Thema – Identität

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„Ost-West-Paare sind relativ modern“

… sagt der Soziologe Daniel Lois. Er erforscht ganz privat gelebte Einheit

Foto: Jan Q Maschinski

fluter.de: Sind eher Frauen aus dem Osten mit Männern aus dem Westen zusammen oder andersherum? Und wo leben die Ost-West-Paare?

Daniel Lois: Die mit Abstand häufigste Konstellation in meinen Studien ist die ostdeutsch sozialisierte Frau mit dem westdeutsch sozialisierten Mann, lebend in Westdeutschland. Sie macht mehr als die Hälfte der befragten Ost-West-Paare aus. Mehr als ein Viertel der Paare besteht aus einem ostdeutsch sozialisierten Mann und einer westdeutsch sozialisierten Frau, auch lebend in Westdeutschland. Dann kommt die ostdeutsch sozialisierte Frau mit dem westdeutsch sozialisierten Mann, die in den neuen Bundesländern leben, das sind etwa 17 Prozent. Und sehr selten ist die Konstellation ostdeutsch sozialisierter Mann mit westdeutsch sozialisierter Frau in den neuen Bundesländern.

Foto: Jan Q. Maschinski

Und wie sieht Lois’ Forschung im Alltag aus? Wir haben Ost-West-Paare gefragt

Wie erklären Sie sich das?

In der ersten Phase nach der Wende sind vor allem ostdeutsche Frauen in die alten Bundesländer emigriert, weil es dort bessere Jobchancen gab. Dadurch haben wir ja bis heute in den neuen Bundesländern einen Männerüberschuss. Ansonsten kann es natürlich auch sein, dass Präferenzen in der Partnerwahl eine Rolle spielen und manche Konstellationen begünstigen. Dazu gibt es aber bisher keine Studien.

Ihre Studie besagt, dass Ost-West-Paare, die im Westen leben, eher heiraten als die, die im Osten leben. Warum?

Die kindorientierte Eheschließung ist in den alten Bundesländern stärker verbreitet, in den neuen Bundesländern gibt es traditionell mehr nicht-eheliche Geburten. Wenn der westdeutsche Partner dieses Muster im Kopf hat, wird er vielleicht darauf hinwirken, dass man heiratet. Und wenn das Paar im Westen lebt, kommt womöglich eine größere Erwartungshaltung im sozialen Umfeld dazu, weil die Freunde ebenfalls heiraten.

Einer der größten Unterschiede zwischen den Partnern ist das Verhältnis zu Religion und Glaube.

Ja, das war zu erwarten, weil es in der DDR ja eine Art erzwungene Säkularisierung gab. Aber schon vor der Entstehung der DDR war der Nordosten eher protestantisch oder konfessionslos, der Südwesten eher katholisch. Religiösität ist außerdem ein Merkmal, das träge ist. Wenn jemand mit einem Partner zusammenlebt, der eine andere Religion hat, kann es zwar sein, dass er irgendwann konvertiert, aber das kommt relativ selten vor.

„Die DDR-Familien- und Arbeitsmarktpolitik wirkt noch nach, bei der die erwerbstätige Mutter im Mittelpunkt stand und Arbeiten mit Kind gefördert wurde.“

Auch Geschlechterollen unterscheiden sich. Was haben Sie da herausgefunden?

Das typische West-West-Paar ist am „traditionellsten“: Das sogenannte „Hinzuverdienerpaar“ ist relativ häufig, bei dem der Mann Vollzeit arbeitet und die Frau Teilzeit. Vergleicht man das mit den Ost-West-Paaren, sieht man, dass sie, wenn sie die in den alten Bundesländern leben, egalitärer sind als West-West-Paare – und wenn sie in den neuen Bundesländern leben, noch mehr.

Warum?

Zum einen wirkt die DDR-Familien- und Arbeitsmarktpolitik noch nach, bei der die erwerbstätige Mutter im Mittelpunkt stand und das Arbeiten mit Kind gefördert wurde. Die ostdeutsch sozialisierte Frau hat das also so gelernt, und es wurde auch nach der Wiedervereinigung noch häufig weitergegeben. Dass die Ost-West-Paare im Osten egalitärer sind als die im Westen, hat sicherlich auch damit zu tun, dass die Kinderbetreuungsmöglichkeiten in den neuen Bundesländern besser sind.

Sie haben auch die Arbeitsteilung im privaten Bereich untersucht.

Die außerhäusliche Arbeitsteilung ist natürlich beeinflusst von infrastrukturellen Elementen wie Kitas und gibt nicht so richtig Auskunft über die Präferenzen der Personen. Die Idee war also, mal zu schauen, wer sich wie stark an Dingen wie Aufräumen, Abwaschen und Kinderbetreuung beteiligt –und zwar auch am Wochenende, an dem man die Erwerbstätigkeit ausblenden kann.

Daniel Lois veröffentlichte zwei Untersuchungen zu Ost-West-Paaren. Für die erste wurden zwischen 1990 und 2009 insgesamt 16.396 Paare (zwischen 17 und 95 Jahren) befragt – 974 davon waren Ost-West-Paare. Eine Folgestudie wurde zwischen 2008 und 2013 an 9.098 Paaren (zwischen 16 und 42 Jahren) erhoben, davon 838 Ost-West-Konstellationen.

Was haben Sie herausgefunden?

Das rein ostdeutsche Paar ist egalitärer als andere Konstellationen, weil ostdeutsche Männer statistisch gesehen etwas mehr im Haushalt machen als westdeutsche. Die Ost-West-Paare untereinander haben sich nicht signifikant unterschieden. Wir haben die Paare auch verschiedene Aussagen bewerten lassen, zum Beispiel „Frauen sollten sich stärker um die Familie kümmern als um ihre Karriere“ oder „Ein Kind unter sechs Jahren wird darunter leiden, wenn seine Mutter arbeitet“. Wieder kam heraus, dass Westpaare am traditionellsten sind, die Ostpaare am liberalsten und dass die Ost-West-Paare dazwischenliegen.

In den alten Bundesländern leben sie dadurch Trends vor, die wir dort auch gesamtgesellschaftlich immer stärker sehen: geringere Heiratsneigung und egalitärere Ausrichtung zwischen Mann und Frau. Man muss dabei aber auch bedenken, dass die Ost-West-Paare keinen Querschnitt der Bevölkerung bilden: Ihre Beziehungen setzen Binnenmigration voraus, und Binnenmigranten sind in der Regel hochgebildete Personen, vor allem die Frauen haben eine höhere Berufs- und Erwerbsorientierung als der Durchschnitt. Ost-West-Paare sind also insgesamt relativ modern.

„Unterschiede werden vielleicht kleiner – aber gewisse Werte und Normen bleiben über längere Zeit stabil.“

Was glauben Sie, wie stark diese Ost-West-Effekte in Zukunft noch wirken werden?

Ich denke, dass sich die Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern auch in nächster Zeit nicht vollständig nivellieren. Sie werden vielleicht kleiner – aber gewisse Werte und Normen bleiben über längere Zeit stabil und werden weitergegeben, auch wenn sich äußerliche Rahmenbedingungen angleichen. Hinzu kommt, dass es ja auch strukturell keine vollständige Ost-West-Angleichung gibt, zum Beispiel ist die Einkommenssituation im Osten immer noch schlechter. Im ökonomischen Bereich gibt es einen weiteren wichtigen Faktor, der lange wirkt: Erbschaften. Da ist das Niveau in den alten Bundesländern viel höher als in den „neuen“, weil im Westen über Jahrzehnte Wohlstand angesammelt werden konnte, während dieser Prozess in der DDR unterbrochen wurde. Hinzu kommt, dass die politische Situation im Osten wie im Westen gerade sehr polarisierend ist – es können also jederzeit neue Konfliktlinien entstehen.

Prof. Dr. phil. habil. Daniel Lois, 41, ist Soziologe an der Universität der Bundeswehr in München. Auch außerhalb der Uni beschäftigt er sich eingehend mit Ost-West-Paaren: Lois kommt aus der Nähe von Aachen, seine Frau aus Chemnitz.

Titelbild: Jan Q. Maschinski

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.