Professor Levermann, wir leben in einer Phase der Kriege und Krisen. Kämpfe in der Ukraine, Verschleppungen durch Boko Haram, Entführungen und Mord an Studenten in Mexiko, Tote durch Ebola. Das kippt ein komplexes Problem wie den Klimawandel aus den Schlagzeilen. Macht Ihnen das Sorgen?

Der Klimawandel scheint weit entfernt für viele, das stimmt. Zum einen weit entfernt in der Zukunft, weil zum Beispiel der Anstieg des Meeresspiegels als Folge der globalen Erwärmung Jahrhunderte dauert. Zum anderen weit weg in fernen Ländern, weil besonders Länder wie Bangladesch vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen sind. Aber das wird wahrscheinlich nicht so bleiben.

Wetterextreme, Dürren und Überschwemmungen in anderen Ländern haben auch Auswirkungen auf uns. Wir leben in einer globalisierten Welt. Und: Was da in der Zukunft oder in anderen Ländern passiert, das verursachen wir hier und heute. Wenn wir nicht rasch aufhören, so viel Treibhausgase auszustoßen, dann werden sich noch viele Generationen der Menschheit an uns erinnern. So wie wir heute noch etwa an die Römer denken. Nur dass die Generationen der Zukunft an uns, die wir am Anfang des 21. Jahrhunderts leben, so denken werden: Die damals haben den Anstieg des Meeresspiegels ausgelöst.Was wird sich ändern?

Mal ehrlich: Haben Sie sich schon einmal bei dem Gedanken erwischt: Ein neuer Hurrikan wie Katrina oder Sandy, der auf die US-Küste zuläuft, würde dem Thema wenigstens wieder Aufmerksamkeit bringen?

Solche Unglücksfälle sind tragisch, egal wie viel Aufmerksamkeit sie bringen. Klar ist, dass wir solche Extreme in Zukunft häufiger erwarten, und ich wünsche mir, dass wir handeln, bevor sie kommen, um das Schlimmste zu verhindern. Wenn ich ein Glas in der Hand halte, dann weiß ich, dass es runterfallen würde, wenn ich es losließe. Muss ich das Glas dafür wirklich zerspringen lassen? Es ist einfach Physik.

Früher sprach man von der Klimakatastrophe, heute eher vom Klimawandel. Gut so?

Ja, der Begriff Klimawandel ist besser. Das Wort „Katastrophe“ ist so ein unguter Angstmacher, der nahelegt, hier bricht ganz plötzlich was über uns herein. Die menschengemachte Veränderung des Klimas vollzieht sich aber vielfach schleichend, nur ist sie dadurch nicht weniger tiefgreifend.

Kann es überhaupt funktionieren, ein vielschichtiges wissenschaftliches Thema so rüberzubringen, dass es in der Öffentlichkeit ankommt? Dort sind doch eher ganz einfache Formeln gefragt.

So kompliziert ist das gar nicht. Wir verbrennen Kohle und Öl. Damit blasen wir Treibhausgase in die Luft. Dadurch heizt sich das Klima auf. Und das hat Folgen – nicht nur für die Antarktis und den Amazonas-Regenwald; es sorgt auch für Missernten und Wetterextreme. Nicht immer und überall. Aber insgesamt bedeutet Klimawandel: Risiko und verstärkter Druck auf die Gesellschaft.

Nennen Sie bitte mal ein Beispiel: Welcher komplexe Zusammenhang wird in der öffentlichen Debatte so stark simplifiziert, dass die falschen Schlussfolgerungen daraus gezogen werden?

Nehmen wir den Erwärmungstrend selbst. Angetrieben wird er von den menschengemachten Treibhausgasen, aber zusätzlich gibt es natürliche Schwankungen, etwa durch die komplexen Wetterphänomene El Niño und La Niña im Pazifik. Dadurch gehen die Jahrestemperaturen mal stärker hoch, mal schwächer. Hinzu kommt, dass die Ozeane im letzten Jahrzehnt offenbar mehr Wärme aufgenommen haben als vorher, was leider keine gute Nachricht ist, weil die Wärme ja nicht weg ist, sie ist nur zwischengespeichert. Wenn man sich jetzt nur ein paar Jahre anschaut, sagt mancher Nichtwissenschaftler, die Erwärmung ist vorbei. Das ist aber falsch, weil der Langzeittrend weiter nach oben zeigt. Hier ist Simplifizierung irreführend.

Es heißt: Zwei Grad Erderwärmung sind noch tolerabel, drei Grad nicht mehr. Das versteht kaum jemand. Wie erklären Sie den Unterschied?

Auch unterhalb von zwei Grad verändert sich das Klima, und wir wissen noch nicht, wie stark die Schäden sein werden. Für die internationalen Verhandlungen kann man sich auf gerade Zahlen einigen. Klar ist, dass wir ein Grad schon fast erreicht haben und ein weiteres halbes Grad zukünftiger Erwärmung bereits heute verursacht haben durch die Treibhausgase, die wir bisher ausgestoßen haben. Bei drei Grad sind wir aber relativ sicher, dass starke Veränderungen auf uns zukommen. So verlieren wir dann praktisch alle Korallenriffe der Erde, das arktische Meereis im Sommer ist weg, und der grönländische Eisschild gibt unwiderruflich seine unglaublichen Eismassen in den Ozean. Deshalb haben die Vertreter der Staaten der Welt beim Klimagipfel in Mexiko vor vier Jahren diese Zwei-Grad-Grenze gesetzt.

Es gilt als wahrscheinlich, dass der westantarktische Eisschild bereits zu schmelzen begonnen hat – ein Prozess, der nicht mehr zu stoppen ist und den Meeresspiegel langfristig um mehrere Meter ansteigen lassen wird. Das wäre ein Einschnitt in der Erdgeschichte. Warum wird in der Öffentlichkeit kaum darüber diskutiert?

Das weiß ich auch nicht. Denn in der Tat ist das ein historisches Ereignis. Wir sehen zum ersten Mal ein Kippelement im Erdsystem kippen. Wenn wir weitermachen wie bisher, dann kippen weitere.

Was raten Sie? Was muss geschehen, um dem Thema Klimawandel die richtige Aufmerksamkeit zu sichern? Bessere Bildung, charismatische Politiker, cleveres Infotainment?

Wichtig wäre vielleicht, wenn alle, die heute jung sind, erkennen: Hier geht es um unsere Zukunft. Und wenn alle, die älter sind, sich überlegen: Wir wollen für unsere Kinder doch immer nur das Beste. Ist es da nicht verlogen, dass wir ihnen einen Himmel voller Treibhausgase hinterlassen?

Vorbilder sind wichtig. Klimaschutz ist ein idealistisches Ziel. Warum soll es da schlecht sein, wenn Promis auch mal über Klimawandel sprechen? Etwa Di Caprio ist es doch offenbar wirklich ernst mit seinem Engagement. Als der vor Jahren mit einem Hybridwagen vorgefahren ist statt mit einer Stretchlimousine, hat das Schlagzeilen gemacht – Hybridantriebe waren mit einem Mal ein Thema, nicht nur für Technikfreaks.Nützt es etwas, wenn Promis sich als Klima-Aktivisten einspannen – oder einspannen lassen? So wie Leonardo DiCaprio, Emma Thompson, Katharina Witt ...

Die Beweislast ist eigentlich erdrückend. Die Ergebnisse von vielen hundert Forschern weltweit fließen in die großen Berichte des UN-Klimarats IPCC ein. Und deren Konsens ist: Es gibt den Klimawandel, er läuft bereits, und der Mensch ist der Hauptfaktor. Warum gibt es trotzdem immer noch so viele Klimaskeptiker?

Ich glaube, es gibt gar nicht mehr so viele. Das Abstreiten des Klimawandels ist eine bequeme Unwahrheit, aber ich denke, mittlerweile bestreiten nur noch einige wenige die physikalische Wahrheit.

Sind kritische Stimmen in der Wissenschaft nicht auch wichtig?

Na klar, und innerhalb der Klimaforschung gibt es genug Kontroversen, aber es geht eben nicht mehr um die Frage, ob CO2 die Temperatur der Erde erhöht. Das ist geklärt. Wenn es um die aktuellen Forschungsfragen geht, etwa die genaue Berechnung des Anstiegs des Meeresspiegels, dann wird darum gerungen.

Der IPCC hat in seinem vorletzten Report auch hanebüchene Fehler gehabt. Es hieß, die Himalaya-Gletscher schmelzen bis 2035 ab. Dabei wäre 2350 richtig gewesen ...

Das war ein Zahlendreher in einem Teil des Berichts, und das ist nicht gut. Die Berichte des Weltklimarats sind allerdings Tausende Seiten stark, Hunderte Wissenschaftler haben daran mitgearbeitet – da sind einzelne Fehler einfach menschlich. In dem Teil des Berichts, wo es um die konkreten Hintergründe und Mechanismen für das Gletscherschmelzen geht, steht es übrigens richtig. Trotzdem sollten solche Fehler nicht geschehen. Aber so etwas verändert natürlich nicht das Geringste an der grundlegenden Erkenntnis zum Klimawandel: Die Erde wird wärmer, das bringt klar verstandene Probleme mit sich, und es birgt eine Vielzahl von Risiken, die wir noch nicht alle fassen können. Aber eins ist sicher: Der Klimawandel wartet nicht darauf, dass wir ihn bis ins Letzte verstanden haben.

Joachim Wille (58) ist langjähriger Umwelt-Journalist. Er schreibt für die Tageszeitung Frankfurter Rundschau, das Online-Magazin klimaretter.info sowie andere Publikationen, darunter Bild der Wissenschaft.

Die dokumentarische Fotoarbeit „Retired Soil“ des Fotografen René Zieger zeigt Bilder ehemaliger Braunkohlereviere in Ostdeutschland: www.renezieger.de

Professor Anders Levermann ist Physiker und Klimaforscher, er arbeitet am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und an der Universität Potsdam. Levermann war Koautor bei den letzten beiden großen Reports des Weltklimarats IPCC, und er schreibt regelmäßig im Blog Klimalounge: www.scilogs.de/klimaloung
e