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Wartburgfest und Hambacher Fest

Historische Jugendbewegungen, Teil 1: Im Jahr 1817 begehren Studenten auf: Bürger sein, wollen sie, nicht Untertanen. Die Einheit Deutschlands und einen europäischen Staatenbund fordern sie. Den Landesfürsten gefällt das gar nicht

Wartburgfest

1813 besiegten russische, österreichische, preußische und schwedische Armeen Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig und trieben die französischen Truppen endgültig zurück über den Rhein. Die französische Besatzung war damit beendet. Zurück blieb eine Jugend im zerfallenen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, die mit ihrer Identität haderte.

Deutsche wollten sie sein, so viel war klar. Am liebsten in einem Nationalstaat, der die Kleinstaaterei beendet mit all den irrsinnigen Zöllen und Kleinkriegen zwischen den vielen deutschen Fürstentümern und Stadtstaaten. „Der Franzose“ galt damals als der Feind, aber eben auch als einer, der so viel fortschrittlicher war. Denn unter Napoleon genossen die Deutschen, zumindest die Männer, mehr Gleichheit und mehr Meinungs- und Pressefreiheit als nach dessen Abzug. Warum sollte das nicht auch weiterhin möglich sein?

Den Landesfürsten gefiel der Aktionismus nicht, sie schickten Spitzel an die Unis

Um dafür zu protestieren, zogen am 18. Oktober 1817 – genau vier Jahre nach dem Sieg der Alliierten in der Völkerschlacht bei Leipzig – rund 500 Studenten, viele von ihnen Burschenschaftler, auf die Wartburg: dorthin also, wo Luther 300 Jahre zuvor die Bibel ins Deutsche übersetzt hatte. Nicht Untertanen, sondern Bürger wollten sie sein und machten das symbolisch deutlich: Bücher, Uniformen und Zöpfe wurden verbrannt, weil sie für das Alte standen, das überwunden werden sollte.

Den Landesfürsten gefiel so viel Aktionismus nicht. Sie schickten Spitzel an die Unis, um die Studenten zu überwachen. Als ein Burschenschaftler den reaktionären Schriftsteller Kotzebue ermordete, war die Nationalbewegung vorerst am Ende. Die Landesfürsten erließen 1819 die Karlsbader Beschlüsse. Burschenschaften wurden damit beispielsweise verboten und die Presse- und Meinungsfreiheit der Bürger massiv eingeschränkt.

So mancher Herrscher suchte aus Angst um sein Leben das Weite

Bürger sein, nicht Untertanen: Mit diesem Willen revoltierte im Jahr 1830 auch die Bevölkerung von Paris. Karl X. regierte in der Stadt an der Seine, als hätte es die Französische Revolution nie gegeben, er wollte die Pressefreiheit beschränken und das Wahlrecht ändern. Die Pariser jagten ihn vom Thron – und inspirierten damit auch die Deutschen.

In Leipzig, Dresden und Kassel, Braunschweig und Göttingen gingen Protestierende auf die Barrikaden. So mancher Fürst suchte aus Angst um sein Leben das Weite. Mehrere deutsche Staaten erhielten eine Verfassung, die den Bürgern mehr Rechte versprach.

Nicht nur die nationale Einheit Deutschlands wurde gefordert, sondern auch schon ein Zusammenschluss der europäischen Länder

Im Mai 1832, fünfzehn Jahre nach dem Wartburgfest, wiederholte sich das Schauspiel auf dem Hambacher Schloss. Schätzungsweise 30.000 Teilnehmer aus der damals zu Bayern gehörigen Rheinpfalz und anderen deutschen Territorien, Männer und Frauen aus unterschiedlichen ge­sellschaftlichen Schichten, außerdem Delegationen aus Frankreich und Freiheitskämpfer aus Polen nahmen teil. Aus dem Studentenfest war ein Fest des Volkes geworden, im wahrsten Sinne des Wortes ein „Volksfest“. Die Teilnehmer forderten neben der nationalen Einheit Deutschlands und einem Zusammenschluss der europäischen Länder zu einem republikanischen Staatenbund auch Presse-, Meinungs-, Versammlungsfreiheit und die Gleichberechtigung der Frauen.

Mehr als 180 Jahre später, Anfang Mai 2018, wanderten rund 500 Menschen mit Deutschlandflaggen zum „Neuen Hambacher Fest“. Anders als 1832 handelte es sich aber nicht um eine nationalliberale, sondern um eine neue nationalkonservative Bewegung. Die Redner sahen sich als Patrioten, die Deutschlands Demokratie und Rechtsstaat vor dem Untergang bewahren mussten. Kritiker sehen die Veranstaltung als Instrumentalisierung des Hambacher Festes für rechtes Gedankengut.

Immer wieder: Die junge Generation begehrt auf und fordert radikale Erneuerung. Unsere historische Reihe über politische Jugendbewegungen:

Teil 1: Wartburgfest und Hambacher Fest – Bürger sein, nicht Untertan

Teil 2: Die 68er – Lüften in einem muffigen und verstaubten Land

Teil 3: Die Jungtürken – für eine Republik gekämpft, dann Unterdrücker geworden

Teil 4: Der Schüleraufstand in Soweto - der Anfang vom Ende der Apartheit

Illustration: Enrico Nagel

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.