Ist es möglich, ökologisch korrekt zu leben? Leo Hickman hat es ein Jahr lang ausprobiert.

Herr Hickman, wie hat sich Ihr Leben durch das Experiment verändert?

Leo Hickman: Eigentlich vollkommen. Mittlerweile wohne ich nicht einmal mehr in London. Ich bin mit meiner Familie aufs Land gezogen. Damals, für das Experiment, habe ich zum Beispiel versucht, im Garten hinter unserem Londoner Haus Gemüse anzubauen, wir hatten sogar einen Kompost. Das geht hier auf dem Land jetzt natürlich noch viel besser. Jetzt haben wir einen großen Gemüsegarten und sogar Hühner.

Das klingt toll. Aber ich würde jetzt eben auch gern ökologisch korrekt leben, wohne aber in der Stadt, in einem Mehrfamilienhaus an einer großen Straße, mit betoniertem Hinterhof. An einen Garten ist nicht zu denken. Wie kann ich da überhaupt „natürlich“ leben?

In einer Stadt zu wohnen ist im Grunde viel umweltfreundlicher, als wenn wir alle aufs Land ziehen. Dann gäbe es plötzlich viel mehr Verkehr, weil die Wege länger sind und die Leute zum Arbeiten in die Stadt fahren würden, die meisten wohl mit dem Auto. Auch der Energieverbrauch würde steigen, wenn jeder sein eigenes Haus hätte. Deswegen ist das Leben in der Stadt gar nicht so schlecht. Sie können viel mehr verbessern, als Sie denken. Sie könnten zum Beispiel auf Ihrem Balkon Kräuter oder Knoblauch anpflanzen.

Nennen Sie doch mal drei Dinge, die wirklich jeder für einen ökologischeren Lebenswandel tun kann.

Man sollte über sein Essen nachdenken, sein Zuhause und über die Art, wie man sich fortbewegt. Allein in diesen drei Punkten können Sie viel für die Umwelt tun, ohne dass es aufwendig wäre. Wer die Herkunft und die Qualität seiner Nahrungsmittel hinterfragt, wird schnell zu dem Schluss gelangen: Sie kommen von zu weit her, und sie sind meistens noch nicht einmal besonders gut. Eine bessere Alternative sind Produkte aus der Region und Ökoprodukte. Zu der Wohnung: Die sollten Sie vor allem nach dem Energieverbrauch durchchecken: etwa ob die Heizungen den ganzen Tag voll aufgedreht sind, besonders wenn Sie gar nicht zu Hause sind. Wir haben heute viel zu viele elektronische Geräte, das meiste davon schluckt viel Strom. Und Punkt drei: Wir tun der Umwelt keinen Gefallen, wenn wir mit dem Auto zur Arbeit fahren und mehrmals im Jahr fliegen.

Sie haben gerade ein neues Buch geschrieben, „Und tschüss!“, über die ökologischen Probleme des weltweiten Tourismus. Wie reise ich denn umweltfreundlich?

Das ist eigentlich nicht schwer. Im Buch nenne ich es das Goldilocks-Prinzip. So wie die Bären kleine, mittlere und große Breischüsseln und Betten haben, sollten wir es auch beim Reisen halten: In einem Jahr können wir eine große Reise machen, weit weg, zu einem Ziel, das wir mit dem Flugzeug erreichen. Im nächsten Jahr sollten wir uns für eine mittlere Reise entscheiden, irgendwo in Europa, zum Beispiel nach Frankreich oder Italien, jedenfalls an einen Ort, zu dem wir mit dem Zug fahren können. Und im dritten Jahr sollten wir lediglich eine kleine Reise machen, in unsere Region, zum Beispiel, um dort wandern zu gehen.

Es wird ja gern das Argument angeführt, dass es wichtig sei, Reisen zu machen, zum Beispiel zu den Eisbären - um zu sehen, was wir zerstören könnten, wenn uns die Umwelt egal ist.

Das ist Quatsch! Ich kann mir auch ein Video ansehen, um die Schönheit und das Leben der Eisbären kennenzulernen. Mir ist durchaus bewusst, wie wichtig Reisen ist. Ich bin überzeugt, dass es weniger Kriege gäbe, wenn alle Menschen die Möglichkeit hätten, fremde Kulturen wirklich kennen- und schätzen zu lernen. Aber das Argument, dass Reisen wichtig für ein ökologisches Bewusstsein sei, das lasse ich nicht gelten.

Und jetzt ist Ihr Leben wahrscheinlich wahnsinnig kompliziert, weil Sie immer erst herausfinden müssen, ob es okay ist, dies oder jenes zu tun.

Nein, überhaupt nicht. Ich versuche immer, entspannt zu bleiben, und das sollten auch andere Menschen, die ökologisch leben wollen. Sie sollen sich unbedingt ihren Humor bewahren. Man muss positiv bleiben. Weil ein ökologisch korrektes Leben durchaus komplexer wird. Da muss man als Konsument so viele Entscheidungen treffen, das ist schon sehr nervig.

Sie wollen uns jetzt aber nicht davon abraten?

Auf keinen Fall! Alles ist besser, als die Finger in die Ohren zu stecken und so zu tun, als ginge einen das alles nichts an. Ich bin auch viel zufriedener, seitdem ich nicht mehr die Augen vor ökologischen Problemen verschließe.

Immer mehr Menschen denken so wie Sie, es entsteht ja geradezu eine „Ökochic“-Industrie.

Einerseits ist es wirklich gut, dass das Bewusstsein für Umweltfragen um sich greift. Die Leute machen sich endlich Gedanken und Sorgen um die Natur. Andererseits gibt es inzwischen auch das Problem des „Greenwashing“.

Sie meinen, dass vieles heute als „natürlich“ verkauft wird?

Ja, Unternehmen versuchen, ihr Image aufzupolieren, indem sie sich ökologisch geben. Da ist vieles einfach nur Geldmacherei.

Leo Hickman, 35, ist Journalist und Autor des Buches »Fast nackt«. Er lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Cornwall.Ins Büro fährt er nur alle zwei Wochen, natürlich mit dem Zug.