Direkte Kritik an den herrschenden Verhältnissen ist selten geworden in Russland. Wer sie trotzdem übt, wird viel beachtet. Da sitzt der Rapper Noize MC – kurze dunkle Haare, Sieben-Tage-Bart, freundliches Lächeln – für ein Interview in einer beliebten Youtube-Show und sagt: „Manche Dinge in Russland gefallen mir gar nicht. Vor allem alles, was mit unserer Ukraine-Politik zu tun hat.“ Der Moderator fragt nach: „Ist das dort unsere Schuld?“ Noize richtet sich aus einem hohen Regiestuhl auf. „Die Eliten sind schuld. Die Wahl, ob man sich wie ein Hund an der Leine führen lässt und einspannen in den Diskurs, der uns da von oben aufgezwungen wird, liegt bei jedem Menschen selbst.“ Fast 30.000 Kommentare finden sich bald unter dem Video, 2,7 Millionen Mal wird es geklickt. So kontrovers wie Noize MC ist derzeit kein anderer russischer Rapper.

Mit bürgerlichem Namen heißt der 32-Jährige Iwan Alexejew. Er wurde in einer Kleinstadt nahe Moskau geboren und macht Musik, seit er acht ist. Alexejew nennt sich Noize MC, weil die Boxen und Anlagen bei seinen frühen Auftritten so schlecht gewesen sind, dass die Musik eher Krach war – oder Lärm. Noize eben.

Rapper in Russland haben Tracks wie „Mein bester Freund Putin“ im Programm. Aber nicht Noize MC

Obwohl er seine Kritik an den russischen Realitäten zumeist intelligent und pointiert äußert, eher das Florett als den Vorschlaghammer einsetzt, gilt Noize in Russland als Querulant. Kein Wunder in einem Land, dessen größter Rapstar, Timati, Songs mit Titeln wie „Mein bester Freund Putin“ rausbringt und seine Styles und Flows auf dem Roten Platz vor dem Kreml zum Besten gibt. Und nein, das ist nicht ironisch gemeint.

In Musikvideos haut Noize MC aber gerne auch brachial drauf. Er schmeißt schon mal einen Fernseher aus einem Hotelzimmer – auf das Dach der Luxuskarosse eines Mafiabosses. Mit einem Schlag trifft er damit symbolisch die beiden Dinge, die er immer wieder kritisiert: die, wie er sie nennt, „Hirnvernebelungsmaschine“ russisches Staatsfernsehen – und die korrupten Eliten. Er tritt mit seiner Musik für eine bessere Gesellschaft ein, sieht jedoch gerade die junge Generation als zu unpolitisch an. Ihre Einstellung sei „nihilistisch“, hat er mal erklärt.

Ihren Siedepunkt erreicht die Karriere des rappenden Querdenkers nach einem Auftritt in Lemberg in der Westukraine. Alleine die Tatsache, dass Noize MC dort im August 2014 auf der Bühne steht, ist ein Politikum. Die Ukraine-Krise  spaltet zu dieser Zeit Ost und West, bis ein Canyon entstanden scheint, in dem sogar Worte wie „Kalter Krieg“ wieder Platz finden. Noize widmet in Lemberg seine Performance  „allen Opfern des Informationskrieges“. Später reicht ihm jemand aus dem Publikum eine ukrainische Flagge – er nimmt sie an. Es gibt nun Fotos des Rappers mit dieser Fahne in der Hand. Fortan gilt Noize als Staatsfeind.

Bei seinem nächsten Auftritt in Russland wird ihm der Strom abgedreht. Da will Noize gerade dem Publikum erklären, dass der vom russischen Staatsfernsehen herbeigeredete ukrainische Faschismus eine Schimäre sei . Unzählige Gigs werden daraufhin abgesagt . Bei einem Konzert stürmt die örtliche Polizei mit Maschinengewehren die Bühne. Die Aktion wird als Drogenrazzia deklariert. Mitglieder der kommunistischen Partei fordern bald ein generelles Verbot aller Auftritte von Noize MC . Im Internet wütet der digitale Mob. Eine harte Zeit für Alexejew.

„Birken gibt es überall. Aber die russische Sprache nicht.“

Nach einigen Monaten legt sich die Aufregung etwas, Noize kann in Russland wieder Konzerte geben. Leise geworden ist er wegen der Lemberger Episode aber keinesfalls. In seinem neueren Video „Lenin Has Risen“ lässt er den auf dem Roten Platz aufgebahrten Revolutionsführer wieder auferstehen. Noize persifliert eine ganz besondere russische Symbiose: die Verklärung der kommunistischen Vergangenheit und das Aufkommen der neuen autoritären Politik, die alte Machtsymbole, etwa den roten Stern, heute wieder salonfähig macht.

Das Lenin-Lied rappt Noize  auf Englisch. Er hat schon viele Auftritte in den USA und in Europa absolviert. Da ist es nicht verwunderlich, dass der Moderator der YouTube-Show ihn irgendwann fragt, ob er angesichts seiner nun internationalen Ausrichtung und der Probleme mit russischen Nationalisten nicht ans Auswandern denke. Noize verneint. „Ist es wegen der Birken?“, fragt der Moderator. Die Birke gilt vielen Russen als „Nationalbaum“, sie dominiert die russische Naturfolklore. „Es ist wegen der Sprache“, sagt Noize. „Birken gibt es überall. Aber die russische Sprache nicht.“

Titelbild: Scut36 / noizemc.com