Michael Maschke hatte mit 15 Jahren einen dicken Schulfreund. Dessen Eltern versprachen ihm einen Videorekorder, unter einer Bedingung: Er müsse einen Marathon laufen. Der dicke Freund fing an zu trainieren – er wollte den Videorekorder. Heute, zwanzig Jahre später, ist Michael Maschke studierter Volkswirt und einer von drei Autoren, die sich die "Teilhabegesellschaft" ausgedacht haben, die Adaption einer Idee der US-amerikanischen Yale-Professoren Bruce Ackerman und Anne Alstott. Gemeinsam mit dem Sozialwissenschaftler Claus Offe und dem Volkswirt Gerd Grözinger schlägt er vor, dass jeder Jugendliche zum 18. Geburtstag vom Staat 60 000 Euro zur eigenen Verwendung bekommt. 

Bedingung für den Zugriff auf das Geschenk: Abitur oder eine Ausbildung. Maschke und seine Kollegen wollen vor allem die erreichen, die keinen Abschluss und damit kaum Perspektiven haben, die sich von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. Sie spekulieren auf den Videorekorder-Effekt: "Es ist nicht so, dass wir an das Gute im Menschen glauben und hoffen, dass schon der Appell hilft, einen höheren Abschluss zu machen." Sie wollen den Egoismus der Jugendlichen dafür nutzen, dass jeder die gleiche Chance auf einen Beruf und ein regelmäßiges Einkommen bekommt. Mit den 60 000 Euro soll sich im Idealfall jeder ein Studium finanzieren, eine Firma gründen oder eine Wohnung kaufen können. 

Das würde auch dem Staat nützen: Je selbstständiger ein Bürger ist, desto weniger muss ihn der Sozialstaat versorgen. Läuft es richtig gut, haben zum Beispiel mehrere junge Leute zusammen ein Unternehmen gegründet und stellen Mitarbeiter ein, zahlt sich die Investition erst recht aus. Der Staat nimmt mehr Steuern ein, muss weniger Sozialleistungen zahlen, und auch die privaten Schulden sinken, wenn mehr Menschen genug Geld zum Leben haben.

"Wir könnten den sozialen Frieden sichern und demokratische Werte stärken", sagt Michael Maschke. "Das hätte eine ungemeine Integrationskraft, auch ohne wirtschaftliches Wachstum, das bis heute die Basis des Sozialstaats ist." Maschke, der an der Berliner Humboldt-Universität Ökonomie des Sozialstaates lehrt, sagt, dass Deutschland vom alten Sozialstaatsmodell wegkommen und der Vorschlag, 60 000 Euro an alle 18-Jährigen zu verteilen, keine Utopie bleiben muss.Um zu beweisen, dass ihre Idee nicht realitätsfern ist, haben die drei Wissenschaftler sie einmal durchgerechnet: 2006 wurden in Deutschland 925 056 Jugendliche volljährig, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. In dem Modell bekommen nur eingebürgerte Jugendliche, die seit mindestens acht Jahren hier leben, das Geld. Diese Einschränkung entspricht dem deutschen Staatsbürgerschaftsrecht. Die Gesamtsumme, die in diesem Jahr 18-Jährige auf dem Geburtstagstisch gefunden hätten, beträgt 55,5 Milliarden Euro. 

Zum Vergleich: Im Budget der Bundesrepublik sind jährlich 1,5 Milliarden Euro für Ausbildungsförderung vorgesehen. Über das gesamte Geld kann nur sofort verfügen, wer mit 18 Jahren studiert, eine Ausbildung macht oder sie bereits abgeschlossen hat. Alle anderen erhalten so lange nur die Zinsen, bis sie ein Studium oder eine Ausbildung beginnen. Mit 21 Jahren hat dann jeder Zugang zu seinem Konto, der eine Ausbildung oder das Abitur nachweisen kann. Wie soll der Staat das Geld aufbringen? In 1,1 Milliarden Euro Ausbildungsförderung, 1,1 Milliarden Euro Förderungen durch die Bundesanstalt für Arbeit, 3,4 Milliarden Euro Kindergeld, das jetzt für über 18-Jährige gezahlt wird, rund eine Milliarde Euro Förderungen wie die Eigenheimzulage, eine Milliarde Euro Wohngeld, 1,9 Milliarden Euro Sozialhilfe sowie 1,7 Milliarden Euro Arbeitslosengeld II. Auch 11,4 Milliarden Euro Hochschulfinanzierung würden wegfallen, denn zum Modell gehört die Einführung von Studiengebühren. 

Diese Einsparungen summieren sich auf 22,6 Milliarden Euro. Bleiben noch 32,9 Milliarden Euro. Die sollen über die Vermögenssteuer aufgebracht werden. Denn würden reiche Menschen in Deutschland so viel Vermögenssteuer zahlen wie im Durchschnitt der OECD-Länder üblich, würde der Staat rund 30 Milliarden Euro mehr einnehmen – also fast die ganze dann noch benötigte Summe. Langfristig soll sich die Teilhabegesellschaft selbst finanzieren, durch eine Art Geldkreislauf: Stirbt jemand, der mit 18 Jahren 60 000 Euro bekommen hat, und hinterlässt beispielsweise 100000 Euro, fließen 60000 Euro plus Inflationsrate in einen Fonds, seine Erben erhalten nur den Rest des Geldes. Vererbt jemand weniger als 60000 Euro, geht die gesamte Hinterlassenschaft an den Fonds, aus dem wiederum 18-Jährige ihr Sozialgeschenk erhalten. Theoretisch wäre die Idee realisier- und finanzierbar. Was aber, wenn man mit 18 Jahren eher an ein Auto oder eine Weltreise denkt, statt das Geld in seine Ausbildung zu investieren? 

Das ist den Jugendlichen grundsätzlich erlaubt, auch wenn sich Maschke nachhaltigere Investitionen wünscht. Jeder müsste zwei Beratungsgespräche führen: eines zum 18. Geburtstag, wenn der Jugendliche seinen ersten Kontoauszug erhält, und eines zum 21.Geburtstag, wenn die ganze Summe für ihn frei zugänglich ist. Maschke sagt: "Da sind auch die Schulen und die Eltern gefragt. In der Schule muss ein Wirtschaftsbewusstsein gefördert werden. Und die Eltern werden sich wohl klar darüber sein,dass sie so viel Energie wie nur möglich in die Bildungsabschlüsse ihrer Kinder stecken." 

Die Idee brauche schon noch etwas Zeit, sagt Maschke, denn "dass unser Leben mit Eigenleistung zusammenhängt, muss sich erst in den Köpfen der Menschen festsetzen". Außerdem müsse erst ein neues Verhältnis zwischen Bürgern und Sozialstaat entstehen. Er hofft, dass der Charme, den er schon in diesem Modell sieht, auch die Menschen überzeugt: die Verknüpfung der uralten linken Idee einer Vermögensumverteilung mit dem Recht der Bürger, am Markt teilzunehmen. Robin Hood plus Liberalismus. Politiker haben auf die Idee der "Teilhabegesellschaft" bisher nicht reagiert. Nur auf www.direktzurkanzlerin.de antworten Angela Merkels Mitarbeiter vom Presse- und Informationsamt auf die Frage einer 24-Jährigen, ob die Idee von der Teilhabegesellschaft nicht ein kluger Vorschlag sei. Das heutige BAföG, heißt es in der Antwort, verfolge schon dieselbe Idee, nämlich allen Jugendlichen die gleichen Chancen zu bieten. Ansonsten sei das eine Idee, "die zwar einfach klingt, die aber – wie viele scheinbar einfache Ideen – grundsätzliche wie praktische Pferdefüße hat".