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Die Pragmatikerin

Vom Einwandererkind zur Senatorin: Kamala Harris verkörpert jetzt schon den amerikanischen Traum. Fertig ist sie aber noch lange nicht

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Im November 2020 will Donald Trump wieder zum US-Präsidenten gewählt werden. Der Wahlkampf läuft bereits: Über 20 Kandidat*innen der Demokratischen Partei wollen gegen ihn antreten. Doch nur eine*r darf. Fluter.de stellt die fünf aussichtsreichsten vor – plus einen weniger aussichtsreichen Republikaner.

Update 4.12.: Kamala Harris hat mittlerweile bekanntgegeben, dass sie aus dem Wahlkampf um die Präsidentschaftskandidatur der US-Demokraten aussteigt. Ihr fehlen nach eigenen Angaben die finanziellen Mittel.

Ein Gospelchor singt die Nationalhymne, ein schwarzes Mädchen hält den „Pledge of Allegiance“, das Treuegelöbnis auf die US-Flagge, ein afroamerikanischer Pastor spricht über Rassismus und Zusammengehörigkeit in den USA. Rund 20.000 Menschen haben sich an diesem symbolbeladenen Sonntagnachmittag in der Innenstadt von Oakland, Kalifornien, versammelt. Doch es dauert und dauert, bis der Song über die Lautsprecher läuft, auf den alle gewartet haben: „Work That“ von Mary J. Blige, das Startsignal für Kamala Harris. Es ist eines ihrer Lieblingslieder, zu dem sie auf die Bühne schreitet und der Masse entgegenstrahlt.

Harris wuchs in den 60er-Jahren in Oakland auf, hier soll auch ihr Wahlkampf beginnen. Harris erzählt von ihrer Mutter, einer Einwanderin aus Indien, und von ihrem Vater, der aus Jamaika kommt. Sie spricht mehrfach vom „amerikanischen Traum“, der für viele Menschen nicht mehr erreichbar sei. „Das sind keine gewöhnlichen Zeiten. Und das wird keine gewöhnliche Wahl“, sagt Harris. Ihre Kandidatur hatte sie eine Woche zuvor in der ABC-Sendung „Good Morning America“ bekannt gegeben, präzise getimt, am Martin-Luther-King-Tag. Harris will nicht nur die erste Präsidentin werden, sie will die erste schwarze Frau an der Spitze des Landes sein. 

Alter: 54

Position: Senatorin aus Kalifornien

Wahlkampfthemen: Verschärfung der Waffengesetze, Reform des Strafjustizsystems, Kredite für ärmere Familien

Basis: Frauen, People of Color, Young Professionals an den Küsten

Spenden: 13,2 Millionen Dollar

Dafür machte Harris im Januar als eine der ersten Demokraten ihre Bewerbung offiziell. Buzzfeed bezeichnete sie damals als „Antithese zu Donald Trump“. Ein halbes Jahr später zählt die 54-Jährige immer noch zu den fünf Topkandidaten, obwohl sich das Feld mittlerweile auf über 20 Politikerinnen und Politiker vergrößert hat. 

#ForThePeople lautet Harris’ Wahlkampfslogan. Wer genau diese People sind, für die sich Harris einsetzen will, ist vielen US-Amerikanern nicht ganz klar. Harris gehört weder zum linken Flügel der Partei, dafür sind ihre Forderungen zu moderat, noch zum alten Zentrum der Demokraten, wie beispielsweise Joe Biden. Harris gilt als Pragmatikerin, die vor allem mit ihrer Biografie Fortschritt verkörpert. Nur: Reicht das?

Zu ihren Forderungen zählen ein schärferes Waffengesetz und ein Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde, sie möchte Gewerkschaften stärken und plant eine Reform des Gesundheitssystems. So weit, so demokratisch. Doch deutlich genug absetzen kann sie sich damit nicht, sagen Kritiker. Kandidaten wie Elizabeth Warren oder Bernie Sanders besetzen das Thema soziale Gerechtigkeit glaubhafter und detaillierter. 

Am umstrittensten ist wohl Harris’ Justizpolitik. Bevor die selbst ernannte „fröhliche Kriegerin“ 2017 Senatorin in Washington wurde, arbeitete sie als Staatsanwältin und Justizministerin von Kalifornien. In dieser Zeit fiel sie immer wieder mit Entscheidungen auf, die von Kritikern als autoritär und repressiv bewertet wurden. Zum Beispiel bei der harten Bestrafung von Eltern von Schulschwänzern oder bei der Kriminalisierung von Prostitution (heute fordert sie eine Dekriminalisierung). Auch in ihrem 2009 veröffentlichten Buch „Smart on Crime“ beschreibt Harris, wie wichtig starke Polizeipräsenz und strenge Rechtsvollstreckung seien. „Kamala Harris war keine ‚progressive Staatsanwältin‘“, schrieb die „New York Times“ im Januar und erklärte, dass unter ihrer Law-and-Order-Praxis vor allem People of Color gelitten hätten. Manche fühlen sich an Barack Obama erinnert, dessen progressives Image oft nicht mit seiner Realpolitik übereinstimmte. 

Zu ihrem Wahlkampfteam gehören zahlreiche ehemalige Berater Hillary Clintons. Genau wie die Kandidatin von 2016 bezieht auch Harris vergleichsweise viele Großspenden. Und genau wie Clinton positioniert sich Harris gegen Donald Trump als Kämpferin für „die Wahrheit“. Auf Twitter schrieb sie neulich: „Während unsere Staatsoberhäupter weiter lügen und unsere demokratischen Institutionen untergraben, weiß ich, dass wir es besser können.“

Für Aufsehen sorgte Harris vor zwei Jahren, als sie den damaligen Justizminister Jeff Sessions im Rechtsausschuss des Kongresses aggressiv zu möglichen Russlandkontakten verhörte. Anfang Mai dieses Jahres kam dann Sessions’ Nachfolger William Barr in Bedrängnis, als er von Harris zu einem ähnlichen Thema ausgefragt wurde. Weiße Männer sehen neben Harris manchmal ziemlich alt aus.

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Eine Erfahrung, die auch ihr Konkurrent Joe Biden bei der TV-Debatte Ende Juni machte: Harris sagte, sie glaube zwar nicht, dass Biden ein Rassist wäre – dass er sich nicht von zwei seiner ehemaligen Kollegen distanziere, die einst für die Rassentrennung eintraten, täte aber weh. Harris warf dem ehemaligen Senator und Vizepräsidenten außerdem vor, in den 70er-Jahren das sogenannte „bussing“ abgelehnt zu haben: Um gegen den Fortbestand der Rassentrennung anzukämpfen, wurden schwarze Kinder (Harris war eines von ihnen) aus ärmeren Vierteln zu Schulen gefahren, in die überwiegend weiße Kinder gingen.

Biden schaute bedröppelt, während Harris Applaus bekam. Mehrere Medien sprachen von einem „Schlüsselmoment“. Während Biden laut einer Umfrage des Instituts Morning Consult fünf Prozentpunkte verlor (aktuell: 33 Prozent), legte Harris um sechs Punkte (aktuell: 12 Prozent) zu. 

Titelbild: Melissa Lyttle/Redux/laif

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