Ihre Losnummer beinhaltete eine 7, eine 9 und dann auch noch eine 13. Luise Zöllner rechnete sich damit keine großen Chancen aus. Im Frühsommer 2018 brachten ihr aber genau diese krummen Zahlen Glück: Die heute 24-Jährige gewann bei „Mein Grundeinkommen“ und bekam ein Jahr lang monatlich 1.000 Euro aufs Konto – steuerfrei und bedingungslos.

In den ersten Monaten beendete sie ihre Ausbildung als Physiotherapeutin und fing an, in einer Praxis zu arbeiten. Sie hatte aber starke Schmerzen in den Händen und die Arbeitsbelastung war so hoch, dass sie kaum auf ihre Patienten eingehen konnte. „Das Grundeinkommen hat mir die Möglichkeit gegeben, zu kündigen und mir zu überlegen, was ich eigentlich machen möchte“, sagt Luise heute. „Es heißt immer, mit mehr Sicherheit gibt man Freiheit auf – aber das Grundeinkommen hat mir gleichzeitig mehr Freiheit und mehr Sicherheit gegeben.“ Mittlerweile hat sie sich entschieden: Ab dem kommenden Wintersemester möchte sie Gesundheitswissenschaften studieren.

Die Crowdfunding-Lotterie in Deutschland ist nur eines von vielen Projekten rund um das Bedingungslose Grundeinkommen. In Finnland, Indien und Namibia gibt es bereits groß angelegte Experimente

Luise ist eine von mittlerweile 316 Gewinner*innen von „Mein Grundeinkommen“. 2014 hat der IT-Unternehmer Michael Bohmeyer den gleichnamigen Verein gegründet, der auf Spenden basiert: Immer wenn 12.000 Euro zusammenkommen, wird eine Gewinnerin beziehungsweise ein Gewinner gezogen. Anfang 2019 veröffentlichte Bohmeyer ein Buch, für das er 24 Gewinner*innen getroffen und interviewt hat, um herauszufinden, was sie mit ihrem Geld machen – und was das Grundeinkommen mit ihnen macht. Sein Fazit ist durchweg positiv: Das Grundeinkommen sichere die Menschen ab und ermögliche ihnen, sich selbst zu verwirklichen. Es nehme den Stress aus ihrem Alltag und mache sie in der Folge glücklicher, gesünder und produktiver.

Bohmeyer ist natürlich nicht der Erste und Einzige, der über ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) nachdenkt. 2014 veröffentlichte der niederländische Historiker Rutger Bregman das Buch „Utopien für Realisten“, in dem er unter anderem für eine 15-Stunden-Woche und ein BGE plädiert. In Deutschland trat zur Bundestagswahl 2017 das „Bündnis Grundeinkommen“ an, und in der Schweiz wirbt eine Initiative seit Jahren dafür. 2016 brachte sie das BGE zur Volksabstimmung, doch der Vorschlag wurde abgelehnt. In anderen Ländern ist man konkreter geworden: In Indien und Namibia wurde das Grundeinkommen in einzelnen Ortschaften getestet, 2017 bekamen in Finnland 2.000 Arbeitslose zwei Jahre lang ein BGE. Die Bilanz ist weitgehend positiv, urteilte die finnische Projektleitung. Ab 2020 sollen weitere Experimente folgen.

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Vorbereitung und Aufbau mit Initiator Michael Bohmeyer (vorne links), Projektmanagerin Hellwig Fenner (hinten Mitte) und Sandra Schmidt an der Kamera (Foto: Gordon Welters/laif)

Utopie in drei, zwei, eins ... Initiator Michael Bohmeyer (vorne links) checkt noch einmal die Telefonleitung. Die Verlosung wird live übertragen

(Foto: Gordon Welters/laif)

Parallel wird viel geforscht, verschiedenste Modelle werden erstellt und durchgerechnet. Manche sehen vor, das aktuelle komplizierte Umverteilungssystem des Sozialstaates komplett durch das Grundeinkommen zu ersetzen, andere wollen es ergänzend einführen. Konservative Befürworter*innen sind für ein niedriges BGE, das einen Anreiz bietet, es durch Gehalt aufzubessern. Auf der linksprogressiven Seite wird ein höheres BGE gefordert, das die Menschen komplett absichert. Kritiker*innen verschiedener Lager sind währenddessen der Meinung, dass das BGE zur Sicherung der Grundbedürfnisse so oder so nicht reiche oder sich nicht realistisch finanzieren lasse.

Die meisten Modelle basieren auf einer Steuerfinanzierung, zum Beispiel durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer oder eine „negative Einkommensteuer“: Der Staat kassiert kein Geld, sondern zahlt Einnahmen an Geringverdiener aus. Diese zahlen erst dann Einkommensteuer, wenn sie ein bestimmtes Einkommensniveau erreichen. Im Idealfall soll so jeder, der zusätzlich zur Grundsicherung einen Job annimmt, mehr Geld verdienen, als wenn er nur die Grundsicherung bekäme.

Ein oft genanntes Argument gegen das Grundeinkommen: Keiner wird mehr die Drecksarbeit machen. Für Befürworter nur ein weiterer Beweis für die Dringlichkeit der Existenzsicherung

Bernhard Neumärker, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg, hält das BGE für eine gute Idee. Er spricht von „Zeitsouveränität“, die die herrschende Konsumentensouveränität ersetzen könnte: In unserem aktuellen System arbeiten wir, oft fremdbestimmt, um uns von dem Geld, das wir verdienen, selbstbestimmt etwas zu kaufen. Wer nicht arbeitet, wird unter Druck gesetzt, sich wieder einen Job zu suchen. Mit dem BGE, glaubt Neumärker, würden wir hingegen „die Freiheit zur selbstbestimmten Arbeit und zur produktiven, kreativen Freizeit“ gewinnen. Damit argumentiert er auf einer Linie mit dem dm-Gründer Götz Werner, einem der bekanntesten Befürworter des BGE in Deutschland.

Auf dieses Argument folgt häufig der Einwand, dass in einem solchen System keiner mehr den Müll wegbringen und die Klos putzen würde. Neumärker glaubt stattdessen, dass es mehr Wertschätzung für diese Jobs geben würde, sobald niemand mehr gezwungen wäre, sie zu machen – und dadurch auch mehr Geld: weil die Arbeitnehmer*innen mit dem BGE die Freiheit hätten zu kündigen und dadurch auf Augenhöhe mit den Arbeitgeber*innen verhandeln könnten.

Christoph Butterwegge hält das für Unsinn: „Die Löhne würden sinken, weil das schlagende Argument der Arbeitgeber wäre: Ihr habt doch ein Grundeinkommen!“ Butterwegge ist Politikwissenschaftler und Armutsforscher im Ruhestand, ließ sich 2017 für die Linke als Kandidat für die Wahl des Bundespräsidenten aufstellen und ist einer der prominentesten Gegner des BGE. Er hält es für unrealistisch und vor allem für ungerecht: „Es ist nicht bedarfsgerecht, wenn der Spitzensportler genauso viel bekommt wie ein Mensch mit schwerer Behinderung – dem in unserem Sozialsystem neben Geld auch noch Dienst- und Sachleistungen zustehen. Diese würden mit dem BGE einfach wegfallen.“ Auch für die Armutsbekämpfung sei das Grundeinkommen nicht die richtige Lösung. Bestenfalls könne es absolute Armut verringern, etwa bei Obdachlosen. „Aber die relative Armut würde es nicht beseitigen, weil die Armutsgrenze steigt, wenn jeder monatlich 1.000 Euro bekommt.“

Statt für ein BGE argumentiert Butterwegge daher für einen Ausbau des bestehenden Sozialstaates: für einen höheren Mindestlohn, die Umwandlung prekärer Jobs in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse, eine solidarische Bürgerversicherung, die auch Selbstständige, Freiberufler und Beamte einbezieht, sowie eine „armutsfeste, bedarfsgerechte und sanktionsfreie“ Grundsicherung.

„Es hat ein paar Monate gedauert, bis nicht nur das Grundeinkommen bei mir angekommen ist, sondern auch die Bedingungslosigkeit. Die Tatsache, dass ich niemandem Rechenschaft schuldig bin.“

Über die Frage der Gerechtigkeit hat auch Luise nachgedacht, als sie per E-Mail von ihrem Gewinn informiert wurde. „Ich dachte: Warum ich? Mir geht es ja nicht schlecht, andere brauchen es sicher dringender“, erzählt sie. Zusätzlich habe sie erst mal das Gefühl gehabt, mit dem Geld „irgendwas Krasses“ machen zu müssen – immerhin hatten andere es gespendet. „Es hat ein paar Monate gedauert, bis nicht nur das Grundeinkommen bei mir angekommen ist, sondern auch die Bedingungslosigkeit. Die Tatsache, dass ich niemandem Rechenschaft schuldig bin.“

Manche Befürworter*innen glauben auch, dass sich durch die Bedingungslosigkeit eine „Sorgewirtschaft“ etablieren könnte, in der Menschen es sich leisten könnten, die gebrechliche Mutter zu pflegen oder ehrenamtlich im sozialen Bereich zu arbeiten. Einfach weil sie das gerne machen wollen.

Die weit verbreitete Befürchtung, dass das BGE Menschen faul macht, teilen weder Neumärker noch Butterwegge. Das deckt sich mit Luises Erfahrung. „Es ist ein schmaler Grat zwischen angenehmem Nichtstun und dem Gefühl, nicht gebraucht zu werden“, sagt sie. „Ich war auch in der Zeit nach der Kündigung den ganzen Tag beschäftigt, aber es hat sich nicht immer so angefühlt, als hätte ich wirklich etwas Wichtiges getan.“ Darum hatte sie angefangen, im Fitnessstudio als Trainerin zu arbeiten. Um unter Menschen zu kommen und mit ihnen zusammen an etwas zu arbeiten, für das es sich ihrer Meinung nach zu arbeiten lohnt. 

Mehr Argumente für und gegen das Bedingungslose Grundeinkommen gibt es hier.

Titelbild: Gordon Welters/laif