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Das Meer, mein Hinterhof

Dass Staaten um Meeresgrenzen streiten, ist nichts Neues. Immerhin geht es um Handelswege, Ressourcen und ziemlich viel Macht

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Schon einmal hat Europa lange zugesehen, wie Russland versuchte, die Kontrolle über das Schwarze Meer zu übernehmen. 1783 eroberte Zarin Katharina II. die Halbinsel Krim von einem jahrhundertelangen Erzfeind, den Krimtataren. Mit der Einnahme gab sich Russland aber nicht zufrieden. Doch als es seine Grenzen bis an den Bosporus und damit das Mittelmeer ausdehnen wollte, schritten die Europäer ein. England, Frankreich, Österreich und Preußen unterstützten das Osmanische Reich bei seinen Abwehrversuchen.

Heute ist die Region wieder Opfer des russischen Imperialismus. 2014 annektierte Moskau erneut die Krim. Jetzt versucht Russland, sich weitere ukrainische Gebiete einzuverleiben – vor allem die Häfen an der Schwarzmeerküste. Ende Juli 2022 wurde eine neue Militärdoktrin für die Marine bekannt gegeben. Damit beansprucht Russland, eine Seemacht mit weltweitem Einfluss zu sein. Der Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim – ein Erbe der ersten Annexion im 18. Jahrhundert – ist dafür natürlich äußerst hilfreich.

Die Türkei beansprucht einen Teil des östlichen Mittelmeers, der laut UN-Recht Griechenland gehört

Wer Meere kontrolliert, kontrolliert Handelsrouten. Besonders verletzlich sind sie an Meerengen. Das wissen auch die Anrainer. So betreibt etwa der Iran gern Außenpolitik mit der Drohung, die für den weltweiten Öltransport zentrale Straße von Hormus im Persischen Golf zu blockieren. Eigentlich regelt das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1982 sehr präzise, wann Staaten welche Nutzungsrechte am Meer und seinen darin- beziehungsweise darunterliegenden Rohstoffen haben. Dass dennoch immer wieder Streitigkeiten über Hoheitsrechte und Meeresgrenzen ausbrechen, liegt auch daran, dass nicht alle Staaten das Abkommen unterzeichnet haben.

Die Türkei beispielsweise beansprucht einen Teil des östlichen Mittelmeers, unter dem vor ein paar Jahren gewaltige Erdgasvorkommen entdeckt worden sind, für sich – obwohl das Gebiet laut UN-Recht in Teilen den griechischen Inseln zuzurechnen wäre. Wegen der Förderrechte ist sogar eine militärische Konfrontation zwischen Athen und Ankara denkbar, also zwischen zwei NATO-Partnern.

In vielen Streitfällen geht es jedoch um mehr als um die Sicherung von Fischgründen oder den Zugang zu Rohstoffreserven unter dem Meer. Zum Beispiel im Südchinesischen Meer, auf das China zu weiten Teilen den alleinigen Anspruch erhebt. Ein Blick auf die Landkarte verdeutlicht das geostrategische Interesse Pekings: Die meisten Nachbarn im Südchinesischen Meer sind Verbündete der USA, also potenziell feindlich gesinnte Staaten, die Chinas freien Zugang zu den Weiten des Pazifiks einschränken.

Die USA betrachten den Pazifik seit dem Zweiten Weltkrieg als eine Art Hinterhof

Bei den Spratly-Inseln streitet sich China daher auch mit Ländern wie Vietnam, den Philippinen, Taiwan, Malaysia und Brunei um die Hoheitsrechte. Einen Schiedsspruch aus Den Haag, der Chinas Anspruch auf die Spratly-Inseln zurückweist, erkennt Peking nicht an. Die USA wiederum betrachten den Pazifik seit dem Zweiten Weltkrieg als eine Art Hinterhof, in dem sie wichtige Seewege schützen und mit Ländern wie Australien, Japan und Südkorea wirtschaftlich und militärisch verbunden sind.

Nach Einschätzung des renommierten Thinktanks Council on Foreign Relations gibt es weltweit aktuell nur fünf weitere Konflikte, die die Supermacht USA so herausfordern wie Chinas Expansionskurs im Südchinesischen Meer. Einer davon ist der Krieg in der Ukraine. Womit wir wieder bei Russlands geostrategischen Zielen in der Schwarzmeerregion wären. Nach Mariupol und Cherson will Putin auch noch die dritte wichtige ukrainische Hafenstadt Odessa einnehmen. 65 Prozent aller ukrainischen Exporte und Importe laufen über die Region Odessa, davon viel Getreide, das essenziell für die weltweite Ernährungssicherheit ist. Auch hier gilt: Wer die Hafenstädte beherrscht, hat große Macht.

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