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„Das muss man einfach mal feiern“

„Sam – Ein Sachse“ ist die erste deutsche Serie, die konsequent aus der Perspektive eines Afrodeutschen erzählt. Wie kam das an? Ein Gespräch mit der Regieassistentin Teresia Harris und dem Hauptdarsteller Malick Bauer

Teresia Harris und Malick Bauer

„Sam – Ein Sachse“ (Disney Plus) erzählt die Lebensgeschichte von Samuel Meffire, der in den 1990er-Jahren als erster Schwarzer* Polizist Ostdeutschlands und als Gesicht einer landesweiten Kampagne gegen Rassismus berühmt wurde. Später wurde er selbst kriminell. Heute arbeitet Meffire als Pädagoge. Wir haben uns mit der persönlichen Regieassistentin und Production Assistant Teresia Harris und Hauptdarsteller Malick Bauer, beide afrodeutsch, über den Stellenwert der Serie und die Reaktionen darauf unterhalten.

fluter: Eure Serie läuft seit Ende April. Malick, wirst du mittlerweile auf der Straße angequatscht?

Bauer: Hier in Berlin sind die Leute ja eher cool, deswegen gar nicht so viel. Letztens auf einem Nas- & Wu-Tang-Konzert habe ich aber viel positive Rückmeldung bekommen. Ein älterer Mann hat mir sogar die Hand geküsst.

Wie bitte?

Bauer: Das war so ein alter Autonomer, der konnte sich gut identifizieren mit den Szenen, in denen ich mich als Samuel mit Nazis schlage, und meinte, er hätte das alles selbst erlebt. Mir ist es wichtig zu betonen: Das ist keine „Schwarze“ Serie, sondern eine deutsche Serie mit Schwarzer Hauptrolle.

Trotzdem ist das etwas ganz Neues in Deutschland.

Bauer: Klar, deswegen sitzen wir ja auch hier. Ich meinte damit eher, dass alle möglichen Menschen an der Produktion beteiligt waren – das war ein guter Querschnitt durch die deutsche Gesellschaft, divers vor und hinter der Kamera. Die Lead-Regie hat zum Beispiel Soleen Yusef übernommen, eine kurdische Frau.

Wenn sie nicht gerade eure Hände küssen, wie reagieren die Menschen in eurem Umfeld auf die Serie?

Harris: Mein Opa ist aus der DDR und meinte, der damalige Zeitgeist sei total gut eingefangen – gleichzeitig hat die Serie ihm eine ganz neue Perspektive eröffnet, die er als weißer junger Mann nicht hatte: wie das Leben als junger Schwarzer Mann im Osten war. Dadurch hatte ich mit ihm jetzt sehr spät nochmal ganz neue Gespräche. Das war ein schöner Perspektivwechsel für uns beide.

Bauer: Das ist auch ein wichtiger Punkt: Eigentlich geht es um zwei Minderheiten in der Serie, Schwarze und Ostdeutsche.

Sam – Ein Sachse
Wie war das Leben als Afrodeutscher in der DDR? Auch davon erzählt „Sam – Ein Sachse“ mit Malick Bauer in der Hauptrolle
 

Wie wird die Serie von Schwarzen Deutschen aus eurem Umfeld aufgenommen?

Harris: Alle feiern an sich, dass es diese Serie gibt und dass wir einen Schwarzen Protagonisten haben, mit dem wir mitfiebern. Ich höre immer wieder, dass es ein empowerndes Gefühl sei, sich selbst auf der Leinwand oder auf dem Fernsehbildschirm wiederzufinden.

Bauer: Ich kriege auch sehr viel Zuspruch, die Leute freuen sich einfach über die Serie.

Gab es auch Kritik?

Harris: Schon, was die Sprache betrifft – man hört nämlich ein paarmal das N-Wort. Aber dazu muss man sagen, dass die Serie einfach in einer anderen Zeit spielt und versucht, die Realität abzubilden, in der Samuel nun mal lebte. Das ist natürlich schwer vereinbar mit heutigen „Standards“. Aber auch die Kritischen sind froh darüber, dass man heute so eine Serie realisieren kann. Vor nicht allzu langer Zeit wäre das unmöglich gewesen.

Bauer: Das ist auch nicht nur so dahingesagt – Jörg und Tyron (Jörg Winger und Tyron Ricketts, Drehbuchautoren der Serie, Anm. d. Red.) wollten die Serie schon 2006 verkaufen und haben von Redakteuren, die öffentlich-rechtliche Gelder verwalten, immer nur gehört: „Ein Schwarzer Protagonist in Deutschland, so weit ist unser Publikum noch nicht.“

Nach seiner Zeit bei der Polizei beging Meffire Raubüberfälle und musste für sieben Jahre ins Gefängnis. Wie ist es, so eine ambivalente Figur zu spielen?

Bauer: Meffire ist eine streitbare Person, aber jemand, den ich im echten Leben sehr schätze. Während der Produktion hatten wir häufig Kontakt, er hat mir seine Autobiografie „Ich ein Sachse“ während des Drehs in der Rohfassung anvertraut. Gleichzeitig hat er nie von mir erwartet, dass ich ihn besonders moralisch darstelle oder Ähnliches. Ich habe die Figur vielschichtig und ambivalent gehalten, um nicht einfach nur ein Opfer des Rassismus ohne freie Entscheidungsgewalt zu zeigen.

Warum ist es so wichtig, die Geschichte von Samuel Meffire zu erzählen?

Bauer: Minderheiten wurden zu lange zu „den Anderen“ gemacht – deswegen ist es wichtig, Geschichten zu erzählen, die ihre Perspektive in den Mittelpunkt stellen. Und damit meine ich nicht nur Schwarze Männer, sondern meinetwegen auch eine 60-jährige, asiatisch gelesene Frau. Man darf nicht immer nur für die eigene politische Position kämpfen. Rundfunkbeitrag zahlen wir alle nicht freiwillig, sondern als deutsche Gesellschaft – wäre doch schön, wenn wir uns alle mal auf den Bildschirmen wiederfinden.

Sam – Ein Sachse
„Ich habe die Figur vielschichtig und ambivalent gehalten“, sagt Malick Bauer über die Rolle des Samuel Meffire

Apropos Repräsentation: Hättet ihr euch so eine Serie als Jugendliche auch gewünscht?

Harris: Ich glaube, jeder, der ausschaut wie wir, würde das mit Ja beantworten. Das sieht man auch an diesen süßen Reaction-Videos auf die neue Schwarze Arielle. Ich glaube, gerade wenn man jung ist, kann das Selbstvertrauen schaffen, später ganz unterschiedlichen Dingen nachzugehen. Also: Wenn ich groß bin, dann kann ich Polizist werden oder auch Schauspieler wie Malick.

Bauer: 100 Prozent.

Wie ist es für euch selbst als Afrodeutsche, die Serie zu gucken?

Harris: Für mich ist es eine Achterbahn der Gefühle. Bei einer Szene muss ich mich besonders emotional wappnen (lacht). Es ist das Bundestreffen der Initiative für Schwarze Menschen in Deutschland, wo May Ayim (eine deutsche Dichterin, Pädagogin und Aktivistin, Anm. d. Red.) als Ikone der afrodeutschen Community einen Auftritt hat. Man hat diesen Raum voller Schwarzer Menschen, in Deutschland ja einfach ein seltenes Bild, dazu hört man „Zuhause“ von Joy Denalane. Da heule ich jedes Mal.

Steht „Sam – Ein Sachse“ symbolisch dafür, dass die Filmindustrie in Deutschland diverser wird?

Bauer: Ich glaube, politisch und markttechnisch gibt es zwei wichtige Entwicklungen: Erstens hat der Knall nach Black Lives Matter auch in Deutschland endlich überfällige Debatten um Diversität und die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte angeregt. Zweitens gibt es durch die Streamingportale eine höhere Nachfrage nach internationalen Geschichten. Seit 2020 bewegt sich so einiges in die richtige Richtung. Ich hoffe einfach, dass dieser Blitz nicht zurück in die Wolke geht. Wenn die Geschichte gut ist, funktioniert es. Das muss das erste Kriterium bleiben und nicht die Herkunft des Cast.

Harris: Dem kann ich nur zustimmen. Es ist schön, dass jetzt mehr junge Schwarze Filmschaffende ihren Weg in die Branche finden, aber man darf auch nicht vergessen, dass die, die schon lange im Geschäft sind, jetzt auch Allyship („Allyship“ bezeichnet die aktive Solidarität einer privilegierten Person mit Menschen aus einer gesellschaftlich unterdrückten Gruppe, Anm. d. R.) für sich entdecken. Natürlich kann man sagen, das sei schon längst überfällig, aber trotzdem ist es eine positive Entwicklung. Das muss man einfach mal feiern an dieser Stelle.

* Wir schreiben „Schwarz“ groß, um zu verdeutlichen, dass es keine „Eigenschaft“ ist, die mit „Hautfarbe“ zu tun hat, keine Kategorie, in der man Menschen einordnen kann. Sondern eine politische Selbstbezeichnung von Menschen afrikanischer Herkunft, deren Erfahrung durch Kolonialismus und Rassismus geprägt ist.

Titelbild links: Cem Kavaklioglu; Titelbild rechts und Stills: Disney

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