Manches gab es in der DDR im Überfluss. Brot zum Beispiel. Daran erinnert sich Edith Hager (74) gut. Mehr als 30 Jahre arbeitete sie in Leipzig als kaufmännische Angestellte einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG). "Manchmal", erzählt sie, "hat die Bäckerei uns angerufen und gesagt, wir sollten Brot abholen. Die Regale waren voll damit." Das war vor allem in den 1980er-Jahren der Fall. "Wir haben es dann an die Schweine verfüttert. Die Machthaber wussten genau: Wenn die Leute Hunger haben und kein Brot mehr da ist, bleibt niemand ruhig." Volle Brotregale sollten über andere Versorgungslücken hinwegtäuschen. Das konnten Konsumgüter sein wie Babywindeln und Schnürsenkel, auch Güter, die nicht zum Endverbrauch bestimmt waren, gehörten dazu: Maschinen oder technische Anlagen. Einmal habe es hohe Planvorgaben zum Anbau von Zuckerrüben gegeben, erzählt Edith Hager. "Es kam zu einer riesigen Rübenschwemme. Moderne Erntefahrzeuge gab es nicht, die Frauen buddelten mit den Händen nach den Rüben." In der Zuckerfabrik sei das Gemüse schlicht erfroren. Defekte Maschinen waren die Ursache. 

In der DDR erhob die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) den Anspruch, das ganze politische, wirtschaftliche und soziale System zu steuern. Im Vergleich zu einer Marktwirtschaft, wo die Nachfrage das Angebot bestimmt, entschied die Partei darüber, was bei den Menschen auf den Teller kam: Der Ministerrat legte einen Entwicklungsplan für die Volkswirtschaft der DDR fest, eine Staatliche Plankommission (SPK) erarbeitete die Details. Der Plan war meist auf fünf Jahre angelegt und beruhte auf Einschätzungen über die Bedürfnisse von Bevölkerung und Industrie. Plankorrekturen und Einjahrespläne ergänzten ihn. Die Planwirtschaft erwies sich dennoch als unflexibel: Schnelle Reaktionen waren kaum möglich. Die Preise standen fest, bevor die Waren auf den Markt kamen. Den tatsächlichen Warenwert konnten sie um ein Vielfaches über- oder unterschreiten. Wunsch und Wirklichkeit klafften dabei weit auseinander, sagt Edith Hager: "Die kamen von weit her und sagten uns, wie wir die Felder zu bewirtschaften hatten. Obwohl die keine Ahnung hatten, wie der Acker beschaffen war. Trotzdem war der Druck da, die Vorgaben zu erfüllen." Ideologisch war es oft wichtiger, die Planvorgaben zu überschreiten, anstatt die Qualität zu steigern. 

Die Kunst, Ladenhüter zu produzieren

Zudem galt es, die Vollbeschäftigung zu garantieren, was in der DDR, offiziellen Statistiken zufolge, auch bis zum Ende gelang – sogar von Arbeitskräftemangel war die Rede. André Steiner leitet am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam die Abteilung, die sich mit den wirtschaftlichen und sozialen Umbrüchen des 20. Jahrhunderts befasst. Er erklärt den Zusammenhang zwischen Vollbeschäftigung und wirtschaftlicher Ineffizienz damit, dass der Staat, um Erstere zu sichern, eben das Geld nicht knapp gehalten habe. "Unrentable Betriebe konnten gar nicht Konkurs gehen und produzierten nicht unbedingt das, was absetzbar war." 

Mangel und Überfluss ergänzten sich: Heiß begehrte Waren wie Baumaterialen waren vergriffen, sobald sie in den Geschäften lagen. Die Betriebe produzierten aber auch Ladenhüter wie qualitativ minderwertige Damenbekleidung, die niemand haben wollte. Für viele DDR-Bürger/innen galt dementsprechend: Sie kauften, was sie kriegen konnten, bekamen aber selten das, was sie gerade brauchten. Die Grundbedürfnisse der Menschen, ausreichend Nahrung, ein Dach über dem Kopf und ein Arbeitsplatz, waren trotzdem meist erfüllt. 

Was aus heutiger Perspektive uneffizient erscheint, war Ursache historischer Begebenheiten: die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre, die Kriegsjahre und das Ende des zweiten Weltkriegs. "Nach 1945 gab es auch in Westeuropa antikapitalistische Tendenzen", erklärt Steiner, "man suchte nach Möglichkeiten, die Wirtschaft zu kontrollieren, um neue Krisen zu vermeiden. Für die Kommunisten war die Sowjetunion eben das attraktive Gegenmodell zum Kapitalismus." 

Das betraf vor allem die Umwälzung der Eigentumsverhältnisse: Privateigentum, das zur Produktion von Gütern erforderlich war, wurde verstaatlich und zu Volkseigentum gemacht. Die dem System innewohnenden Fehler und Symptome hätten die DDR-Politiker/innen als Kinderkrankheiten betrachtet. "Die Partei erhob den Anspruch, auf der Basis der marxistisch-leninistischen Theorie die Entwicklung der Gesellschaft zu steuern." Wirtschaftliche Effizienz stand dabei im Schatten der sozialen und politischen Stabilität der DDR. "Die Partei hat übersehen, dass der wirtschaftliche Erfolg Voraussetzung für die politische Stabilität war", fügt Steiner hinzu.

Überholen ohne einzuholen

Nach Kriegsende ging es im Deutschland der vier Besatzungszonen vor allem um die Frage: Wer würde es am ehesten schaffen, das Leben der Menschen zu normalisieren? Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung Aufarbeitung, erklärt, dass die Demontagen der Sowjetunion die wirtschaftliche Entwicklung in ihrer Besatzungszone erschwert hätten. In den 1950er-Jahren sei der Vergleich mit dem Lebensstandard in den Westzonen dann zur offiziellen Vergleichsfolie geworden, daher auch der Slogan "überholen ohne einzuholen". "Den Machthabern in der DDR war schon früh klar, dass sich die Systemfrage auch an der Konsumfront mitentscheiden würde. Die Menschen in der DDR sollten merken, dass sie im besseren Deutschland lebten", erklärt Kaminsky den Systemwettstreit.

Für Edith Hager stand nach dem Krieg zunächst die Befriedigung der Grundbedürfnisse im Vordergrund. "Als die Kinder älter wurden, schicke Kleidung und Bücher brauchten, wurde es schwieriger." Kreativität und Erfindungsgeist waren gefragt. Anna Kaminsky beschreibt das als eine Geschichte von Macht und Ohnmacht: Die Menschen hätten zwar unter dem strikten Zuteilungssystem und dem knappen Angebot gelitten, sie hätten immer wieder versucht, mit Findigkeit, Tricks und Beziehungen die Mängel zu lindern. Edith Hager erzählt davon, dass sie früher Tiere hielten und selbst geschlachtet haben, "wir haben dann getauscht: eine Büchse Leberwurst, eine Büchse Rotwurst und eine Büchse Sülze gegen ein paar Fliesen. Irgendwie haben wir das immer geschafft." Die Herrschenden nahmen diese grauen Märkte stillschweigend zur Kenntnis. 

Ähnlich wie die Inhalte der Westpakete, die sie in den 1980er-Jahren sogar in die Grundversorgung einkalkulierten: 1979 erreichten 11,4 Millionen Strumpfhosen und 9,3 Kilotonnen Röstkaffee die DDR auf dem Postweg aus der Bundesrepublik. Das alles konnte nicht über die Unzufriedenheit der Menschen hinwegtäuschen. Mit der Zeit stiegen zwar ihre Löhne und damit das Konsumbedürfnis, aber es gab kaum Gelegenheit, das Geld auszugeben. Wichtige Waren wie Heizöl oder Fleisch exportierte die DDR häufig ins Ausland, um Devisen zu bekommen und die Schulden gegenüber dem Westen zu senken. Dass der Staat 1989 bereits zahlungsunfähig gewesen sei, stellt André Steiner klar, gehöre allerdings in den Bereich der Legenden. Die DDR habe weiter gewirtschaftet, bis es nicht mehr ging, erinnert sich Edith Hager an das Ende der 1980er-Jahre. "Am Ende gab es in den Kaufhallen kistenweise Schnaps zu kaufen, das hatte ich noch nie gesehen. Der sollte wohl beim Vergessen helfen", sagt sie. Die wirtschaftlichen Defizite und die Wut vieler Menschen konnte die SED damit nicht unter den Teppich kehren. 

Julia Rosch ist freie Autorin in Bonn.