Die Fotografie mit der Nummer 51 war der Beweis. Der optische Beweis dafür, dass die DNA, kurz für Desoxyribonukleinsäure (Englisch: deoxyribonucleic acid), der Form einer Helix entsprach. Damit war entdeckt, was man damals begierig zu begreifen und zu rekonstruieren suchte: die Struktur der DNA, die die Bauanleitung allen Lebens verschlüsselt.

rosalind franklin

Fotografie Nummer 51

Spektakuläre wissenschaftliche Erkenntnis tarnt sich hier in unscheinbarem Grau: Auf Fotografie Nummer 51 lässt sich die Doppelhelixstruktur der DNA erahnen

Die britische Biochemikerin Rosalind Franklin hatte diese Aufnahme im Jahr 1952 gemeinsam mit ihrem Doktoranden Raymond Gosling am Londoner King’s College angefertigt. Darauf zu sehen ist ein grobkörniger grauer Kreis; in seiner Mitte ein gestricheltes, dunkler abgehobenes X. Wie sich herausstellte, war dieses X das eindimensionale Negativ der dreidimensionalen Kurve der DNA, erstmals gebannt auf Fotofilm, erzeugt durch eine Strukturanalyse mit Hilfe von Röntgenstrahlen – Franklins Spezialgebiet.

Es war jedoch nicht Rosalind Franklin, die durch diese Erkenntnis zu Ruhm gelangte. 1962 erhielten drei Männer den Nobelpreis für Medizin für die Entdeckung der DNA-Struktur: die beiden jungen Forscher James Watson und Francis Crick, gemeinsam mit Maurice Wilkins, Rosalind Franklins Laborleiter am King’s College .

Der Fall Rosalind Franklin gilt als Beweis für den Matilda-Effekt

Die Geschichte Rosalind Franklins, die um die Anerkennung für ihren bahnbrechenden Beweis gebracht wurde, ist oft erzählt worden. Mindestens drei Biografien befassen sich mit Franklin. 1987 produzierte die BBC einen Fernsehfilm namens „Life Story“, der in den USA unter dem Titel „The Race for the Double Helix“ erschien. 2008 wurde in den USA ein Theaterstück mit dem Titel „Photograph 51“ uraufgeführt. 2015 hatte das Stück über Franklins Leben dann in London Premiere – mit Nicole Kidman in der Hauptrolle.

Darüber hinaus gilt der Fall Franklin als Beweis für den Matilda-Effekt: die systematische Verdrängung und Leugnung des Beitrags von Wissenschaftlerinnen in der Forschung, deren Arbeit häufig ihren männlichen Kollegen zugerechnet wird. Aber gerade weil es so viele Erzählungen über Franklin gibt, ist schwer auszumachen, was damals wirklich geschah – und vor allem, warum.

Zu Beginn der 1950er-Jahre waren viele Wissenschaftler heiß darauf, das Geheimnis des Lebens zu entschlüsseln. Zwar wusste man, dass die Erbanlagen aller Lebewesen in der DNA angelegt sind. Wie diese jedoch genau aufgebaut ist, war nicht bekannt.

Rosalind Franklin war ehrgeizig und klug, ihr Studium der physikalischen Chemie schloss sie als Beste ab

Rosalind Franklin, geboren am 25. Juli 1920 in London, war damals Anfang 30. Eine ehrgeizige und kluge Forscherin, aufgewachsen in einer jüdischen Familie, kosmopolitisch erzogen und gut ausgebildet. Die Eltern hatten sie auf eine Mädchenschule mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt  geschickt deren Philosophie es war, Mädchen auf einen beruflichen Werdegang vorzubereiten. 

„Wohlbelesen in zwei Sprachen war sie ein zivilisiertes, intellektuelles Leben sowie Gespräche über Malerei, Lyrik, Theater und Existenzialismus gewohnt“

 Mit 17 Jahren wurde Franklin am Newnham College der Universität Cambridge für ein Studium der Naturwissenschaften zugelassen. Im Fach physikalische Chemie schloss sie als Beste ab. 1947 holte sie die Physikerin Adrienne Weill nach Paris an eine staatliche Forschungseinrichtung, das Laboratoire Central des Services Chimiques de l’Etat.

Immer wieder werden diese Pariser Jahre als Franklins glücklichste Zeit geschildert: Mit dem Forschungsteam soll sie sich gut verstanden haben, ihre wissenschaftlichen Leistungen wurden anerkannt. Womöglich war es auch das weltoffene Paris, das zu ihrem Glück beitrug. Dort konnte sie sich als Frau sehr viel freier bewegen als im London der damaligen Zeit. Die Eingangsszene des BBC-Films „Life Story“ zeigt Franklin in ausgelassener Stimmung mit ihren französischen Kollegen in einem Café. Später dann, in London, zeigt sie der Film meist allein. Zu den Pubs und Teerunden in den englischen Clubs, die ihre männlichen Kollegen besuchen, haben Frauen keinen Zutritt.

In London fühlte sich Franklin nicht so wohl wie in Paris – und konzentrierte sich daher ganz auf die Forschung

1950 kehrte sie trotzdem nach London zurück und trat eine Forschungsstelle am King’s College an. Dort erforschte sie die Kristallstruktur der Desoxyribonukleinsäure. Sie entwickelte und verfeinerte eine Methode, Röntgendiagramme von DNA-Fasern zu erstellen.

Dass sie sich am King's College nicht recht wohlfühlte und sich offenbar ganz auf ihre Studien konzentrierte, mag zwei Gründe gehabt haben. Den einen beschreibt der Physiker Simon Altmann, ein jahrelanger Freund Franklins in einem Interview mit Franklins Biografin Brenda Maddox so: „Wohlbelesen in zwei Sprachen war sie ein zivilisiertes, intellektuelles Leben sowie Gespräche über Malerei, Lyrik, Theater und Existenzialismus gewohnt… Jetzt umgaben sie Menschen, die noch nie von Sartre gehört hatten, die hauptsächlich den ‚Evening Standard‘ lasen und denen die Sorte Mädchen gefiel, die sich auf Fachbereichspartys betranken, von Schoß zu Schoß weitergereicht wurden und sich den BH öffnen ließen.“

Auch schien die Hierarchie zwischen Franklin und ihrem Laborleiter Maurice Wilkins nicht ganz geklärt. Er sah sie als seine Assistentin an, sie betrachtete sich als ihm gleichgestellt.

Auch James Watson und Francis Crick forschten zur Struktur der DNA

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James Watson und  Francis Crick mit einem DNA-Modell  (Foto: Science Photo Library / Barrington Brown, A. / Gonville And Caius College)

James Watson (links) und Francis Crick mit ihrem Modell der DNA-Struktur, inspiriert von Fotografie Nummer 51

(Foto: Science Photo Library / Barrington Brown, A. / Gonville And Caius College)

Hier kommen nun James Watson und Francis Crick ins Spiel, zwei aufstrebende Wissenschaftler, die seit geraumer Zeit zur Struktur der DNA forschten und über sie spekulierten. Während Rosalind Franklin – so wird es in verschiedenen Quellen dargestellt – jede voreilige Spekulation ohne ausreichend empirisch erforschtes Beweismaterial zuwider war, ging es Watson und Crick um spektakuläre Entdeckungen.

Ob sie Franklin als Forscherin ernst nahmen? In seinem Buch „Die Doppelhelix“ schreibt der Nobelpreisträger Watson jedenfalls: „Sie tat nichts, um ihre weiblichen Eigenschaften zu unterstreichen. Trotz ihrer scharfen Züge war sie nicht unattraktiv, und sie wäre sogar hinreißend gewesen, hätte sie auch nur das geringste Interesse für ihre Kleidung gezeigt. Das tat sie nicht. Nicht einmal einen Lippenstift, dessen Farbe vielleicht mit ihrem glatten schwarzen Haar kontrastiert hätte, benutzte sie, und mit ihren einunddreißig Jahren trug sie so fantasielose Kleider wie nur irgendein blaustrümpfiger englischer Teenager.“ Blaustrümpfe hatte man zur damaligen Zeit Frauen genannt, die nach Emanzipation strebten. 

Als Laborleiter Maurice Wilkins auf das von Franklin gemachte Foto Nummer 51 stieß, zeigte er es den ja ebenfalls die DNA erforschenden Wissenschaftlerkollegen Watson und Crick– und lieferte ihnen damit den entscheidenden Hinweis auf die Doppelhelixstruktur der DNA. 1953 veröffentlichten Watson und Crick daraufhin einen Artikel in der Fachzeitschrift Nature. Sie dankten Franklin dort zwar für ihren Beitrag, worin dieser bestanden hatte, ließen sie aber unerwähnt. Es waren Watson und Crick, die nun als Entdecker des DNA-Models in seiner Doppelhelixstruktur galten.

Die Verleihung des Nobelpreises erlebte Franklin nicht mehr

Franklins Beitrag zu dieser Erkenntnis fiel unter den Tisch. Im selben Jahr wechselte Franklin ans Birkbeck College. Dort leitete sie ein Forschungsteam und machte sich als Viren-Forscherin einen Namen. Watson und Crick blieb sie offenbar trotz allem freundlich gewogen. Mit Crick stand sie in beruflichem Austausch und Watson unterstütze sie bei einer Stipendiumsbewerbung.

Ob Wilkins, Watson und Crick damals ebenso verfahren wären, hätte nicht Rosalind Franklin das entscheidende Bild gemacht, sondern ein Mann, lässt sich heute schwer sagen. Immerhin sind auch männliche Forscher nicht vor Ungerechtigkeit gefeit und der Konkurrenzdruck in den Naturwissenschaften ist bis heute groß.

Als Watson, Crick und Wilkins 1962 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden – eine Auszeichnung, die gemäß den Statuten nicht posthum vergeben wird – war Rosalind Franklin nicht mehr am Leben. Sie starb mit 37 Jahren an Eierstockkrebs.

Titelbild: Vittorio Luzzati/National Portrait Gallery