Gut, dass Christoph Schmid eine Schüler-VZ-Seite hat, wo man so einiges über ihn nachlesen kann, denn sonst wüsste man so gut wie nichts über ihn. Selbst bei einem persönlichen Treffen sitzt er nur da und schweigt. Und wenn er nicht schweigt, sagt er, dass er nichts sagt. Was schade ist, denn Christoph Schmid ist so eine Art Chef von SchülerVZ und da hätte man ja mal so einige Fragen. Aber zunächst mal muss man sich mit dem begnügen, was die Seite so hergibt. Schmid ist demnach Schüler des Gymnasiums Walsrode, was schon mal nicht stimmt, denn dafür ist er zu alt. Er ist schon 23. Eigentlich darf er also bei SchülerVZ gar nicht mitmachen (nur bis 20!). Aber er ist der Chef, da kann man ja mal eine Ausnahme machen. Er hört gern laute Musik, ist Kommunist, und sein Lieblingsspruch ist: »Haste ’nen Spaten, gehste in den Garten« – womit er intellektuell ungefähr den Durchschnitt der User darstellt. Außerdem grillt er anscheinend so gern, dass er davon Fotos hochgeladen hat. Auf einem hält er eine Grillzange und spreizt zwei Finger der anderen Hand zu einer Art Victory-Zeichen; aber eben nicht so ganz. Es gibt ein anderes Foto, auf dem er einen dichten Lockenkopf trägt, einen Kinnbart und ein breites Zahnpasta-Lachen. Er hat 48 Freunde und ist u. a. Mitglied in den Gruppen »Ich war gestern in der Dachrinne Öl mähen« und »Netz gegen Nazis«.

Wie gesagt: der Christoph Schmid, den man im echten Leben trifft – also zum Beispiel in dem mit IKEA-Regalen vollgestellten Berlin-Mitte-Loft, in dem er arbeitet – wirkt weit weniger lebenslustig als auf den Bildern im Netz. Vielleicht fühlt er sich im virtuellen Raum einfach wohler, inmitten der fünf Millionen Nutzer, die SchülerVZ jetzt schon hat, das sind fast zwei Drittel aller deutschen Schüler ab der fünften Klasse. Vielleicht ist Schmid auch so schweigsam, weil er einfach Angst hat, dass eh nur wieder schlecht über SchülerVZ geschrieben wird, wie es in den vergangenen Jahren oft der Fall war.

Dabei lesen sich die Artikel alle gleich: meist wird kritisiert, dass die privaten Dinge, die die Jugendlichen auf SchülerVZ von sich preisgeben, in die falschen Hände gelangen könnten. Pädophile würden sich freizügige Bilder herunterladen, seelenlose Unternehmen die Vorlieben der Schüler ausforschen, um sie irgendwann mit maßgeschneiderter Werbung zu terrorisieren (»Du magst doch gern Pizza – probier mal die!«), und in Bewerbungsgesprächen könnte dereinst ein potenzieller Arbeitgeber die Bilder von dieser ziemlich exzessiven Party aus der Schublade ziehen, die man dummerweise irgendwann einmal in ein SchülerVZ-Album gestellt hat. Das wäre dann das frühe Ende der Karriere. Der »Spiegel«, der ja ebenfalls gern private Dinge ausplaudert, warnte vor Kurzem raumgreifend vor Mobbing und Beschimpfungen im Internet und schrieb: »Es ist, als wären die Jugendlichen plötzlich in den Besitz großkalibriger Distanzwaffen geraten. « Hört sich eher so an, als würden die alten Medien großkalibrig auf die neuen schießen. 

Solche Geschichten hat Schmid wahrscheinlich im Kopf, wenn er einem Journalisten gegenübersitzt. Reden wir also erst mal über das Gute: Auf SchülerVZ wie auch in anderen so genannten »sozialen Netzwerken« kann man ziemlich schnell miteinander ins Gespräch kommen und Leute an seiner Schule oder in seiner Stadt kennenlernen, die ähnliche Interessen haben. Wer weiß denn, ob der Tokio- Hotel-Fan mit der Schwäche für Edgar- Allan-Poe und lila Gummibärchen in einem früheren Leben ohne SchülerVZ nicht auf alle Zeiten bindungslos durch seine Kleinstadt gezogen wäre … Man kann recht unkompliziert Fotoalben anlegen, mit anderen über alle möglichen Dinge diskutieren und, warum nicht, sich einfach recht amüsant die Zeit vertreiben, indem man seine eigenen Webseiten erschafft und seien die Inhalte darauf noch so unsinnig. Klar sind die meisten Gruppen nicht so tiefgründig, aber auch auf dem Schulhof wird ja eine Menge Mist geredet – insofern ist SchülerVZ ein ziemlich gutes Abbild des echten Lebens.

SchülerVZ hat im Übrigen eine Menge getan, um die Kritik von Eltern, Lehrern und Datenschützern zu entschärfen. So wird das Netzwerk regelmäßig nach Propaganda von Neonazis oder dummen Anmachsprüchen durchkämmt, laut Verhaltenskodex ist selbst das Hochladen von Katastrophenbildern verboten, um Zartbesaitete zu schonen, Sexdarstellungen sind sowieso tabu. Für besorgte Eltern gibt es ein Infotelefon, an dem Diplompädagogen sitzen. Dennoch kann auch SchülerVZ nicht verhindern, dass sich schon Zwölfjährige (das ist die Untergrenze, aber wenn man sich nicht daran hält, passiert auch nicht viel) in Posen präsentieren, die besser zu »Germanys next top Luder « passen würden – oder allein 30 Gruppen zu irgendwas mit »Fick dich« existieren. Man will sich schließlich nicht wie die Eltern aufspielen.

Ein aufgeklärter Umgang mit dem Medium wird den Jugendlichen von der Presse meist abgesprochen. Die Möglichkeit, dass selbst 14-Jährige ein Gespür dafür haben, was sie preisgeben können und was nicht, wird meist gar nicht erst in Betracht gezogen. Das Seltsame aber ist, dass auf der einen Seite die ungeheure Belanglosigkeitder Einträge kritisiert, und auf der anderen Seite beständig davor gewarnt wird, zu viel von sich zu offenbaren. Kann es denn vielleicht sein, dass genau deswegen so viel Quatsch in SchülerVZ steht – weil die Jugendlichen keine Lust haben, sich wirklich zu entblößen? Weil die wirklich wichtigen Diskussionen nicht in Gruppen wie »hat jemand noch Arschkarten – ich sammel die nämlich « geführt werden, sondern außerhalb des Internets in der Clique oder der Familie.

So weit das Gute. Aber damit sich SchülerVZ-Chef Schmid nicht ganz umsonst gesorgt hat, muss man auch ein paar unangenehme Dinge ansprechen: Und da wäre zuerst einmal das Geld, das sich derzeit mit SchülerVZ nicht so recht verdienen lässt, was die Besitzer des Netzwerks ganz wuschig macht – denn Medien, die mehr kosten als sie einspielen, sind in der Branche in etwa so beliebt wie Werbung auf SchülerVZ –, womit wir ziemlich So weit das Gute. Aber damit sich SchülerVZ-Chef Schmid nicht ganz umsonst gesorgt hat, muss man auch ein paar unangenehme Dinge ansprechen: Und da wäre zuerst einmal das Geld, das sich derzeit mit SchülerVZ nicht so recht verdienen lässt, was die Besitzer des Netzwerks ganz wuschig macht – denn Medien, die mehr kosten als sie einspielen, sind in der Branche in etwa so beliebt wie Werbung auf SchülerVZ –, womit wir ziemlich Internet-Café gegründet worden und hatte innerhalb kürzester Zeit Millionen von Mitgliedern verzeichnet – so viele, dass es den Gründern anderthalb Jahre später für 85 Millionen Euro vom Holtzbrinck-Konzern abgekauft wurde. Ungefähr seit demselben Zeitpunkt denkt man bei Holtzbrinck darüber nach, wie man das Geld wieder reinbekommt und vielleicht noch ein bisschen was obendrauf.

Im Internet sind die meisten Leute von Werbung genervt

Zunächst mal gründete man ein weiteres VZ für Schüler und dann noch das Portal MeinVZ für alle, die schon aus der Schule raus sind oder studiert haben. Alle zusammen kommen auf fast 13 Millionen Mitglieder – eine Einschaltquote, von der Fernsehsender nur träumen können – und dennoch steht dieser Zahl kaum Wertschöpfung entgegen.

Eigentlich verdient Holtzbrinck viel Geld mit Werbung – das heißt mit Anzeigen in seinen Zeitungen und Magazinen. Doch mit der Werbung im Internet ist es ungleich schwerer, denn dort sind die meisten Menschen von ihr genervt – und am meisten nervt es sie, wenn beim Quatschen mit ihren Freunden Pop-ups oder Banner stören. Das aber bedeutet, dass die gewohnte Einnahmequelle der Medienkonzerne im Netz weitestgehend ausfällt. Kein Wunder, dass bei Holtzbrinck eine latente Panik herrscht, wenn es ums Internet geht, und die zuständigen Geschäftsführungen in kurzen Abständen ausgetauscht wurden, weil sich der Erfolg nicht so recht einstellen will. Und ein netter Grill-Fan wie Christoph Schmid vorgeschickt wird, wenn man eigentlich den Geschäftsführer sprechenwill. Den letzten Flop landete man übrigens im vergangenen Herbst, als man die Mitglieder von StudiVZ in den Nutzungsvereinbarungen zwingen wollte, der Weitergabe ihrer Daten zu Werbezwecken zuzustimmen. Nach einem Sturm der Entrüstung von Datenschützern und Mitgliedern wurde dieses Ansinnen schnell zurückgenommen.

Bei SchülerVZ hat es das Unternehmen sogar noch schwerer – schließlich ist Werbung bei Kindern gesellschaftlich verpönt, weil sie immer den Ruch der Verführung Schutzbefohlener hat. Das wissen auch die Agenturen und schalten eher zögerlich. Zumal der rechtliche Status von SchülerVZ nach wie vor fragwürdig ist, denn juristisch betrachtet ist die Zustimmung der Jugendlichen zu den Nutzungsbedingungen des Netzwerks hinfällig. Schließlich sind Personen unter 18 nur beschränkt geschäftsfähig. Zwar steht in den Vereinbarungen, dass die Nutzer erst die Erlaubnis ihrer Eltern einholen sollen, aber geprüft wird das in der Regel nicht.

Momentan noch mag man sich bei Holtzbrinck damit trösten, dass man zumindest eine Menge Daten über potenzielle, zukünftige Leser seiner anderen Medien gewinnt. Denn auch das ist ja viel wert: dass man weiß, was die Menschen mögen und was nicht. Was sie gern lesen und welche Musik sie kaufen. Man kann sich dann mit seinen Produkten darauf einstellen. Allerdings gibt es genügend andere, die sich diese Daten einfach aus den sozialen Netzwerken rauskopieren (das heißt schön grimmig »data-mining«), um sie zu verkaufen oder selbst für das sogenannte »target advertising« zu nutzen – also für Werbung, die genau auf die Wünsche der Konsumenten abzielt.

Die VZ-Gruppe ist mit ihren Sorgen nicht allein. Auch der weltweit unangefochtene Marktführer Facebook tut sich schwer, die gigantische Mitgliederzahl von 175 Millionen (davon zwei Millionen Deutsche) in ein tragfähiges Geschäftsmodell umzusetzen. Studien in den USA zeigen, dass klassische Werbung in Online-Netzwerken die Leute eher vertreibt, als sie zum Kaufen der Produkte zu animieren. Die Lösung sind nun spezielle Werbeformen, wie zum Beispiel Gewinn- und Mitmachspiele, die den Community-Gedanken aufgreifen. So konnte man auf StudiVZ im vergangenen Jahr mit Coca-Cola zwei Tickets für die Europameisterschaft gewinnen, die man mit einem Fremden teilen sollte – oder einem Aktionsbündnis zur Wiederkehr des Langnese- Klassikers »Nogger Choc« beitreten. Genau, klingt alles nicht so wirklich heiß.

So wie es aussieht, werden nicht alle Netzwerke überleben – zumal die Konkurrenz mittlerweile riesig ist. Neben Facebook und den VZs gibt es in Deutschland noch das Netzwerk »lokalisten.de« und »werkenntwen. de«, die täglich Hunderte neuer Mitglieder finden. »Der Coolere wird überleben«, sagt ein Holtzbrinck-Manager – und er sagt es nicht so, als stünde außer Frage, dass der eigene Laden der coolste ist. Auf SchülerVZ erfährt man von all den Problemen hinter den Kulissen erst mal nichts – nicht mal, wem das StudiVZ-Netzwerk wirklich gehört – nur, dass es einst »in einer kleinen WG gegründet wurde« – was ja wesentlich charmanter klingt als: »gehört zu einem Megakonzern«. Und zu dieser graswurzeligen Interpretation passt ja Christoph Schmid wieder ganz gut – mit seinem dunklen Lockenschopf, dem Dreitagebart und dem legeren Shirt. Er muss also gar nichts sagen, er muss einfach nur lässig aussehen – wie ein richtiger Gründer.

Das Profil von fluter-Redakteur Oliver Gehrs (41) wurde kurz nach dem Interview gelöscht, weil er ja eigentlich schon zu alt für SchülerVZ ist.