Das alte Leben des Efraim Diveroli existiert nur noch im Internet. Auf seiner MySpace-Seite gibt es ein Foto von ihm – wie er in einem weißen T-Shirt vor einer Schrankwand steht und lächelt. Vielleicht kommt er gerade vom Football oder aus dem Fitnessstudio, vielleicht schaut er sich gleich eine DVD an mit einem seiner Lieblings filme: Heat, Scarface, Blow oder Der Pate – halt irgendein Streifen, in dem viel geschossen wird. In seinem neuen Leben spielt Diveroli selbst die Hauptrolle in einem Film, in dem es auch um Waffen geht, um Dunkelmänner, die im Hintergrund agieren, um Briefkastenfirmen. Es geht aber auch um den  Kampf gegen den Terror weltweit, gegen die Schurkenstaaten. Es ist so eine Art Dokumentarfilm der ausgehenden Bush-Ära. Auch zu diesem Leben gibt es ein Foto. Es erschien in der »New York Times« und zeigt Diveroli mit zerzaustem Haar und überraschtem Blick. Als hätte man ihn gerade geweckt und vor die Kamera gezerrt. Es ist eines jener schonungslosen Behördenbilder, die dem  Betrachter nur zwei Möglichkeiten lassen: Entweder sieht er ein Opfer oder einen Täter.

Auf seiner MySpace-Seite hat Diveroli neben seinen Hobbys und Lieblingsfilmen  auch noch beschrieben, wie er sich seine Zukunft vorstellt. Dass er alles tun wird, um in seinem Job erfolgreich zu sein, und dass er sich eine hübsche Freundin wünscht, »mit einem guten Herzen, die in allen Lebenslagen hinter ihrem Mann steht«. Der letzte Eintrag ist vom 30.10.2005, damals war er 19. Der Erfolg ließ nicht  lange auf sich warten. Aus dem netten Jungen vor der Schrankwand wurde einer der größten Waffenhändler im Krieg in Afghanistan. Anfang 2007 erhielt Diveroli einen 300-Millionen-Dollar-Auftrag des Pentagon, damit er den afghanischen Verbündeten im Kampf gegen die Taliban Waffen lieferte.
Vielleicht hat er inzwischen auch eine hübsche Freundin. Fest steht jedenfalls:  heute könnte Diveroli mehr denn je einen Menschen gebrauchen, der hinter ihm  steht. Ende März erschien in der »New York Times« ein Artikel darüber, dass Diverolis Firma AEY Munition nach Afghanistan geliefert hatte, die über 40 Jahre  alt war, und die amerikanische und afghanische Armeeangehörige teilweise als unbrauchbar bezeichneten. Blindgänger oder Patronen mit ungewisser Wirkung.  zudem seien die betagten Waffen über eine Briefkastenfirma auf Zypern und einen Mittelsmann aus der Schweiz besorgt worden, der auf einer schwarzen Liste  steht.

Der Artikel schlug ein wie eine Bombe. Die Fernsehsender berichteten, die  Behörden nahmen Ermittlungen auf und der demokratische Kongressabgeordnete  Henry Waxman fragte stellvertretend für Millionen Leser und Zuschauer: »Wie konnte ein 21 Jahre alter Firmenchef einen sensiblen 300-Millionen-Dollar-Auftrag bekommen, um die afghanischen Kräfte mit Waffen zu beliefern? 

«Gute Frage. Dabei hätten sich die Beamten selbst im Internet über Diverolis Eignung informieren können. Schließlich scheint seine einzige Erfahrung im  Waffengeschäft aus einem Job für den Waffenladen eines Onkels in South Central L. A. zu bestehen, dessen Kunden im Internet-Meinungsforum »epinion«  regelmäßig Beschwerde führen – über nicht eingetroffene oder falsche Lieferungen.

Es beginnt am 11. September 2001 Anfang 2005 hielt die Kongressabgeordnete Diane E. Watson sogar eine Pressekonferenz vor dem Waffengeschäft ab, weil jahrelang ohne Erlaubnis Waffen aus einem dafür nicht ausgelegten Gebäude verkauft worden waren. Obendrein war Efraim Diveroli im Jahr 2006 zweimal polizeiauffällig geworden – weil sich eine Freundin über Belästigungen beschwerte, ein anderes Mal wegen eines gefälschten Führerscheins und eines tätlichen Angriffs auf einen Parkplatzwächter. Alles Auffälligkeiten, die in den USA normalerweise dafür ausreichen, um Schwierigkeiten bei der Eröffnung einer Hot-Dog-Bude zu bekommen. Gegen Waffenlieferungen im großen Stil hatte hingegen niemand was. Jedenfalls flossen auf das Konto von Diverolis Firma laut offiziellem Ausgaberegister allein im vergangenen Jahr 202 Millionen Dollar – für den Kampf gegen die Al Quaida und die Taliban – also gegen das, was George W. Bush und sein früherer Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gern schlicht das Böse nennen. Das Böse ist nun Efraim Diveroli.

Der Krieg gegen den Terror funktioniert nach den Regeln der Wirtschaft

Doch diese Geschichte ist möglicherweise genauso falsch. Beide Geschichten beginnen kurz nachdem am 11. September 2001 zwei Flugzeuge in das World Trade Center krachten und rund 3000 Menschen töteten. Damals begannen die USA den Kampf für eine sicherere Welt. Zunächst in Afghanistan, wo man den Al-Quaida Führer Osama bin Laden vermutete, später im Irak. Bei diesem Kampf benötigten die USA nicht nur andere Länder an ihrer Seite, sondern auch Firmen, die all das liefern konnten, was
man in einem globalen Krieg gegen einen fast unsichtbaren Gegner so braucht: Flugzeuge, Schiffe, Panzer, Essen, Unterkünfte, Uniformen – Unternehmen wie Blackwater liefern sogar Soldaten, die praktischerweise in keiner offiziellen Statistik auftauchen, wenn sie im Kampf sterben. George Bush hat wie kein Präsident vor ihm die Außen politik zum Feld für Privatunternehmen gemacht, den Krieg zum Business für geschickte Geschäftsleute. Sie können am Kaputtmachen verdienen und am Wiederaufbau.

Der Krieg gegen den Terror ist der erste, der ganz nach den Regeln der Wirtschaft funktioniert. Wer am meisten für sein Geld bietet, erhält den Zuschlag – und wenn es die Firma eines 21-Jährigen ist, dessen stellvertretender Geschäftsführer auch nur eine Lizenz als Masseur hat, wie die Medien süffisant vermerkten. Als der Auftrag im Herbst 2006 ausgeschrieben wurde, machte AEY den besten Preis und erhielt den Zuschlag. Offenbar hatten sich die Kaufleute im Pentagon gegen die Sicherheitsstrategen durchgesetzt. 

Normalerweise wird die Munition, die die US-Army einkauft, strengen Tests unterworfen. Erst nach eingehender Prüfung wird die Bestellung freigegeben. Aber bei den Waffen für die Afghanen musste es zügig gehen. Und vielleicht war es den Militärs auch nicht so wichtig, was die Kämpfer am Hindukusch da so genau in ihre Kalaschnikows stecken – sie kennen sich ja mit den Waffen aus sowjetischer Bauart nicht so aus. Jedenfalls gaben sie Diveroli einen Vertrag, in dem gerade mal drinstand, dass eine bestimmte Menge an Waffen geliefert werden soll, aber nichts darüber, wie alt die Munition sein darf. Vielleicht haben sie gedacht, dass niemand auf die Idee kommen könnte, Patronen zu liefern, die fast ein halbes Jahrhundert alt sind. Aber von denen gibt es jede Menge. Der Kalte Krieg, in dem sich Ost und West hochgerüstet gegenüberstanden, hat in Osteuropa ein gigantisches Erbe hinterlassen: Berge von Raketen, Gewehren und Patronen – das meiste ist für wenig Geld zu haben. Diese Berge befinden sich in Ungarn, Tschechien oder Bulgarien, aber auch in politisch weniger zuverlässigen Staaten wie Rumänien oder Albanien. In den vergangenen Jahren wurden dort im Auftrag der NATO-Länder, darunter Deutschland, für viele Millionen Waffen vernichtet – aber es ist so viel davon da, dass man mit dem Vernichten kaum hinterherkommt. Und manchmal taucht das, was es eigentlich nicht mehr geben sollte, wieder auf. 

Zum Beispiel in Afghanistan. Fest steht, dass auch Efraim Diveroli in Albanien Geschäfte machte, dass er sich hier billig Munition beschaffte, um sie nach Afghanistan zu liefern. Munition, die nur noch bedingt geeignet ist, um Kriege zu führen und wahrscheinlich gar nicht, um sie zu gewinnen und die Loyalität der wenigen afghanischen Verbündeten zu bewahren, die die USA in Afghanistan mehr denn je brauchen. Munition, bei denen sich die afghanischen Soldaten – etwa in Nawa – einem Außenposten an der pakistanischen Grenze – fragten, was sie denn damit machen sollen, was ihnen da teilweise aus kaputten Kartons entgegengammelte. Denn aus den sicheren Holzkisten wurde die Ware in Pappkartons umgepackt, wohl um die wahre Herkunft zu verschleiern – denn auf den Kisten waren chinesische Schriftzeichen – und Waffen aus China unterliegen in den USA einem Embargo. Mittlerweile haben Ermittler der Regierung die Aussage eines US-Militärattachées, wonach sogar der US-Botschafter in Albanien geholfen haben soll, die Herkunft der Lieferungen zu vertuschen. Für viele Amerikaner ist das nicht mal eine Überraschung, weil sie sich bereits an die Geschäfte, die große Öl- oder  Rüstungskonzerne mit der Regierung treiben, gewöhnt haben.

Bevor er Vizepräsident wurde, baute etwa Dick Cheney den Konzern Halliburton zum größten privaten Zulieferer militärischer Dienstleistungen um, dessen Börsenwert seit Beginn des Irak-Krieges deutlich anstieg und die Aktionäre, darunter Cheney, ziemlich glücklich gemacht haben dürfte. »Bis heute hat dieser Krieg 460 Milliarden Dollar gekostet, und es heißt, dass von jedem Dollar 40 Cent an private Unternehmen gehen«, sagt die Globalisierungskritikerin Naomi Klein. »Über diese Parallelökonomie hat es nie eine Debatte gegeben.« AEY ist von künftigen Auftragen mittlerweile ausgeschlossen worden, die aktuelle Vereinbarung wurde wegen Betrugs gestoppt, Efraim Diveroli muss sich vor Gericht verantworten. Aber am Pranger steht nicht nur ein ziemlich junger Waffenhändler aus Miami, sondern ein ganzes System. Ein System, das den Kampf für mehr Sicherheit so weit privatisiert hat, dass es eben diese Sicherheit nicht mehr garantieren kann.