Thema – Corona

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„In Europa wäre ein solcher Lockdown nicht möglich gewesen“

Der afrikanische Kontinent kommt bisher vergleichsweise gut durch die Pandemie. Was wird dort anders gemacht?

Mehrere Millionen Tote auf dem afrikanischen Kontinent, diese Befürchtung teilten viele Expert:innen zu Beginn der Corona-Pandemie. Die Einschätzung, dass das Virus in Afrika besonders gravierend wüten würde, bestätigte sich nicht: 48.000 Menschen starben dort bisher an dem Virus, Europa verzeichnet über 330.000 Tote. Der Immunologe Christian Happi berät die nigerianische Regierung und die panafrikanische Seuchenschutz-Organisation „Africa Centres for Disease Control and Prevention“ im Pandemiemanagement. Für ein Interview ist er eigentlich zu beschäftigt. Doch während er im Feierabendverkehr steckt, findet sich etwas Zeit für ein Telefonat.

fluter.de: Herzlichen Glückwunsch! Afrikanische und asiatische Staaten scheinen die Pandemie sehr viel besser zu meistern als Europa oder Amerika. Können Sie dieses Kompliment annehmen?

Christian Happi: Ja klar, sehr gerne. Menschen in Europa und Amerika erkennen das nur selten an.

Was haben Sie anders gemacht?

Als die Pandemie Ende Februar begann, haben die meisten afrikanischen Regierungen sofort verstanden, dass nur ein harter Lockdown die Verbreitung des Virus stoppen kann. Von einem auf den anderen Tag gab es keine Flüge mehr, keine Verbindungen zwischen Städten, auch keinen Nahverkehr. Die Mobilität wurde also extrem heruntergefahren. Ich glaube, in Europa wäre ein solch strikter Lockdown nicht möglich gewesen.

„Afrika hat Erfahrung mit Epidemien und Pandemien“

Warum?

Vielleicht sind die Menschen dort freiheitsliebender, vielleicht hatten Europäer größere Angst vor den wirtschaftlichen Folgen. In vielen afrikanischen Ländern gibt es einen sehr starken Staat, der hart durchgreifen konnte. Ich habe mich wirklich gewundert, dass Europa im Frühjahr relativ schnell wieder aus dem Lockdown hochgefahren ist. Aber was wohl das Entscheidende war, warum wir so konsequent und früh, teilweise noch bevor erste Fälle in den Ländern auftraten, reagiert haben: Malaria, Gelbfieber, Cholera oder der Ebola-Ausbruch vor sechs Jahren – wir haben Erfahrung mit Epidemien und Pandemien.

In Westafrika grassierte 2014 das Ebolavirus, an dem rund 11.000 Menschen starben. Inwiefern hilft Ihnen diese Erfahrung heute?

Das Schlimmste konnten wir damals verhindern. Wir haben gelernt, wie man so unübersichtliche Situationen meistert. Wir wussten zum Beispiel sofort, wie das mit der Isolation von Infizierten reibungslos funktioniert. Von den Ärzten bis hin zur Bevölkerung: Das Wissen, wie man mit ansteckenden Krankheiten umgeht, war noch recht frisch.

318 Corona-Fälle hat Nigeria pro einer Million Einwohner:innen, Deutschland hingegen hat 10.200. Ist der große Unterschied an Fallzahlen damit zu erklären, dass in Nigeria weniger Tests durchgeführt werden und es eine hohe Dunkelziffer gibt?

Nein. Das Argument wird oft angeführt, um die niedrigen Zahlen in vielen afrikanischen Staaten zu erklären. Aber es stimmt nicht. Wir führen viele Tests durch. Das Labor, in dem ich arbeite, testet im Schichtbetrieb, Tag und Nacht. Die Rate an positiven Befunden ist schlichtweg relativ gering.

„Die Meinung, dass Covid-19 erfunden und nicht existent sei, gibt es hier genauso“

Womit erklären Sie sich das?

Es kann sein, dass Menschen in Afrika eine bessere Immunität gegen das Virus haben aufgrund anderer Erreger, denen sie ausgesetzt sind. Daran müssen wir forschen. Entscheidender ist aber, dass die afrikanische Bevölkerung sehr jung ist, im Durchschnitt 19 Jahre alt. Europa ist fast doppelt so alt. Es spielen also sehr viele Faktoren eine Rolle: Auch dass viele Menschen in Dörfern mit geringer Bevölkerungsdichte leben, hat sicherlich geholfen. Aber noch mal: Das Wichtigste sind unsere Erfahrungen mit pandemischen Situationen, darauf konnten auch asiatische Staaten zurückgreifen.

Hier in Deutschland gibt es einige Menschen, die das Virus für erfunden oder ungefährlich halten. Mussten Sie Überzeugungsarbeit leisten, damit die ernste Lage erkannt wird?

Die Meinung, dass Covid-19 erfunden und nicht existent sei, gibt es hier genauso. Dagegen hilft Bildung. Ich bin froh, dass es die Community Health Workers gibt. Sie leisten überall in Afrika grundlegende medizinische Versorgung in abgelegenen Gemeinden, dort, wo sie verankert sind. Wenn diese Menschen in eine Dorfgemeinschaft kommen und etwas sagen oder empfehlen, dann glauben die Leute ihnen und machen mit – sehr wichtig, wenn man eine Pandemie gemeinsam bekämpfen will.

Haben durch den harten Lockdown arme Menschen besonders gelitten? Menschen zum Beispiel, die von der Hand in den Mund leben und darauf angewiesen sind, auf Märkten ihre Waren zu verkaufen.

Ja, zweifellos. Die Bevölkerung, ob in Nigeria oder anderen afrikanischen Ländern, hat einen sehr hohen Preis gezahlt, aber keinen zu hohen. Ich mag mir nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn sich das Virus noch stärker verbreitet hätte. Aber natürlich haben die Maßnahmen ihre Kehrseite. Ich denke an die vielen medizinischen Ressourcen, die für Covid-19 eingesetzt werden. Die fehlen teilweise für die Erforschung und Behandlung gefährlicher Krankheiten wie Malaria oder das Lassafieber. Das wird Tote fordern.

„Im Moment reagiert die Welt, aber sie müsste in Zukunft stärker agieren“

Was lernt die Welt gerade für zukünftige Pandemien?

Im Moment reagiert die Welt, aber sie müsste in Zukunft stärker agieren. Wir bräuchten Systeme, die neuartige Viren und damit mögliche Epidemien frühzeitig erkennen. Im Januar, als Corona quasi unbekannt war, habe ich mit meiner Kollegin aus Harvard ein Frühwarnsystem für Infektionskrankheiten vorgestellt. Es kann das Erbgut von Viren sehr schnell auslesen und die Informationen mit Gesundheitsbehörden teilen. In einer App können Ärzte oder die Community Health Workers Symptome von Patienten eintragen. Schade, dass wir es nicht schon früher fertiggestellt haben. Es hätte uns gute Dienste im Kampf gegen Covid-19 geleistet.

Ein erster, sehr vielversprechender Impfstoff steht kurz vor der Zulassung. Reiche Länder, wie die USA, Frankreich oder Deutschland, haben bereits direkte Verträge mit den Herstellern abgeschlossen und sich Impfdosen gesichert. Wie schauen Sie auf die globale Aufgabe, den Impfstoff gerecht zu verteilen?

Hoffen wir erst mal, dass er bei allen Menschen weltweit wirkt. Ich setze auf die Initiative „Covax“. Unter der Federführung der Weltgesundheitsorganisation haben sich dort Länder zusammengeschlossen, die insgesamt zwei Drittel der Weltbevölkerung vertreten – auch die EU-Kommission ist dabei. Die Initiative setzt sich dafür ein, dass der Impfstoff gerecht verteilt wird und ärmere Länder nicht leer ausgehen. Egal welches Unternehmen am schnellsten ist: Der Impfstoff sollte gerecht in der Welt verteilt werden.

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Happi Christian (Foto: privat)
(Foto: privat)

Christian Happi ist Professor für Molekularbiologie und Genomik und Direktor des „Africa Centres for Disease Control and Prevention“ an der Redeemer's Universität in Nigeria.

Titelbild: Leerer Strassenmarkt in Lagos, Nigeria. Foto: Yagazie Emezi/The New York Times/Redux/laif

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