Der 20. Juli 1974 veränderte das Leben der Menschen auf der kleinen Mittelmeerinsel Zypern: Damals landeten türkische Streitkräfte im Norden und besetzten ihn. Die Bevölkerung Zyperns ist seit Jahrhunderten griechisch und türkisch geprägt. 1914 annektierte Großbritannien die Insel und schürte den Konflikt zwischen den beiden Gruppen. 1960 wurde Zypern schließlich unabhängig.
Bis heute wird die Insel von einer von den Vereinten Nationen bewachten Pufferzone getrennt, von der sogenannten „Grünen Linie“. Die Republik Zypern im Süden hat eine mehrheitlich griechisch und christlich geprägte Bevölkerung. Die Bevölkerung in der international nur von der Türkei anerkannten „Türkischen Republik Nordzypern“ (TRNC) ist muslimisch geprägt. Dieser Teil wird militärisch wie wirtschaftlich von Ankara unterstützt.
Die Grüne Linie führt auch mitten durch die Hauptstadt Nikosia. 2003 öffnete dort der erste von mehreren Checkpoints, an denen die Menschen von beiden Seiten die Grenze seitdem passieren können. Im Zuge der Beitrittsverhandlungen Zyperns zur Europäischen Union wurde der vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan maßgeblich vorangetriebene Annan-Plan, der eine Wiedervereinigung der Insel vorsah, vorgelegt und zur Abstimmung gestellt. Die Bevölkerung im Norden stimmte 2004 mehrheitlich dafür, die im Süden jedoch dagegen. Alle weiteren Versuche, zwischen beiden Seiten zu vermitteln, sind bislang gescheitert.
Süd-Nikosia
„In der Schule haben sie uns eigentlich nur Schlechtes über die andere Seite erzählt. Aber wer ein bisschen Verstand hat, weiß, dass es dort auch gute Menschen gibt. Und über die sozialen Medien lernen wir auch immer mehr andere Perspektiven kennen. Wenn Leute ganz aus dem Süden zu Besuch nach Nikosia kommen, sind sie meist irritiert, wenn aus den Lautsprechern der Moscheen der nördlichen Seite der Gebetsruf zu uns rüberschallt. Wir hören ihn jeden Tag, für uns ist das normal. Von der Bar, in der ich arbeite, kann ich direkt auf die Grüne Linie schauen. Oft haben wir Gäste aus dem Norden. Ich war bisher zwei-, dreimal da. Nach ein paar Metern hat mein Handy kein Netz mehr – denn unsere SIM-Karten funktionieren dort nicht. “
Mary, 24
„Ab 18 Jahren müssen alle Männer Militärdienst leisten, der 14 Monate lang dauert. Ich fand meinen Dienst gut, denn er hat mich viel über mich selbst gelehrt und wie ich im Notfall überleben kann. Stationiert war ich entlang der Pufferzone. An manchen Stellen trennen die Seiten nur wenige Meter, so wie hier in Nikosia. Dann sieht man die Wachposten und Soldaten im Norden. Dort, wo ich war, waren es etwa zehn Kilometer. Die Kriegsgefahr ist immer da, vor allem jetzt mache ich mir Sorgen: Israel und der Gaza-Krieg sind direkt nebenan, und auch der Iran mischt mit. Sollte es hier auf Zypern erneut zu einem Krieg kommen, würde ich nicht weglaufen, sondern mein Land verteidigen.“
Sotiris, 21
„Ich sage mir immer: Ich werde die andere Seite erst besuchen, wenn es ein vereintes und freies Zypern gibt. Im Moment würde es mich nur traurig machen, dorthin zu reisen. Eigentlich komme ich aus Paphos, aus einer Stadt im Süden, bin aber für mein Pharmaziestudium nach Nikosia gezogen. Seither ist mir die Teilung der Insel noch bewusster geworden. Die Menschen hier auf Zypern wollen den Konflikt lösen. Das Problem ist die Türkei, nicht die griechischen und türkischen Zyprer:innen. 1974 ist die Türkei einmarschiert und hat Teile der Insel besetzt. Immer mehr türkische Staatsbürger:innen sind in der Folge in den Norden unserer Insel gezogen. Sobald die Türkei ihre Truppen abzieht, wird sich die Situation entspannen. Da bin ich mir sicher.“
George, 24
„Als die Grenze 2003 geöffnet wurde, habe ich mit meiner Familie die andere Seite besucht. Meine Großeltern und meine Mutter stammen aus dem besetzten Norden der Insel. Ich erinnere mich daran, wie meine Großmutter geweint hat, als wir vor ihrem alten Haus standen. Die jetzigen Bewohner haben kurz aus dem Fenster geschaut. Aber die Tür aufgemacht oder mit uns gesprochen haben sie nicht. Seither war ich nie wieder im Norden, ich habe auch keine türkisch-zyprischen Freunde. Das ist keine bewusste Entscheidung, ich begegne ihnen einfach nicht im Alltag.“
Katerina, 29
Nord-Nikosia
„Meine Eltern kommen aus dem Irak. Ich bin in Dubai geboren und habe später mit meiner Familie viele Jahre in der Türkei gelebt. Bevor ich nach Nordzypern zum Studieren gereist bin, war ich ein bisschen deprimiert. Denn ich hatte viel Schlechtes gehört. Aber ich mag es hier sehr – nachts kann ich als Frau zum Beispiel allein die Straßen langlaufen, ohne dass mich jemand schief anschaut oder mir etwas passiert. Viele junge Menschen aus afrikanischen und arabischen Ländern studieren in Nordzypern, weil das Bildungsniveau besser und der Abschluss vergleichsweise günstig ist. In den Süden der Insel und damit in die EU können wir mit unseren Studierenden-Visa allerdings nicht reisen.“
Fatma, 22
„In meinem Unternehmen arbeiten 70 Angestellte. Wenn ich bestimmte Materialien brauche, ist es meist einfacher und schneller, sie zu den Häfen im Süden liefern zu lassen, wo ich sie dann abhole. Manchmal überquere ich die Grüne Linie auch, um zu shoppen. Aber Freunde habe ich dort nicht. Wir Menschen hier auf der Insel sind uns sehr ähnlich, und doch sind wir verschieden – etwa wenn es um Sprache und Religion geht. Ein vereintes Zypern wird es meiner Meinung nach nie geben. Natürlich möchte ich in Frieden leben, es muss aber ein gerechter Frieden für alle sein. Ich wünsche mir, dass die internationale Gemeinschaft die Türkische Republik Nordzypern anerkennt und dass wir türkischen Zyprer:innen unabhängiger von der Türkei werden. Nur wer sich und seine Identität anerkennt, kann von anderen anerkannt werden.“
Kutay, 25
„Ich liebe Techno. Zum ersten Mal auf der anderen Seite war ich, um in einem Club zu feiern. Ich war ganz schön nervös und hatte Angst, wie die Leute auf mich reagieren würden, wenn sie herausfinden, dass ich aus dem Norden bin. Meine Mutter hatte mir immer eingebläut, dass die Menschen im Süden nicht gut zu uns sind und sie mich umbringen würden, sollte es einen neuen Krieg geben. Aber zu meiner Überraschung waren alle total lieb und haben mich offen aufgenommen. Dafür war ich ihnen so dankbar. Mittlerweile bin ich regelmäßig da. Als Teil eines Kollektivs organisiere ich gemeinsam mit anderen Partys auf beiden Seiten der Grünen Linie.“
Çisil, 21