Herr Underhill, ich war im Supermarkt, um Tomaten, Bananen und Brot zu kaufen. Nach Hause kam ich dann mit Tomaten, Bananen und Brot – sowie Frischkäse, sechs Flaschen Bier und Schokoriegeln. Was ist passiert?

Ihr Supermarkt hat offenbar verstanden, welche Bedürfnisse Sie haben – und sein Angebot danach ausgerichtet. Darum geht es: dass Supermärkte sich dem menschlichen Ver-
halten mit all seinen Stärken und Schwächen und physischen Voraussetzungen anpassen.

Physische Voraussetzungen?

Ein simples Beispiel sind Einkaufskörbe. Nehmen wir an, es regnet. Der Kunde betritt also mit einem Schirm in der Hand den Markt. Dann hat er nur noch eine Hand für den Einkauf zur Verfügung. Wenn jetzt kei-ne Einkaufskörbe bereitstehen, kann er nur noch ein, zwei Artikel kaufen. Mit einem Korb wären es mehr.

Kaufen alle Kunden mehr als geplant?

Wenn wir lediglich das einkaufen würden, was wir wirklich brauchen, ginge morgen weltweit die Wirtschaft zugrunde. Ich bin 55. Hemden, Hosen, Schuhe – davon habe ich genügend für den Rest meines Lebens. Alles, was ich brauche, sind Obst, Pasta, Gemüse, Wasser, Wein und einmal im Jahr ein Dut-zend Socken und Unterwäsche. Aber sind das die einzigen Dinge, die ich kaufe? Natürlich nicht. Wir sind Impulskäufer – und man muss uns die Artikel einfach nur entsprechend präsentieren.

Wie sieht der ideale Supermarkt aus?

Direkt hinter dem Eingang sollte eine Art Landezone sein. Diese dient dazu, dass der Kunde, der von draußen eintritt, sich orientiert und an die Atmosphäre gewöhnt. Danach sollte man an einer Bäckerei, der Obst-und- Gemüse-Abteilung oder Blumenständen vorbeikommen, damit man gleich einen frischen, anregenden Duft in der Nase hat. Dann ist es wichtig, dass die Fleisch-und-Wurst-Theke hinten rechts und die Milch- und Käseprodukte hinten links platziert sind. Der Kunde soll bei seinem Einkauf durch das gesamte Geschäft laufen und an möglichst vielen Produkten vorbeikommen. Übrigens hat sich die Gestaltung von Supermärkten seit den 1930er-Jahren kaum verändert.

Diese Tricks der Supermärkte ...

... es geht nicht um Tricks, sondern um Werbung. Jeder Betreiber eines Supermarktes platziert seine Waren so, dass möglichst viele Kunden zugreifen. Und einzig der Kunde ist dafür verantwortlich, dass seine Einkäufe im Rahmen seines Budgets und seiner Bedürfnisse liegen.

... führen auch dazu, dass zu viele Produkte angeboten werden. Wenn fünfzig Sorten Honig im Regal stehen, kann ich mich nicht entscheiden – und kaufe letztlich gar keinen Honig.

Das ist die Kehrseite und eine schmerzliche Erfahrung für jeden Händler. Seine Aufgabe ist es, seine Kunden zu kennen und zu entscheiden, wie viele Sorten Honig er anbietet. Wir haben festgestellt, dass Kunden mitunter schon mit ein oder zwei zufrieden sind.

Welche anderen Regeln gelten für Regale?

Grundsätzlich steht kein Produkt zufällig an seinem Platz. In Sichthöhe der Kunden zum Beispiel sind die höherpreisigen Marken-
artikel platziert. Unten, in der sogenannten Bückzone, werden die günstigeren Produkte aufgestellt. Außerdem hat jeder Gang eine dominante Laufrichtung, in der sich die Kunden bewegen: Sie haben einen Rechtsdrall. Gute Supermärkte bedenken das und führen die Kunden gegen den Uhrzeigersinn durch den Markt. Die Regale bremsen den Rechtsdrall, die Kunden müssen ihren Weg korrigieren, das erhöht die Aufmerksamkeit. Und: Artikel, die zusammen kon-sumiert werden, werden auch gemeinsam präsentiert – Bier und Chips, Fleisch und Grillsaucen, Eier und Speck.

Was verstört Kunden in einem Supermarkt?

Ein Problem ist, dass die meisten Supermärkte von Männern geführt und von Männern entworfen werden – sie aber natürlich auch die Frauen ansprechen wollen, deren Einkaufsverhalten anders ist. Frauen legen mehr Wert darauf, sich wohlzufühlen. Sie wollen durch die Gänge schlendern, schauen, was angeboten wird. Andererseits übernehmen sehr viele Männer inzwischen den Familien-einkauf. Das muss auch bedacht werden.

Wie wirkt es sich auf das Shoppingverhalten aus, wenn ein Mann und eine Frau gemeinsam einkaufen?

Frauen geben mehr Geld aus, sie sind die dominanten Shopper. Männer hingegen wirken bremsend. In Zukunft werden Supermärkte Stühle und Sessel am Eingang anbieten, wo die Frau ihren Freund oder Mann für die Dauer des Einkaufs abgeben kann, damit sie mehr Geld ausgeben kann.

In welchen Zonen des Supermarkts geben Kunden am meisten Geld aus?

Als Erstes in der Obst-und-Gemüse-Abteilung. Ironischerweise kaufen wir dort so viel, dass zu Hause mehr als ein Drittel davon weggeschmissen wird, weil wir es nicht essen oder weil die Waren schlecht geworden sind. Wichtig ist natürlich die Kassenzone, wo die Schokoriegel und Zeitschriften platziert sind.

Ist es also Absicht, dass ich an der Kasse immer in einer Schlange warten muss?

Nein. Das würde dazu führen, dass Sie sich einen anderen Supermarkt suchen. Aber es stimmt: Die Kassenzone erzeugt am meisten Frustration beim Kunden. Für den Ladenbetreiber ist es ein Balanceakt. Einerseits will er seine Waren präsentieren, andererseits muss er einen reibungslosen Service anbieten. Wichtig ist, dass an der Kasse Produkte platziert sind, für die sich Kunden innerhalb von Nanosekunden entscheiden können.

Wie hätte ich mich bei meinem Einkauf gestern verhalten sollen, um nur das zu kaufen, was tatsächlich auf meiner Liste stand?

Wer diszipliniert einkaufen will, sollte sich an drei Regeln halten. Erstens: Gehen Sie nie müde einkaufen. Zweitens: Gehen Sie nie hungrig einkaufen. Drittens: Am besten ist es, früh in der Woche und zwischen 10 und 12 Uhr morgens in den Supermarkt zu gehen. Und: Wenn Sie sich etwas nicht leisten können, dann sollten Sie es auch nicht kaufen.

Paco Underhill, 55, ist Gründer und Vorstandsvorsitzender der Beratungsfirma Envirosell, die für Unternehmen das Kaufverhalten von Kunden analysiert, und Autor des Buches Warum kaufen wir? Die Psychologie des Konsums. Zuletzt erschien von ihm Call of the Mall: The Geography of Shopping.