Während meines Studiums bewarb ich mich auf einen Nebenjob als Verkaufskraft bei einem internationalen Modeunternehmen. Nach dem Vorstellungsgespräch wurde ich prompt zum Probearbeiten eingeladen. Samstagnachmittag, na gut, 12 bis 18 Uhr, unbezahlt. Was soll’s, dachte ich, wenn ich dafür den Job bekomme. Als mir die hochgewachsene Mitarbeiterin am Ende des Tages die Hoffnung auf den Job direkt wieder nahm, änderte ich meine Meinung. „Ich glaube, für dich wird es schwierig hier, du bist einfach, na ja, du bist zu klein.“
Bei der Jobvergabe darf die Körpergröße manchmal eine Rolle spielen
Sie druckste noch ein wenig herum, zuckte entschuldigend mit den Schultern, „aber wir wünschen dir trotzdem ganz viel Glück.“ Ich war frustriert. Nachdem ich den ganzen Tag Klamotten drei Etagen hoch- und runtergeschleppt hatte, war denen also auch mal aufgefallen, dass ich mit knapp 1,45 Meter Körpergröße deutlich kleiner bin als die meisten 20-Jährigen. Ich passte offenbar doch nicht ins Konzept.
Zwei Wochen später bekam ich einen Job in einem Feinkostgeschäft zwei Straßen weiter. Dort schien meine Größe niemanden zu stören. Mich selbst schon mal gar nicht – ich bin klein, aber mir tut nichts weh, ich bin gesund. Ich habe sogenannten proportionalen Kleinwuchs, das heißt, ich bin ausgewachsen viel kleiner als der Durchschnitt. Meine Körperproportionen sind jedoch normal. Offiziell gelten Frauen, die nicht größer als 1,40 Meter werden, als kleinwüchsig, gesetzlich ist Kleinwuchs eine Behinderung. Fremde Menschen finden mich manchmal niedlich, wundern sich, wenn ich mich umdrehe und dann doch keine Elfjährige vor ihnen steht. Ich werde schon mal übersehen und komme im Supermarkt nicht ans oberste Regal dran. Diskriminiert fühle ich mich deswegen nicht. Behindert auch nicht. Trotz meiner geringen Körpergröße kann ich meinem jetzigen Beruf – als Redakteurin – nachgehen. Das ist ein Glück, denn für manche Berufe ist die Körpergröße ausschlaggebend, und ich spreche nicht von Topmodels.
Ob eine Mindest- oder Maximalgröße gerechtfertigt ist, darüber verhandeln regelmäßig Gerichte. Sie stützen sich dabei auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Dessen Ziel ist es, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“
Prinzipiell ist die Körpergröße bei der Vergabe eines Jobs ein zulässiges Kriterium – aber nur, solange es dafür einen sachlichen Grund gibt. Im Fall einer 19-jährigen Pilotenanwärterin ging es um genau 3,5 cm. Sie hatte bei der Lufthansa alle Aufnahmetests für die Ausbildung bestanden, doch sie lag knapp unter der geforderten Mindestgröße von 1,65 Meter und klagte. Denn in Deutschland wird ein Mann im Durchschnitt 1,80 Meter groß, eine Frau 1,66 Meter. Das Gericht stellte zwar einen Fall von Diskriminierung fest, da die Mindestgröße jedoch tarifrechtlich geregelt ist, liege die Schuld nicht bei der Fluggesellschaft. Die Klägerin legte mehrfach Berufung ein, wurde jedoch abgewiesen, da ihr durch die Absage kein materieller Schaden entstanden sei. Schließlich einigte sie sich mit der Lufthansa auf einen Vergleich, die Fluggesellschaft zahlte ihr eine Entschädigung.
Polizistin, Pilotin, Zollbeamtin werden? Sorry
Im Ernstfall müssen Piloten zuverlässig alle Schalter und Hebel bedienen können – auch am sogenannten Overhead Panel, das am Flugzeugdach angebracht ist, so begründet die Lufthansa ihre Anforderungen. Auch für Flugbegleiter gibt es solche Einschränkungen, allerdings dürfen diese nicht nur nicht zu klein, sondern auch nicht zu groß sein: Je nach Fluggesellschaft muss die Körpergröße zwischen 1,58 und 1,95 Meter liegen. Das hat praktische Gründe: Sie müssen an die Gepäckablagen über den Sitzen herankommen, um von Passagieren fälschlicherweise im Fußraum platziertes Gepäck verstauen zu können. Zu groß dürfen sie auch nicht sein, damit sie sich nicht den Kopf stoßen oder sich permanent ducken müssen.
Wenn es also einen sachlichen Grund für die Ablehnung gibt, der Bewerber also tatsächlich aufgrund seiner Körpergröße für den Job nicht geeignet ist, dann darf der Arbeitgeber ablehnen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz greift da, wo zum Beispiel die angeblich zu kleine Körpergröße als Vorwand genutzt wird: Im April 2016 hat eine 1,55 Meter große Frau vor Gericht gegen die Bahn gewonnen. Sie hatte sich auf eine Stelle als Zugbegleiterin im Fernverkehr beworben, war aber – angeblich wegen ihrer Körpergröße – nicht zum Einstellungsgespräch eingeladen worden. Ein Betriebsratsmitglied habe ihr das bestätigt. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschied, sie sei objektiv für die Stelle geeignet gewesen. Der Arbeitgeber habe die Klägerin mittelbar wegen des Geschlechts benachteiligt, indem er die Ablehnung auch auf ihre Körpergröße gestützt hatte.
Auch der Staat fordert von seinen Angestellten in vielen Bereichen eine körperliche Eignung. Wer beim Zoll arbeiten möchte, muss mindestens 1,60 Meter groß sein und darf – wie Pilotenanwärter – nicht stark kurz- oder weitsichtig sein. Gleiches gilt für die Berufsfeuerwehr. Hier ist neben einer Mindestkörpergröße und einem sehr guten Sehvermögen auch die sogenannte Atemschutztauglichkeit Pflicht. Der Körper muss beim Tragen der vollen Montur und der Atemschutzgeräte, die bis zu 22 Kilogramm wiegen, voll einsatzfähig sein.
Selbst für Berufe, von denen man das zunächst gar nicht erwartet, macht der Staat Vorgaben: Ein Sonderfall sind Beamte: Sie dürfen bei der Bewerbung weder Unter- noch Übergewicht haben. Mit der Verbeamtung auf Lebenszeit gewährt der Staat dem Beamten eine gewisse Sicherheit. Im Gegenzug möchte er sicherstellen, dass der Beamte nicht frühzeitig arbeitsunfähig wird und den Staat damit viel Geld kostet.
Sollten 1,5 cm über Lebenswege entscheiden?
Auch wer Polizist werden möchte, muss einen bestimmten Body-Mass-Index (BMI) vorweisen können und die geforderte Mindestkörpergröße erreichen. In Nordrhein-Westfalen liegt die bei 1,63 Meter. Wie groß Polizisten genau sein müssen, ist nicht so ganz einfach zu sagen – in Deutschland gibt es je nach Bundesland unterschiedliche Anforderungen. Bremen hat als einziges Bundesland keine Mindestgröße, im Saarland erfolgt die Entscheidung im Einzelfall. Die Berliner Polizei begründet die Mindestgröße mit der nötigen „Durchsetzungsfähigkeit bei körperlichen Auseinandersetzungen“. Hinzu kommt noch, dass die Ausrüstung bei Großeinsätzen bis zu 22 Kilogramm wiegt – entsprechend groß ist allein diese Belastung auf kleine Körper. Dass die Polizei bei der Körpergröße auch mal ein Auge zudrücken kann, zeigt ein Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom August letzten Jahres. Eine Bewerberin war minimal zu klein und wurde schon vor dem Eignungstest abgewiesen. Können 1,5 Zentimeter entscheiden, wer Polizist werden darf und wer nicht? Das Gericht gab der Klägerin recht, sie muss nun zum Eignungstest zugelassen werden.
Ich hab wohl einfach Glück gehabt, dass keiner von diesen Berufen mein Traumjob ist. Seit dem Probearbeiten habe ich nie wieder einen Fuß in den Laden der Modekette gesetzt. Die Klamotten waren mir eh immer zu teuer – und ein bisschen zu groß.
Collagen: Renke Brandt