Mitten in ihrer Aussage brach die 15-jährige Nayirah in Tränen aus. Zu schrecklich war die Geschichte, die die kuwaitische Hilfskrankenschwester im Oktober 1990 vor einem Menschenrechtskomitee des US-Kongresses erzählte. Irakische Soldaten, so Nayirah, hätten ein Krankenhaus in Kuwait gestürmt, frühgeborene Babys aus ihren Brutkästen gerissen und sie auf dem kalten Fußboden sterben lassen.

Zwei Monate zuvor waren irakische Truppen im Nachbarland Kuwait einmarschiert. In der Folge gab es mehrere Resolutionen der Vereinten Nationen, die diese Aggression verurteilten, im Januar 1991 traten schließlich die USA und mehrere Verbündete in den Krieg ein. Zuvor war die US-Regierung bemüht, den irakischen Diktator Saddam Hussein als besonders niederträchtig zu brandmarken. Zu diesem Zweck erwähnte der damalige US-Präsident George Bush auch immer wieder die Geschichte von den ermordeten Frühchen. Das Problem war nur: Diese Gruselstory war komplett ausgedacht – von der PR-Agentur Hill & Knowlton, die von Exil-Kuwaitern zehn Millionen Dollar für die Unterstützung im Kampf gegen Irak erhalten haben soll. Erst nach dem Krieg stellte sich heraus, dass Nayirah die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA war und niemals in einem Krankenhaus gearbeitet hatte.

Der Irak musste sich schließlich aus Kuwait zurückziehen, Diktator Saddam Hussein aber blieb an der Macht und lieferte den USA 2003 erneut Gründe zum Einmarsch. Die Regierung von George W. Bush, dem Sohn von George Bush, bezichtigte Saddam, Kontakte zum Terrornetzwerk al-Qaida zu haben. Im Vorfeld dieses weiteren Krieges behaupteten die USA, dass der Irak über transportable Biowaffenlabore und ein geheimes Atomprogramm verfüge. Als Beweis dafür präsentierte der damalige Außenminister Colin Powell am 5. Februar 2003 im UN-Sicherheitsrat Satellitenfotos und Tonbandmitschnitte. Sechs Wochen später begann der Krieg, den George W. Bush bereits am 1. Mai 2003 wieder für beendet erklärte, wobei die Kämpfe jahrelang weitergingen und bis heute kein echter Frieden herrscht.

Ein US-amerikanischer Untersuchungsausschuss kam später zu der Erkenntnis, dass die angeführten Gründe für den Waffengang weitgehend haltlos gewesen seien und es keine Massenvernichtungswaffen gegeben habe. „Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges“, hatte der kalifornische Senator Hiram Johnson bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts treffend erkannt.

Zur Zeit der Irakkriege hatte die US-Regierung bereits jahrzehntelang Erfahrung mit der Lenkung der freien Presse gemacht. Der Kalte Krieg, bei dem die USA und die Sowjet union um die globale Vorherrschaft rangen, war nicht nur eine Zeit irrwitziger Aufrüstung, er war auch eine Hochphase ideologischer Kämpfe: Hier die bösen Kommunisten, dort der freie Westen – so lautete verkürzt gesagt die Botschaft der US-Propaganda, bei deren Verbreitung im Laufe der Jahrzehnte zunehmend die Medien störten. Waren die Journalisten im Ersten und Zweiten Weltkrieg noch als treue Verbreiter von Geschichten über tapfere Helden in Erscheinung getreten, entwickelte sich die Presse seit den 1950er-Jahren zunehmend zu einer kritischen Instanz. Durch unerschrockene Fotoreporter und die rasche Verbreitung des Fernsehens gelangte plötzlich die furchtbare Realität des Krieges direkt in die Wohnzimmer. So führten die Berichte über niedergebrannte Dörfer und Erschießungen auf offener Straße im Vietnamkrieg zu einem Umschwung in der öffentlichen Meinung und zum Anwachsen der Friedensbewegung. Die Behauptung vom gerechten Kampf für eine freie (vor allem kommunismusfreie) Welt war nicht mehr haltbar.

Die Erfahrungen aus dem Vietnamkrieg führten später dazu, dass die US-Regierung in weiteren Konflikten penibel darauf achtete, was die Journalisten zu sehen bekamen und was nicht. Als besonders krasses Beispiel für Zensur gilt der Einmarsch der US-Army im karibischen Inselstaat Grenada, dessen enge Kontakte zum kommunistischen Kuba den USA missfielen. In den ersten Tagen der Invasion im Herbst 1983 wurde Journalisten der Zugang zur Insel strikt verweigert, anschließend gab es die sogenannte Pool-Regelung, für die die US-Regierung einzelne Pressevertreter auswählte. Nach der Rückkehr hatten sie ihr Material mit den anderen Kollegen zu teilen. Die Fotoagenturen waren sogar ausschließlich auf Militärmaterial angewiesen.

Zivilisten, die den Kriegen zum Opfer fielen, hießen plötzlich „Kollateralschaden“

Die Pool-Regelung setzte sich in der Folge durch und kam auch im Krieg gegen den Irak 1991 zum Einsatz. In diesem Konflikt setzte die US-Regierung nicht nur auf Schauergeschichten von ermordeten Frühgeborenen, sondern auch auf die Wirkung von ausgewählten Bildern aus den Kampfgebieten, die in unblutiger Videospielästhetik zeigten, wie treffsicher amerikanische Bomben militärische Ziele trafen. Diese sogenannten chirurgischen Einsätze in einem schnellen, sauberen Krieg entpuppten sich freilich größtenteils als Mär. So gab es weitaus mehr zivile Opfer, als der beschönigende Begriff „Kollateralschaden“ vermuten ließ.

Aufgrund der Proteste der Presse gegen die Restriktionen im Golfkrieg entschied die US-Regierung, ihre Pressestrategie im nächsten Irakkrieg zu ändern. An die Stelle der Pool- Regelung traten 2003 die „embedded reporters“ – die eingebetteten Reporter. Journalisten durften nun grundsätzlich Kriegsschauplätze besuchen, allerdings eng begleitet durch das Militär, das Orte und Interviewpartner sorgfältig aussuchte. Das diente zum einen durchaus der Sicherheit der Reporter, andererseits stellte das Pentagon (Sitz des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums) sicher, dass vor allem die Version der US-Regierung in die Medien kam. Dass dies bis heute nicht immer gelingt, ist vor allem das Verdienst unabhängiger Reporter wie des „New York Times“-Journalisten Dexter Filkins, der als eingebetteter Reporter über den Tod einer irakischen Frau berichtete. Auf die Frage, warum er die Frau erschossen habe, antwortete ihm ein US-Soldat: „Das Herzchen stand einfach im Weg.“ Eine Aussage, die das Pentagon wohl sehr gern vermieden hätte.