Ohne Mampf kein Kampf: Ein leerer Soldatenbauch zieht nicht gern in die Schlacht. Doch ohne den Kampf gäbe es wohl auch viel von all dem Mampf nicht, den wir im Supermarkt kaufen können. Das sagt Anastacia Marx de Salcedo, Autorin des Sachbuchs „Combat-Ready Kitchen: How the U.S. Military Shapes the Way You Eat“. Sie hat recherchiert, wie Nahrungsmittel, die eigentlich mal für Soldaten auf dem Schlachtfeld entwickelt wurden, als ganz normale Produkte in den Supermarktregalen gelandet sind.

fluter.de: Wenn ich im Supermarkt vor einem Regal stehe – wie viele der Lebensmittel dort sind ursprünglich fürs Militär entwickelt worden?

Anastacia Marx de Salcedo: Ich kann das leider nicht genau für deutsche Supermärkte sagen. Aber ein normaler Supermarkt in den USA wäre schätzungsweise halb leer, wenn wir alle Produkte entfernen würden, die ursprünglich fürs Militär entwickelt wurden oder die von militärischer Forschung beeinflusst sind. Und das ist noch sehr vorsichtig geschätzt. Das Militär ist auch da, wo man es nicht vermutet!

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Na Mahlzeit: Die Tütenkost des US-Militärs dürfte bei Foodies nicht gerade spontane Begeisterungsstürme auslösen. Dafür ist sie ewig haltbar. (Foto: Sarah Lee)

Na Mahlzeit: Die Tütenkost des US-Militärs dürfte bei Foodies nicht gerade spontane Begeisterungsstürme auslösen. Dafür ist sie ewig haltbar.

(Foto: Sarah Lee)

Wo denn?

Sogar in der Obst- und Gemüseabteilung. Sie kennen doch diese plastikverpackten Salatmischungen. Die Navy war stark involviert in die Entwicklung dieser sogenannten „Verpackung mit modifizierter Atmosphäre“. Darin bleibt der Salat länger frisch. Ursprünglich wurde diese Verpackung in den 70er-Jahren entwickelt, um darin Salat und Sellerie nach Vietnam verschiffen zu können.

Mit Salat allein bekommt man keinen Soldaten satt. Welche Truppenverpflegung hat es noch in den Supermarkt geschafft?

Es sind wirklich sehr, sehr viele Produkte. Denken Sie zum Beispiel an die heute so beliebten Energieriegel und Müsliriegel. Ursprünglich sind das Notfallrationen fürs Militär. Schon Ende des 19. Jahrhunderts hatten Soldaten Schokolade für Notfälle dabei. Aus Sorge, dass die Soldaten die Schokolade zwischendurch naschen, wollte das US-Militär später eine Ration entwickeln, die weniger gut schmeckt. So entstand 1937 der Ration-D-Riegel, der Vorläufer der modernen Energy Bars. Und es kommen immer weiter neue Produkte, neue Technologien in die Supermärkte, die eigentlich militärische Wurzeln haben oder vom Militär weiterentwickelt wurden. So wie die Hochdruckpasteurisierung.

Was genau ist das?

Bei der Hochdruckpasteurisierung kommen Lebensmittel in mit Wasser gefüllte spezielle Behälter und werden einem hohen Druck ausgesetzt. So können sie haltbar gemacht werden, ohne dass man sie erhitzen muss, was sich negativ auf den Geschmack auswirkt. Auch Soldaten wollen ja, dass ihr Essen schmeckt. Die Technik wurde früher schon in Europa für Säfte verwendet, aber das US-Militär hat sie in den späten 90er- und frühen Nullerjahren weiterentwickelt, um damit auch andere Lebensmittel behandeln zu können. Inzwischen werden so zum Beispiel Guacamole und Hummus haltbar gemacht, aber auch verarbeitetes Fleisch wie Wurst und Schinken.

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Zum Vergleich: die Truppenverpflegung der Bundeswehr  (Foto: Sarah Lee)

Zum Vergleich: die Truppenverpflegung der Bundeswehr

(Foto: Sarah Lee)

Wie finden Militärentwicklungen wie Müsliriegel und hochdruckpasteurisierte Guacamole ihren Weg in den Supermarkt?

Auch da müssen wir ein paar Jahre zurückschauen: Das US-Militär ist im Zweiten Weltkrieg groß in die Lebensmittelforschung eingestiegen. Ziel war es, die eigenen Soldaten – wenn möglich – komplett mit Rationen versorgen zu können, die in den USA produziert werden. Zu Anfang des Krieges gab es aber gerade mal eine entsprechende Forschungseinrichtung mit drei Mitarbeitern. Es musste also massiv aufgestockt werden, und das Militär begann, mit den Forschungsabteilungen von Industrie und Hochschulen zusammenzuarbeiten.

Und die beteiligten Firmen brachten und bringen das Soldatenessen dann später in den Handel?

Genau. Das System ist schnell riesengroß geworden: Schon 1945 gab es über 500 gemeinsame Projekte des amerikanischen Militärs mit Firmen und Hochschulen. Und die US-Regierung beschloss, an diesem System festzuhalten. Für den Fall eines dritten Weltkriegs wollte man vorbereitet sein. Die Verbraucher werden per Gesetz mit auf den Ernstfall vorbereitet: Die Abteilung des amerikanischen Militärs, die für die Truppenverpflegung zuständig ist, hat den gesetzlichen Auftrag, die selbst entwickelten und finanzierten Lebensmittelneuerungen auf den Verbrauchermarkt zu bringen. Es ist also ein explizites Ziel, dass das alles auch in unserem Essen landet.

Ist das für die Verbraucher gut oder schlecht?

Es gibt gute und schlechte Seiten. Eine Verpflegungsration für Soldaten muss drei Jahre bei 80 Grad Fahrenheit (27 Grad Celsius) haltbar sein. Die Ration muss dafür mikrobiologisch sauber sein, und das ist eine sehr gute Sache: Auch wenn die Nahrungsmittel ziemlich alt sind, kann man sie noch gefahrlos essen. Aber um eine so lange Haltbarkeit hinzubekommen, ohne Verschlechterung von Geschmack, Konsistenz und Nährwert, müssen oft chemische Zusätze und Stabilisatoren, Emulgatoren, Verdickungsmittel zugesetzt werden.

Viele Menschen stehen solchen Chemiebomben kritisch gegenüber.

Ja, aber die Lebensmittelindustrie hat solche ewig haltbaren Produkte natürlich begrüßt: Denn die kann man problemlos transportieren und lagern, nichts wird schlecht, das minimiert mögliche Verluste.

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Das Essen der französischen Soldaten ist zumindest etwas abwechslungsreicher verpackt. Aber ob es auch besser schmeckt? (Foto: Sarah Lee)

Das Essen der französischen Soldaten ist zumindest etwas abwechslungsreicher verpackt. Aber ob es auch besser schmeckt?

(Foto: Sarah Lee)

Gibt es noch andere Nachteile?  

Man muss sich klar darüber sein, dass Nahrungsmittel für Soldaten anderen Ansprüchen genügen müssen als Nahrungsmittel für Zivilisten: Die Truppenverpflegung muss nicht nur lange haltbar sein, sondern zum Beispiel auch extreme Witterung überstehen und möglichst leicht sein. Ein amerikanischer Soldat muss eh schon etwa 100 Pfund Ausrüstung schleppen. Wie sich die Rationen aber auf die langfristige Gesundheit auswirken, spielt keine Rolle. Sie sind ja als Notfallversorgung in einer Extremsituation gedacht und nicht dafür, dass sie jahrelang tagtäglich gegessen werden. Auch ökologische Nachhaltigkeit ist nicht gerade das oberste Ziel bei der Entwicklung der Rationen.

Wenn Zivilisten die Rationen am Ende aber im Supermarkt kaufen, sollten dann ihre Bedürfnisse nicht auch eine Rolle spielen?  

Ich würde mir wünschen, dass alle, die von der militärischen Lebensmittelentwicklung betroffen sind, auch die Ausrichtung dieser Forschung mitbeeinflussen können: Lebensmittelindustrie, Bauern, Gesundheitsexperten und Konsumenten sollten gemeinsam die Forschung kontrollieren können.

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Auch die Italiener mussten bisher auf Pizza verzichten. Das könnte sich bald ändern, denn das amerikanische Militär hat eine einsatzkompatible Pizza entwickelt. Innerhalb der NATO werden immer wieder Entwicklungen der militärischen Lebensmittelforschung g (Foto: Sarah Lee)

Auch die Italiener mussten bisher auf Pizza verzichten. Das könnte sich bald ändern, denn das amerikanische Militär hat eine einsatzkompatible Pizza entwickelt. Innerhalb der NATO werden immer wieder Entwicklungen der militärischen Lebensmittelforschung geteilt.

(Foto: Sarah Lee)

Welche Lebensmittel werden vom Militär derzeit erforscht oder schon in der Verpflegung der Truppen eingesetzt, die man dann möglicherweise bald auch hier im Supermarkt kaufen kann?

Eine Entwicklung, die zumindest in den USA sicher sehr gut ankommen wird, ist Fertigpizza, die nicht ins Gefrierfach muss, sondern bei Raumtemperatur gelagert werden kann. Die Army hat lange daran geforscht, ab 2017 bekommen die Soldaten die ersehnte Pizza. Das US-Militär forscht außerdem viel zur Frage, wie man durch die Nahrung die kognitive und physische Leistung optimieren kann. Ich bin mir sicher, dass es von solchen mit speziellen Nährstoffen angereicherten Lebensmitteln zur Leistungssteigerung, auch Varianten für normale Konsumenten geben wird.

Anastacia Marx de Salcedo: „Combat-Ready Kitchen. How the U.S. Military Shapes the Way You Eat“, bisher nur auf Englisch erschienen bei Penguin Random House (2015).