Prozent ihrer Mitarbeiter verloren – Trump wollte sogar jeden fünften entlassen. Und auch inhaltlich hat sich der Wind gedreht. Mit Andrew Wheeler hat Trump einen Mann zu ihrem kommissarischen Leiter bestimmt, der vorher als Lobbyist für die Kohleindustrie gearbeitet hat. So hat die EPA sich darangemacht, eine Vielzahl von klimafreundlichen Einschränkungen der Obama-Ära zurückzunehmen, wie etwa strengere Ausstoßvorgaben für die Stromerzeuger.
„Wir neigen zu übermäßiger Hysterie bei dem Thema“, sagt H. Sterling Burnett. Er ist Energieexperte beim Heartland Institute und nimmt sich ausgesprochen viel Zeit, um zu erklären, warum die ganze Sache mit dieser Erderwärmung nur halb so wild ist: Alle redeten über schmelzende Eisberge, aber in der Antarktis entstünden jährlich Zehntausende Tonnen neues Eis. Der Eisbär sei vom Aussterben bedroht, lebe aber immer noch. Für jede von einer Mehrheit der Forscher anerkannte Klimawandel-Erkenntnis hat Burnett eine Gegenstatistik. Wenn man sie anschließend überprüft, findet man nicht für alles Quellen. Andere Daten stimmen, bloß werden sie auf besondere Weise interpretiert. Denn ja, es gibt noch Eisbären. Doch finden die bei schmelzendem Eis immer schlechter Nahrung – wie ebenfalls diverse Studien zeigen.
Die monetäre Power der Industrielobby ist nicht der einzige Grund, warum die Ideen der Klimaskeptiker in Washington genau wie bei vielen Wählern ankommen
„Das Problem ist, dass mehr Republikaner auf das Heartland Institute hören als auf Wissenschaftler“, sagt RL Miller. „Rund 60 Prozent der Republikaner im Kongress leugnen offen die Effekte des Klimawandels.“ Die Aktivistin hält den Umstand, dass die Menschheit für verheerende Naturkatastrophen verantwortlich ist, nicht für eine Theorie, sondern für bittere Realität. Weshalb sie Climate Hawks Vote gegründet hat, eine Gruppe, die vor allem Politiker der Demokratischen Partei unterstützt, die sich für den Umweltschutz einsetzen. Millers Organisation hilft ihnen unter anderem im Wahlkampf, geht von Tür zu Tür, um Wahlprogramme zu verteilen, oder veranstaltet Kundgebungen für Kandidaten.
Die Mittel von Aktivistinnen wie RL Miller sind begrenzt. Robert Brulle hat in einer umfassenden Studie herausgearbeitet, dass zwischen 2000 und 2016 mehr als zwei Milliarden Dollar für Energielobbyarbeit im amerikanischen Kongress ausgegeben wurden. Das sind 3,9 Prozent aller Lobbygelder in diesem Zeitraum. Dabei übertrafen die Ausgaben der großen fossilen Industrien die von Umweltorganisationen um ein Zehnfaches. So erhielten 21 Senatoren der Republikanischen Partei, die Donald Trump im Sommer 2017 in einem Brief dazu aufforderten, das Pariser Klimaabkommen zu verlassen, in den vergangenen drei Wahlperioden insgesamt mehr als zehn Millionen Dollar an Wahlkampfspenden aus der Kohle-, Gas- und Ölindustrie.
Schlanker Staat, freies Spiel der Märkte, Recht auf permanenten Konsum: Der „American Way of Life“ verträgt sich nicht mit dem Klimaschutz
Doch ist die monetäre Power der Industrielobby nicht der einzige Grund, warum die Ideen der Klimaskeptiker in Washington genau wie bei vielen Wählern auf fruchtbaren Boden fallen. Dafür muss man auch einen Blick in die DNA des Landes werfen: Die individuelle Freiheit steht im Selbstverständnis vieler US-Amerikaner noch immer an erster Stelle. Vor allem die rechtskonservative libertäre Bewegung beschwört die Ideologie eines schlanken Staats, pocht auf ein freies Spiel der Märkte und das Recht auf permanenten Konsum.
Selbst wenn viele dieser freiheitsliebenden Amerikaner die wissenschaftlichen Erkenntnisse sogar akzeptieren, werden Umweltschutzrichtlinien, die die Wirtschaft regulieren und das Individuum einschränken, als Gängelung empfunden. Sie sind ein absolutes No-Go. Oder wie es der frühere republikanische Präsident George H. W. Bush einmal zusammenfasste: „Der American Way of Life ist nicht verhandelbar.“
Seit etwas mehr als zehn Jahren sind die USA nicht mehr der weltgrößte CO₂-Produzent – sondern China. 2016 verursachte das Land mit 9,1 Milliarden Tonnen CO₂ rund doppelt so hohe Emissionen wie die USA mit 4,8 Milliarden Tonnen, es folgten Indien, Russland, Japan – und dann schon Deutschland. Pro Kopf lagen die USA bei knapp 15 Tonnen hingegen deutlich vor China, aber beispielsweise fast gleichauf mit Europas Spitzenreiter Luxemburg (14,51 Tonnen). Weltweit vorn waren die kleineren Golfstaaten wie Katar, Kuwait und Bahrain. Deutschland kam 2016 auf 8,9 Tonnen/Person, der Weltdurchschnitt lag bei 4,78 Tonnen.