Thema – Ukraine

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Wer am Ukrainekrieg verdient

In der Ukraine ist noch lange nichts entschieden, Gewinner gibt es aber schon: Diese sechs Wirtschaftszweige profitieren vom Krieg – aus ganz unterschiedlichen Gründen

Rüstungsindustrie

Seit Jahren zeigt sich Deutschland als pazifistische Zivilmacht, die lieber verhandelt oder Wirtschaftssanktionen verhängt, als militärische Auseinandersetzungen zu suchen. Dazu ein missglückter Afghanistan-Einsatz und technische Pannen bei der Bundeswehr. Es stand also nicht zum Besten mit dem Image der deutschen Waffen- und Rüstungshersteller, die davon unbeeindruckt im Ausland weiter Milliarden umsetzen. Nun aber weckte der Angriff auf die Ukraine ein Sicherheitsbedürfnis, das der Waffenwirtschaft zu neuem Ansehen verhilft. Und zu neuem Geld: Die Regierung wird 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr bereitstellen, sie will in den nächsten Jahren durchschnittlich zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in die Verteidigung stecken und liefert schwere Waffen an die Ukraine.

Das freut die Rüstungsindustrie: Ein Teil des Sondervermögens soll in Panzer, Hubschrauber, Munition und Co. fließen – und auf einmal kaufen wieder mehr Anleger Aktien von Panzerbauern. Der Kurs des Düsseldorfer Rüstungsunternehmens Rheinmetall zum Beispiel hat sich im Vergleich zu Dezember 2021 mehr als verdoppelt.

Erneuerbare Energien

Das Ende des Ölzeitalters wird schon lange verkündet. Trotzdem kam der Ausbau von Solar- und Windenergie in Deutschland nicht voran. Gerade den Bau von Windkrafträdern verhindern vielerorts die Einwände von Kommunen (der Lärm, die Optik, der Artenschutz) oder geltende Gesetze (die etwa Minimalabstände zu Wohngebieten festlegen). So waren 2019, 2020 und 2021 die Jahre, in denen seit 2000 am wenigsten neue Windenergieanlagen errichtet wurden. 2021 ist die Zahl der Windräder bundesweit sogar zurückgegangen, weil alte und defekte Anlagen abgebaut wurden.

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Dieser Trend könnte sich mit dem Angriff auf die Ukraine umkehren: Er zeigt einmal mehr, dass die Energiewende nicht nur ökologisch, sondern auch politisch wichtig ist. Ihr enormer Ölbedarf trieb westliche Industrienationen dazu, Bündnisse mit fossilen Autokraten wie Wladimir Putin oder dem Königshaus von Saudi-Arabien einzugehen. Dass Deutschland schnell mehr Energie im eigenen Land produzieren muss, wird der hiesigen Wind- und Solarkraft zugutekommen. Kurz nach Kriegsbeginn schnellten die Aktienkurse entsprechender Unternehmen in die Höhe. Außerdem hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf gebilligt, mit dem der Ausbau der Windkraft deutlich beschleunigt werden soll.

Allerdings könnte kurzfristig auch der fossile Energiesektor profitieren: Beim Kohleausstieg 2030 soll es bleiben. Aber laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sollen bis Ende März 2024 verstärkt Kohlekraftwerke genutzt werden, um Gas zu sparen. Dafür sollen auch Reservekraftwerke wieder aktiv ans Netz gehen.

Agrarsektor

Die Ukraine wird oft als Kornkammer der Welt bezeichnet. 2021 produzierte das Land rund 70 Millionen Tonnen Getreide und Pflanzsamen fürs Ausland – und gehört damit zu den weltweit größten Getreideexporteuren und -herstellern. Das liegt vor allem an den speziellen „Schwarzerdeböden“, den harten Wintern und trockenen Sommern. Im Krieg ist an einen solchen Ertrag nicht mehr zu denken. Viele Bauern müssen kämpfen, ihre Äcker wurden durch die Angriffe zerstört und Transportwege sind blockiert. Laut Weltbank macht der Agrarsektor rund neun Prozent des ukrainischen Bruttoinlandsprodukts aus. Aber nicht nur für die Ukraine selbst sind die Ernteverluste eine Katastrophe: Die UNICEF warnt, dass mittlerweile fast acht Millionen Kinder in 15 Krisenländern durch Mangelernährung vom Tod bedroht sind (und dass der Anstieg mangelernährter Kinder eng mit dem Krieg zusammenhänge).

Für die großen Getreideproduzenten im Rest der Welt – unter anderem die USA, Kanada, aber auch Russland – ist der Einbruch der Versorgung aus der Ukraine rein wirtschaftlich eine gute Nachricht. Wenn auf dem Weltmarkt weniger Weizen verfügbar ist, können sie ihre Erzeugnisse deutlich teurer verkaufen. Nach Kriegsbeginn ist der Weizenpreis – der im vergangenen Jahr ohnehin schon gestiegen ist – explodiert. Das liegt aber nicht nur am knapperen Angebot auf dem Weltmarkt, sondern auch an den höheren Kosten für die Landwirte: Die wichtigen Stickstoffdünger sind teurer geworden, weil sie mit dem immer teurer werdenden Erdgas hergestellt werden.

Flüssigerdgas

Erdgas spielt eine Hauptrolle in der deutschen Energiepolitik. Bislang stammten 55 Prozent des von Deutschland verwendeten Gases aus Russland, gerade sind es rund 35 Prozent, bis Ende 2022 sollen es nur noch 30 Prozent sein. So verdiente der Kreml in den ersten hundert Kriegstagen 7,81 Milliarden Euro, also rund 78 Millionen Euro am Tag – allein aus Deutschland. Da Russland damit (indirekt) den Krieg finanziert und die Abhängigkeit Deutschlands ausnutzen könnte, schaut sich die Bundesrepublik nach alternativen Erdgaslieferanten um. Eine Option: LNG, verflüssigtes Erdgas. Das ist deutlich kompakter und lässt sich einfach per Schiff transportieren, gilt aber unter anderem aufgrund seiner energieaufwendigen Produktion als klimaschädlich.

Die Bundesregierung hat inzwischen vier der sehr seltenen schwimmenden Terminals für LNG-Frachtschiffe für Deutschland gesichert. Unternehmen, die solche Terminals bauen, profitieren von der gestiegenen LNG-Nachfrage. Genauso wie LNG produzierende Staaten wie die USA, Norwegen oder Katar. Die Bundesregierung wird deren Exportstrategien genau verfolgen: Seit Ende April gilt das Gesetz zur Nationalen Gasreserve, das sichergestellen soll, dass die Gasspeicher immer ausreichend befüllt sind.

Satelliteninternet

Wie hilflos wir ohne Internet sind, zeigen schon die paar Minuten, in denen Instagram oder Google mal nicht erreichbar sind. Im Krieg kann das schnell passieren – und zwar tagelang. Funkmasten und Verteilerstationen sind strategische Ziele, die die russischen Truppen gezielt stören oder beschädigen. In den besonders umkämpften ukrainischen Gebieten fielen das Internet und der Mobilfunk zwischenzeitlich aus.

Das sogenannte Satelliteninternet soll das verhindern. Eines der Unternehmen, das diese Technologie anbieten, ist SpaceX, gegründet von Elon Musk. Er hat sein Satellitennetzwerk Starlink in der Ukraine freigeschaltet und Hunderte Empfangsanlagen geliefert. Die verbinden sich mit einem der rund 2.300 Kleinsatelliten im All und ermöglichen so Internet ohne Funkmasten oder Internetleitungen.

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Im fluter-Podcast erklärt Netzexperte Tomas Rudl, wie breit Breitband ist und warum Deutschland so langsames Internet hat

Unternehmen nutzen die Technologie schon länger. Windräder werden zum Beispiel über Satelliten gesteuert, weil sie oft so abgelegen und weit verstreut liegen, dass es sich nicht lohnt, Internetkabel an den Standort zu verlegen. Die Nachfrage nach Satelliteninternet ist groß. Auch die EU möchte ein eigenes Netz aufbauen, um entlegene Regionen ans Breitbandinternet anzubinden. Ob das System der Ukraine im Kriegsalltag hilft, ist aber unklar. Zum einen, weil sich das ukrainische Netz aus Standleitungen, Glasfaserkabeln und Mobilfunkstationen laut Militärexperten bislang als stabil erwiesen hat. Zum anderen, weil auch Satelliten nicht sicher vor Hackern sind. Zu Kriegsbeginn fiel etwa das KA-SAT-Satellitennetzwerk aus, mit dem das Unternehmen Enercon Windräder steuert. Hinter dem Angriff werden russische Hacker vermutet.

Cybersecurity

Geheimdienste verdächtigen Russland schon lange, mit Hackern und Trollen gegen europäische und US-Webseiten vorzugehen. In vielen Fällen konnte nachgewiesen werden, dass die Cyberattacken aus Russland verübt wurden. Dabei waren Ministerien genauso betroffen wie Privatpersonen, Kraftwerke, Unternehmen oder Medienhäuser. Die Folgen können verheerend sein: 2015 zum Beispiel legten russische Hacker einen Teil des ukrainischen Stromnetzes lahm, der etwa eine Viertelmillion Menschen versorgte, und erst im Mai attackierten russische Hacker die Webseiten deutscher Behörden und Ministerien. (Ein Datenverlust konnte aber verhindert werden.) Auch deutsche Verlage und Tageszeitungen haben mit Trollen und Bots zu kämpfen, die vermeintlich aus Russland gesteuert werden: Seit Kriegsausbruch wurden vor allem Seiten mit Nachrichten zur Lage in der Ukraine angegriffen. Cybersecurity-Experten, Sicherheitsmechanismen und entsprechende Software können solche Angriffe verhindern. Wie wichtig Investitionen in diesem Bereich sind, macht der Krieg deutlich.

Das Titelbild von Nikita Teryoshin/OSTKREUZ zeigt einen Messestand von Rheinmetall.

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