Wir sprechen hier via Skype, einem kostenlosen Internetservice. Ist das nicht ein Widerspruch zu Ihrer These, dass unser Leben heute ganz und gar vom Geld dominiert ist?

Es gibt die These, dass wir auf dem besten Wege zu einer Gratiswirtschaft sind. Das halte ich für eine oberflächliche Beobachtung. Im Hintergrund gibt es ein sehr enges Geflecht von milliardenschweren Unternehmen, die über Werbeeinnahmen funktionieren. Auch Skype ist nicht Philantropie, genauso wenig Google. Gerade der schöne Schein trägt dazu bei, dass die Geldlogik aus dem Hintergrund umso stärker wirkt.

Was ist das überhaupt für ein Ding, dieses Geld, das die Welt derzeit so in Atem hält?

Es ist ja oft gar kein Ding mehr, sondern hat sich entmaterialisiert. Nur noch rund elf Prozent aller US-Dollar existieren als Bargeld, der Rest besteht aus elektronischen Zahlenströmen. Gerade wegen dieser Unsichtbarwerdung, so meine These, kann das Geld seine Logik der Gesellschaft ja umso wirkungsvoller aufprägen. Ökonomisch kann man das Geld relativ schlicht durch drei fundamentale Geldfunktionen definieren: Tauschen, Messen und Werte bewahren. Damit ist das Geld als ökonomisches Werkzeug beschrieben. Mich interessiert aber viel mehr seine Rolle als Leitmedium der Moderne. Geld ist ein symbolisches und diabolisches Medium. Es ist symbolisch, weil es Dinge zusammenbringt, die nicht unbedingt zusammengehören – wenn etwa der Freier zur Prostituierten geht statt zu einer Geliebten. Und es ist ein diabolisches Medium, das alles Urwüchsige wie Freundschaften und Verwandtschaftsverhältnisse auseinanderbringen kann. Es wirkt wie ein Spaltpilz – zum Beispiel hat das Geld die Fürsorge für Alte, die früher innerhalb der Großfamilie geregelt wurde, in eine Ware verwandelt. So hat es die Menschen vereinsamen lassen.

Und daran soll ernsthaft das Geld schuld sein?

In der Moderne kommt der diabolische Aspekt des Geldes als Medium der Vereinzelung voll zum Durchbruch. Das hat mit dem Schuldbegriff zu tun. Eine Freundschaft war ursprünglich mal ein zweiseitiges Schuldverhältnis. Man hat vom Freund alle möglichen Leistungen erhalten und stand danach in seiner Schuld und umgekehrt. Nur war dieses Gefühl nicht negativ besetzt. Man begrüßte diese Bindung, die einem Sicherheit gab. Heute dagegen wollen alle nur noch miteinander quitt sein und können kaum noch akzeptieren, wenn ihnen jemand unentgeltlich bei irgendetwas hilft. Wir sind zu Pokerspielern unserer Existenzen geworden. Und Geld ist das letzte Band, das die Gesellschaft noch verbindet.

„Geld ist ein symbolisches und diabolisches Leitmedium der Moderne“

Laut einer Studie ist jenseits eines Jahreseinkommens von rund 60.000 Euro kein Zugewinn an Glück zu erwarten. Dennoch wollen die meisten Menschen immer mehr Geld haben.

Geld ist der Universalversicherer gegen alle Unbilden des Lebens geworden. Ich glaube dennoch nicht, dass der Mensch ein ausgesprochen gieriges Wesen ist. Die neusten Entdeckungen in den Neurowissenschaften und in der experimentellen Ökonomie deuten darauf hin, dass der Mensch eigentlich ein zutiefst prosoziales Wesen ist. Es gibt auch die These, dass die altruistischen Tendenzen des Menschen mit zunehmender Differenzierung der Gesellschaft wieder anwachsen werden.

Wenn es nicht die Gier ist, ist es dann vielleicht die Angst, die uns vom Reichtum träumen lässt?

Wer kennt das nicht, dass man aufgrund von Geldsorgen nicht schlafen kann? Diese Angst hat damit zu tun, dass wir von einem unsichtbaren System abhängen, in dem wir nicht mehr intervenieren können. Früher konnte man mit seinem Bankberater ja noch reden. Heute sagt einem das Fräulein in der Hotline nach ewiger Warterei: „Entschuldigung, aber der Computer schluckt das nicht.“ Ich weiß, wovon ich rede, ich habe praktisch auch mein ganzes Leben lang mit schwierigen Monatsenden zu kämpfen gehabt.

Wie hat Geld den Charakter der Menschen verändert?

Eigentlich verbietet die Bibel den Wucher, und jetzt gibt es eine gigantische Bankenindustrie. Man hat jahrhundertelang darum gerungen, dieses Wucherverbot aufzulösen. Der Soziologe Benjamin Nelson sagte, dass die Zinsbefreiung die Entwicklung von der Brüdergesellschaft zur universalen Gesellschaft der Individuen ist. Und das ist nicht falsch. Der Zins haucht dem Geld, das eigentlich ein Werkzeug sein soll, Leben ein: eine Schöpfung aus dem Nichts. Ihm Leben einzuhauchen ist ein magischer Vorgang, den zuerst Goethe im „Faust II“ ausformulierte. Heute brauchen wir eine neue Zinsdebatte. Je mehr der Zins befreit wird, desto mehr fördert man faustische Figuren wie die Banken zutage. Heute hat der Faust noch viel zu viel Freiheit. Deshalb denke ich, dass in einer zukünftigen Wirtschaft der Bankensektor ganz massiv gesetzlich eingerahmt werden und Finanzströme fiskalisch belastet werden müssen. Um die Banken wieder zu einem Mindestmaß an gesellschaftlicher Solidarität zu bringen.

„Die Gedanken ums Geld überdecken mittlerweile völlig die wahren existenziellen Sorgen“

In Ihrem Buch argumentieren Sie, dass der entscheidende Bruch erst Anfang der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts stattgefunden hat.

Die Zeit der späten sechziger Jahre mit ihren gesellschaftlichen Realutopien und Pophelden wie Bob Dylan, Jim Morrison und Janis Joplin, die gehört für mich noch zu einer Ära, die ich als „Softmoderne“ bezeichne. Aber Anfang der siebziger Jahre kam es zu einem Bruch: Die Wirtschaft gelangte an ihre natürliche Wachstumsgrenze, und die Ressourcen wurden mit der Ölkrise erstmals spürbar knapp. Nun wurde der Geldhahn wahnsinnig aufgedreht – durch den privaten Kredit, durch die Liberalisierung des Bankensektors und indem man das Geld von jeglicher materiellen Bindung abkoppelte. Es kam zur großen Elektronifizierung der Zahlungsströme. Die Wirtschaft bahnte sich einen neuen Weg, indem sie nicht mehr nur die Natur, sondern mit diversen Dienstleistungen nun auch den zwischenmenschlichen Bereich ausbeutete. Der Kapitalismus verwandelte symbolische Güter in Waren. Wenn man diese Zeit von vielleicht 18 Monaten mit all ihren Ereignissen zusammennimmt – übrigens auch die geballten Suizide unserer damaligen Pophelden –, dann kommt man zu dem Schluss: Hier ist etwas in die Brüche gegangen. Hier ist eine „Schwellenzeit“ zu verzeichnen, die noch kaum ins Bewusstsein der Menschen getreten ist.

Teilen Sie die weit verbreitete Angst vor der Pleite von Banken?

Ja sicher, denn das ist mit viel Leid verbunden. Überhaupt sind wir heute alle umgeben von einem existenziellen Sorgenschleier. Jedes Mal wenn wir die Zeitung aufschlagen, sagen wir: „Oh nein, der Dax ist wieder ein Stück weiter in die Tiefe gerutscht!“ Also, mich bedrückt das, obschon ich nie Börsianer war und diesen Index mit Argusaugen betrachte. Diese Geldsorgen überdecken mittlerweile völlig die wahren existenziellen Sorgen, wie etwa den Gedanken an den Tod. Und sie schneiden uns damit auch vom richtigen Leben ab. Aber es ist eben so, dass beide Ängste in der Moderne zusammenhängen, dass also die existenzielle Angst an den Besitz von Geld geknüpft ist. Je weiter unten in der Gesellschaft jemand lebt, desto existenzieller ist diese Angst.

Mal aus der Perspektive eines Zeitreisenden betrachtet, der zufällig in der Gegenwart landet: Er hört, dass ganze Staaten vom Bankrott bedroht sind. Er erfährt, dass auch Banken reihenweise vor dem Aus stehen. Und dann heißt es, dass beide Seiten sich gegenseitig retten sollen – mit etwas, das man nicht einmal sehen kann: Geld. Wie würden Sie ihm das erklären?

Das sind zwei Schiffbrüchige, die glauben, dass sie über ein Floß verfügen. Das Einzige, was aber noch existiert, ist ihr gemeinsames Vertrauen, dass es irgendwo ein Floß gibt. Und dieses Floß sollte der Staat sein. Der Staat entsteht heute neu als letzter Kreditgeber – die letzte Instanz, aus der noch Vertrauen geschöpft werden kann. Aber das ist nur noch eine Fiktion. Man spricht schon lange vom Ende der Regierbarkeit. Ich möchte nicht in der Haut eines Politikers stecken, der versucht, dieser Fiktion Substanz zu geben.

Wie kann es eigentlich sein, dass etwas, das sich so wie das Geld vermehrt hat, heute überall fehlt?

Wir haben ein Wirtschaftssystem, das in unwahrscheinlicher Weise Geld schöpft und es dorthin bringt, wo man es nicht braucht – während das Geld dort, wo man es brauchen könnte, immer fehlt. Das Geld wird zunehmend dort reingesteckt, wo es absolut unwirtschaftlich ist: in Riesenspektakel, Riesenfilme, Olympiaden und Autorennen. Wir haben einen zusammenbrechenden Planeten, und man schöpft Geld, um es in diesen Millionen verschlingenden Unsinn zu stecken. Dort hingegen, wo man noch die Ressourcen hat, um wirtschaftliche Güter herzustellen, da fehlt es. Das ist völlig irrsinnig.

„Wir benötigen mehr Freiraum und weniger Arbeitszeit“

Hatte Karl Marx also recht, und Geld ist das Werkzeug der Ausbeutung?

In vielen Belangen hatte Marx recht. Er hat bereits gesehen, dass Geld immer mehr Geld heckt. Aber für ihn musste das aufgrund seiner Theorie immer auf dem Buckel der Arbeiter stattfinden. Er hat noch nicht sehen können, dass Geld eine „creatio ex nihilo“, eine Schöpfung aus dem Nichts ist – nicht mehr nur Werkzeug zur Ausbeutung der Arbeiter, sondern autonomes Medium, das die gesamte gesellschaftliche Kommunikation überformt. Man könnte daher sagen: Mit dem vollen Durchbruch der monetären Dynamik Anfang der siebziger Jahre ist Marx eine historische Theorie geworden, die nicht mehr die nötigen Denkmittel zur Verfügung stellt, um unsere heutige Situation zu begreifen.

Und wie sollen wir aus der Misere wieder herauskommen? Mit dem von der Politik so oft beschworenen Wirtschaftswachstum?

Mein Lehrer Hans Christoph Binswanger hat schon in den frühen siebziger Jahren über die Unvereinbarkeiten von Ökologie und Ökonomie geschrieben. Binswanger ist kein radikaler Querulant, sondern ein vernünftiger Denker, der gezeigt hat, dass ein materielles Wachstum aufgrund der knapper werdenden Ressourcen nur noch sehr beschränkt möglich ist. Vielmehr muss über ein Wirtschaftssystem mit beschränkten Mitteln nachgedacht werden und im Zuge dessen auch über das ganze Geldwesen. Und das tun viele Menschen ja auch schon. Es entstehen immer mehr autonome Tauschringe, wie zum Beispiel der Talente-Tauschkreis Vorarlberg. Das sind in keinster Weise Revoluzzer, sondern Kleinunternehmer und Handwerker, die über neue Formen der Marktwirtschaft nachdenken, um die Ressourcen an den Ort ihrer bestmöglichen Verwendung zu bringen.

Sehen Sie das Heil also in einer optimierten Marktwirtschaft?

Ich bin kein flammender Verfechter der Marktwirtschaft. Der Markt hat immer mit Erfrierung von Sozialbeziehungen zu tun. Aber ökonomisch gesehen ist uns bislang kein besseres System zur Verteilung von wirtschaftlichen Größen eingefallen. Und in der derzeitigen Lage können wir uns auf gesamtgesellschaftlicher Ebene auch keinen experimentellen Luxus erlauben. Erstmal heißt es weitermachen mit diesem System. Aber wenn die Krise überwunden ist, muss man noch mal über grundsätzliche Veränderungen nachdenken: Brauchen wir Elemente einer Planwirtschaft? Wollen wir „small is beautiful“? Bis dahin ist der Markt eine provisorische Maßnahme.

Und was kann der Einzelne tun?

In ersten Ansätzen wird ja bereits wieder an die Realutopien der frühen siebziger Jahre angeknüpft, die jahrelang nur als Verrücktheiten von Spinnern galten. Ich denke da an die genannten Tauschringe, aber auch an Formen des einfacheren Lebens und die Forderung nach einem garantierten Mindesteinkommen, das durchaus finanzierbar wäre. Man wird einen Passus finden müssen, der moderne Technologien mit einer Form von sanfter Askese verbindet. Ein Lebensstil, der den Menschen weniger Arbeitszeit aufbürdet und ihnen wieder mehr Freiraum lässt.