Von dem Begriff ,Heuschrecke‘ fühle ich mich überhaupt nicht angesprochen. Menschen vertrauen mir ihr Geld an, damit ich es gut anlege und es sich vermehrt. Insgesamt verwaltet unsere Gesellschaft 250 Millionen Euro. Mein Spezialgebiet: Investitionen in Unternehmen, vor allem börsennotierte und solche, die ich für entweder über- oder unterbewertet halte. Ich verschaffe mir dazu einen Überblick über die Branche, in der sich ein Unternehmen bewegt, schaue mir die Mitbewerber genauer an und rede mit den Geschäftsführern oder Finanzvorständen der Firmen, in die ich überlege zu investieren. Welche Strategie haben sie? Wie viel möchten sie von welchem Produkt, von welcher Dienstleistung wo, wann und wie verkaufen? Halte ich am Ende meiner Analyse das Unternehmen für an der Börse unterbewertet, dann kaufe ich Aktien und hoffe auf steigende Kurse. Halte ich es dagegen für überbewertet, verkaufe ich Aktien ,leer‘. Das bedeutet: Wird die Aktie eines Unternehmens heute für fünfzig Euro gehandelt, ich glaube aber, dass ihr Kurs in drei Wochen fallen wird, leihe ich mir Aktien von einem anderen Investor. Verkaufe sie. Kaufe sie in drei Wochen für vielleicht vierzig Euro an der Börse zurück und gebe die Aktien demjenigen wieder zurück, von dem ich sie ausgeliehen habe. So verdiene ich, grob geschätzt, an jeder Aktie zehn Euro. Auch bei sinkenden Kursen mache ich so Gewinne.

Andere Investoren kaufen mit dem ihnen anvertrauten Geld ganze Unternehmensteile, beispielsweise von Mittelständlern, das nennt man in der Regel Private Equity. Und es gibt nicht wenige, die mischen sich in die Geschäftsleitung eines Unternehmens ein, versuchen, dessen Strategie zu beeinflussen und so den Wert ihrer Anteile möglichst schnell zu steigern. Den Wert steigern vor allem Maßnahmen, die die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens erhöhen, es also in die Lage versetzen, gute Produkte so kostengünstig wie möglich zu verkaufen. Dazu muss das Unternehmen kosteneffizient produzieren und Gewinne in Forschung und Entwicklung stecken. Maßnahmen in diesem Zusammenhang könnten sein: Sich von unrentablen Unternehmensteilen trennen, sich auf sein Kerngeschäft konzentrieren. Gut investieren. Organisationsabläufe verbessern. Sich von Mitarbeitern trennen. Investiere ich in ein Unternehmen, treffe ich immer eine Aussage über dessen Möglichkeiten und dessen wahrscheinliche Zukunft.

Ginge es nicht auch anders? Könnte man zum Beispiel bei Airbus nicht auch sagen: Ihr könnt ruhig ein bisschen weniger Gewinn machen, wenn ihr dafür mehr Mitarbeiter beschäftigt? Ich sage: nein. Ein Unternehmen muss so rentabel wie möglich gemacht werden, sobald man die Gelegenheiten dafür sieht. Ansonsten sichert man vielleicht kurzfristig einige Arbeitsplätze, langfristig aber wäre es das Ende für alle. Ein gutes Beispiel ist das Thema Steinkohle: Hier hat man viel zu lange versucht, sich gegen einen Strukturwandel zu stemmen. Die Folge ist nicht nur, dass viel Geld in einen überholten Wirtschaftsbereich geflossen ist, das besser in Zukunftstechnologien investiert worden wäre. Man hat auch junge Menschen bis vor Kurzem unter Tage geschickt und ihnen so ihre Zukunft verbaut, statt ehrlich zu sagen: Jungs, ihr studiert besser Elektrotechnik.

Investoren wie ich unterstützen und beschleunigen mit ihrem Geld Entwicklungen und Veränderungen auf den Märkten, die 
ohnehin stattfinden würden – nur ohne das Kapital viel langsamer oder in anderen Ländern dieser Welt. Zudem investieren wir in risikoreiche Branchen oder in schwierigen Umfeldern, in denen Unternehmen ohne uns große Schwierigkeiten hätten, an Gelder zu gelangen. Für die Volkswirtschaft eines Landes ist das Engagement von Investoren positiv.

Alles gut also? Nein, natürlich nicht. Vor allem wenn die Investoren nicht gut genug aufpassen, können in Unternehmen grobe Managementfehler zu massiver Arbeitsplatzvernichtung wie bei der Deutschen Telekom, DaimlerChrysler oder VW führen. Zudem haben sich in den letzten Jahren viele Investoren an Gewinne von bis zu zwanzig oder 25 Prozent gewöhnt. Solcher Erfolg nährt die Gier. Deshalb wurden in jüngster Zeit Investitionen getätigt, die mit zu spitzem Bleistift gerechnet wurden. Tragisch kann es besonders dann werden, wenn Anteile eines Mittelständlers mit geliehenem Geld gekauft sind, die Schulden für das geliehene Geld dem Mittelständler aufgebürdet werden und dessen Umsätze nicht mehr genügen, um die Schuldenlast zu bezahlen. Einst gesunde Unternehmen können dann pleitegehen. 
Aber ich glaube: Auch das wird langfristig der Markt regeln. Schließlich entsteht dort, wo ein Unternehmen pleitegeht, auch die Chance für etwas Neues. Und es ist nicht das Ziel von Investoren, Unternehmen in die Insolvenz zu treiben. Wem das häufiger passiert, der verliert das Vertrauen seiner Anleger.

Es gibt kein Investment, das ausschließlich gute Seiten hat. Doch man kann sagen: Wo man nicht versucht, den Markt durch staatliche Eingriffe, Regeln und Gesetze zu beeinflussen, geht es den Menschen rein materiell besser. Ich glaube daher nicht an den Sinn von Interventionen, ich glaube an den Markt und seine natürlichen Kräfte. Da jede Aktie eines Unternehmens eine Stimme hat, drücken sich in den Kursen immer die Entscheidungen der Mehrheit aus, der Aktienmarkt ist daher für mich Demokratie.

Die Geschichte der Hedgefonds und Private- Equity-Gesellschaften ist in Deutschland noch sehr jung und viele Menschen verstehen nicht, welche Aufgabe sie erfüllen. Das bereitet Unbehagen, deshalb ruft man in Deutschland nach Institutionen, die Regeln erlassen sollen, damit man ein Gefühl von Kontrolle be-kommt. Andere Länder mit Pioniergeschichte wie England oder die USA, deren Wirtschaftsverständnis eher meines ist, reagieren ganz anders. Sie misstrauen den Institutionen und verlassen sich lieber auf sich selbst und die Kräfte des Marktes. Eine Folge: Scheitert in Deutschland ein Unternehmen, an dem sich Finanzinvestoren beteiligt haben, ist das mediale Interesse extrem hoch. Wie viele Unternehmen fit gemacht wurden für den globalen Wettbewerb und wie viele Arbeitsplätze dadurch bereits geschaffen wurden, interessiert dagegen leider bisher kaum jemanden.“

Sy Schlüter, 47, brachte schon 1994 den Hedge- fonds Copernicus auf den Markt. Heute ist er Geschäftsführer der Hamburger CAI Analyse- und Beratungs GmbH, eines Hedgefonds.