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Großmeister der Zuversicht: Von Rabbi Wolff, der schon mal Journalist war und Wirt, kann man einiges lernen. Sich auf die Dinge zu konzentrieren, die einem Spaß machen etwa.

Großmeister der Zuversicht: Von Rabbi Wolff, der schon mal Journalist war und Wirt, kann man einiges lernen. Sich auf die Dinge zu konzentrieren, die einem Spaß machen etwa.

Menschen mit dünnem Nervenkostüm aufgemerkt! Es kann gut sein, dass man sich nach diesem Film in stressigen Situationen an Rabbi Wolff erinnert und denkt: Was reg ich mich überhaupt auf, das Leben ist doch eigentlich sehr schön.

Dass die Filmemacherin Britta Wauer überhaupt diesen entspannenden Film gemacht hat, ist fast einem kleinen Volksentscheid zu verdanken. Denn Rabbi Wolff hatte einen ganz kleinen Auftritt in ihrem letzten Film über den jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee, mit dem er – man muss es so sagen – allen die Schau stahl. Er kicherte da irgendwas von „Leute unter die Erde bringen“ in die Kamera, und sofort nach dem Abspann stand bei Wauer das Telefon nicht mehr still. Wer denn bitte schön dieser wunderbare alte Mann sei? Warum sie denn über den noch keinen Film gemacht habe, was das denn für ein Skandal sei. Ob sie bitte sehr mal sofort damit loslegen könne. Na ja, zumindest so ungefähr.

Ein Film? Rabbi Wolff ist begeistert. Er ist ja von fast allem begeistert

Wauer hatte natürlich längst gemerkt, welch formidables Filmemacher-Glück ihr da in Gestalt dieses kleinen, verhutzelten Rabbiners über den Weg gelaufen war. Aber auch wenn Wolff von der Idee eines Films über sein Leben natürlich sofort begeistert war (nicht, weil er so eitel wäre, sondern weil er von 99,9 Prozent aller Ideen begeistert ist) – war die Realisation ein echter Härtetest. Denn der Rabbi ist nur schwer zu erwischen, im Grunde genommen ist er ständig unterwegs. Man sieht ihn mit zwei Plastiktüten über Flughäfen eilen, dann wieder sitzt er inmitten von Zeitungsstapeln in ICE-Abteilen oder braust mit seinem Auto durch die englische Provinz, vielleicht ja gerade zur Pferderennbahn in Ascot, denn Pferdewetten sind auch so eine Leidenschaft von ihm.

100 Stunden hat Britta Wauer gedreht. 100 Stunden sind viel, für das Leben von Rabbi Wolff dennoch zu kurz

Eigentlich wohnt er in einem idyllischen Ort an der Themse unweit von London, gleichzeitig aber war er lange Zeit der Rabbiner der jüdischen Gemeinden in Schwerin und Rostock, und dann ist er natürlich immer mal wieder in Israel, wo viele Mitglieder seiner Familie wohnen. Ach ja, zweimal im Jahr geht’s nach Amsterdam, wohin er 1933 mit seinen Eltern aus Nazideutschland floh, sechs Jahre später emigrierten die Wolffs nach London.

Britta Wauer hat den Rabbi schließlich erwischt und in den vergangenen drei Jahren über 100 Stunden mit ihm gedreht. 100 Stunden sind viel, aber für das Leben des Rabbi Wolff dennoch zu wenig. Daher gibt es nun auch noch ein Buch mit Anekdoten, die keinen Platz auf der Leinwand fanden – zum Beispiel die, dass Wolff auch mal ein vegetarisches Restaurant in London eröffnete. Er habe immer das getan, was ihm Spaß machte, sagt Wolff, „und wenn mir etwas keinen Spaß mehr gemacht hat, habe ich mir etwas gesucht, das Spaß macht.“ So einfach also.

William Wolff, so sein bürgerlicher Name, wurde nach dem Krieg ein bekannter Politik-Journalist beim „Daily Mirror“, noch heute ist er bei den Pförtnern im englischen Unterhaus ein gern gesehener Gast. Recht prominent, gut versorgt, angestellt bei einem berühmten Blatt – für die meisten Journalisten reicht das als Lebensglück, nicht für Wolff. Mit 50 entscheidet er sich, Rabbi zu werden, und zwar ein ganz liberaler. Seine Mutter war entsetzt, weil sie nichts von Religion hielt, seine orthodoxen Familienmitglieder in Israel rümpften die Nase, weil sie sehr viel von Religion halten. Wolff hält es bis heute nicht so streng mit den Sabbatregeln.

Nach seiner rabbinischen Ordination wirkte Wolff an Synagogen in Brighton und London, 2002 wurde er Landesrabbiner von Mecklenburg-Vorpommern, wobei er in den beiden Gemeinden Rostock und Schwerin ein Außenseiter blieb – nicht nur, weil er immer gute Laune hat. Die Mehrzahl der Mitglieder ist aus Russland oder der Ukraine zugezogen, doch Russisch spricht der Rabbi nur schlecht. Dreizehn Jahre wirkt er dennoch dort, und er wäre wohl trotz seiner fast 90 Jahre noch länger geblieben, aber 2015 wählen sie in Schwerin und Rostock einen Nachfolger, es war ihnen wohl auf die Dauer zu anstrengend mit Wolff. Völlig ohne Groll räumt der seine Dienstwohnung und geht mit zwei Plastiktüten dem Sonnenuntergang entgegen.

Wunderbar – das ist so ein Wort, das Rabbi Wolff immer wieder sagt, oder besser: vor sich hin murmelt. Zum Beispiel wenn er kleine Kinder über eine Brücke in Berlin rennen sieht oder entspannt im Toten Meer planscht. Wunderbar – das trifft auch ohne Abstriche auf diesen Film zu.

Fotos: © Uli Holz, Britzka Film

„Rabbi Wolff“, D 2016; Regie, Drehbuch: Britta Wauer, Kamera: Kaspar Köpke, 95 Minuten