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Von nebenan in die Steckdose

Riesige Stromtrassen sollen quer durch Deutschland gebaut werden. Viele Bürgerinitiativen fordern dagegen: Lasst uns den Strom besser vor Ort produzieren statt ihn durchs Land zu schicken! Die Debatten laufen heiß

Feldheim – eine Hauptstraße, gut 130 Einwohner – ist ein besonderes Dorf. Würde ein schlimmer Sturm die wichtigsten Hochspannungsleitungen im Land umwehen: In Feldheim würden die Lichter immer noch leuchten. Grübe irgendwo ein Bagger an der falschen Stelle und zerrisse ein wichtiges Erdkabel, eine der Hauptschlagadern, an der ganze Städten und Regionen hängen: Die Menschen in Feldheim könnten weiter fernsehen und ihre Wäsche waschen. Denn der kleine Ort in Brandenburg ist der einzige in Deutschland, der seine Energie komplett selber produziert – und zwar öko.

Quer durch Deutschland werden in den nächsten Jahren riesige neue Stromtrassen gebaut, die den Wind aus vielen Parks im Norden in den Süden bringen sollen, also dorthin, wo die meisten Menschen leben und die energiehungrigen Industriekonzerne produzieren. Doch überall entlang der geplanten Riesenleitung wehren sich Bürgerinitiativen vor allem dagegen, dass diese Leitung durch ihre jeweilige Region führt. Ein Teil des Protestes konnte mit der Zusage besänftigt werden, dass die Leitungen unter die Erde wandern und daher kaum große Masten in der Landschaft stehen werden.

Mein Netz, mein Strom, mein Kabel

Während die Energieversorger betonen, dass die Trassen nötig seien, um eine stabile Stromversorgung in ganz Deutschland sicherzustellen, hinterfragen manche Bürgerinnen und Bürger den Ausbau noch immer ganz grundsätzlich. Ein Argument hört man dabei besonders oft: Die langen Stromverbindungen durch die Republik seien eigentlich gar nicht nötig, man könnte es doch einfach wie Feldheim machen: mit Energie aus regionaler Selbstversorgung.

Auf dem Papier gibt es inzwischen zwar einige Gemeinden in Deutschland, die ihren Strom selbst produzieren, weil sie mit ihren Kraftwerken, Windparks oder Solarzellen mehr Energie ins Netz einspeisen, als sie entnehmen. Aber Feldheim ist der einzige Ort, der auch ein eigenes Stromnetz betreibt: 4600 Meter Kabel, durch die die Energie aus 55 Windkraftanlagen und 9844 Photovoltaikmodulen von nebenan in die Steckdosen fließt. Damit ist Feldheim nicht nur in der Bilanz unabhängig, sondern auch tatsächlich energieautark.

 

Dazu gekommen ist es eher zufällig, erzählt Doreen Raschemann vom „Neue-Energien-Forum Feldheim“: Vor gut zehn Jahren wurden im Dorf neue Leitungen für ein Nahwärmenetz verlegt. Die Agrargenossenschaft plante eine Biogasanlage, die Verwaltungsgebäude und Schweineställe mit Wärme versorgen sollte. Viele in der Gemeinde fragten sich: Wenn wir schon die Erde für Wärmerohre aufreißen müssen, warum können wir dann nicht auch ein Stromnetz verlegen? Rund um Feldheim standen schon damals zahlreiche Windlagen, von verschiedenen Betreibern erbaut, die ihren „Fang“, d.h. die Energie, wie in einen großen Ozean kippen, in dem sich die Spur verliert – ins allgemeine Stromnetz eben. Warum kann davon nicht ein Teil direkt nach Feldheim fließen?

Drei Bürgerversammlungen wurden einberufen, die Anwohner gründeten eine Netzgesellschaft, investierten pro Person 3000 Euro. „Wir haben also auf gut Glück ein Stromkabel verlegt“, sagt Doreen Raschemann. „Technisch war das gar kein Problem. Die Genehmigung zu bekommen war viel schwieriger.“ Die Auflagen waren hoch, es musste beispielsweise nachgewiesen werden, dass die Netzgesellschaft die Versorgung auch durchgängig garantieren kann. Im Oktober 2010 kam schließlich der Bescheid: Die Feldheimer dürfen ein eigenes Netz betreiben!

3.000 Windräder vor den Toren Berlins?

Feldheim ist mittlerweile zum Sehnsuchtsort vieler Trassengegner geworden. Im vergangenen Jahr etwa waren Bürgerinitiativen aus Bayern da. „Die waren ganz begeistert“, sagt Doreen Raschemann. „Aber ob wir ihnen für ihr Anliegen eine Perspektive bieten, kann ich schwer sagen.“ Die Großtrasse würde schließlich nicht hinfällig, wenn vereinzelte Orte entlang der Stecke das Feldheimer Modell nachahmen würden. Es müsste schon flächendeckend passieren – deutschlandweit. Und selbst dann: Käme man wirklich ohne großes Netz aus?

Die Bundesnetzagentur – die Behörde, die den Trassenausbau genehmigt und überwacht – ist skeptisch und rechnet vor: Um eine Metropolregion mit 3,5 Millionen Einwohnern – das entspricht etwa der Größe Berlins – vor Ort mit Strom zu versorgen, müssten dort 3000 3-Megawatt-Windräder aufgestellt werden: ein gigantischer Windpark direkt vor den Toren der Stadt.

Weil der Wind aber nicht immer weht, müsste Energie für Flautezeiten aufbewahrt werden, etwa durch Pumpspeicher. Das sind spezielle Kraftwerke, die immer dann Wasser hoch in einen Stausee befördern, wenn ein Sturm so kräftig an den Rotoren der Windkraftanlagen dreht, dass Strom überschüssig wird; bleibt der Wind aus, fließt das Wasser aus dem See hinunter und treibt die Turbinen im Kraftwerk an. Allein 130 solcher riesigen Anlagen wären in einer 3,5-Millionen-Einwohner-Region erforderlich, wenn man von drei windstillen Wochen im Jahr ausgeht.

Laut Berechnungen der Bundesnetzagentur bräuchte man entsprechende Netze, um Ballungszentren mit vielen Menschen und großen Industriebetrieben adäquat zu versorgen. Und dagegen gibt es auch vergleichsweise wenig Proteste. Doch die Debatte um die dezentrale Energieversorgung auf dem Land wird nach wie vor heiß geführt.

 

Gegen den Strom Teil II: „Der Kampf um Himmel und Erde“

Fotos: Paul Langrock/Zenit/laif

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.