Thema – Corona

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„Mein Vater denkt, wir sterben an der Booster-Impfung“

Was, wenn Freunde, Geschwister oder Eltern Verschwörungsmythen anhängen? Fünf Betroffene über Lügen, Selbstzweifel und die Angst, dass alles Reden nichts mehr bringt

Querdenker

„Ärzte und Impfzentren haben kein Gespür dafür, was es bedeutet, mit einem Impfgegner zu leben“

– Paula, 30, arbeitet fürs Rote Kreuz in Mainz*

Die Boosterimpfung haben wir alle heimlich gemacht, damit mein Vater nichts davon mitbekommt. Nach der ersten Impfung war noch alles okay. Mein Vater war dagegen. Hat aber noch nicht aktiv versucht, uns an der Impfung zu hindern. Mittlerweile ist er sicher, dass wir an den Impfungen sterben werden. Er setzt uns unter Druck. Er schickt uns andauernd Videos. Ich frage ihn immer wieder, wie es sein kann, dass vier Leute geimpft, aber nicht tot sind. Er sagt: Wir hatten Glück. Bei der nächsten Impfung sind wir dran.

Mein Vater glaubt, dass wir Spike-Proteine ausatmen. Die sind in seinen Augen Gift. Und dieses Gift kann auch ihn töten. Je öfter oder je frischer man geimpft ist, desto mehr Spike-Proteine sondert man angeblich ab. Am Anfang wurde er wütend und auch mal laut, weil wir ihn angeblich in Gefahr bringen. Mittlerweile ist er nur noch verzweifelt. Ich meine: Ich verstehe, dass jemand sauer ist, wenn er denkt, dass seine Familie ihn wissentlich in Gefahr bringt. Aber es stimmt ja einfach nicht.

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Sonja Marzock berät Menschen, die Familie oder Freunde an andere Realitäten verlieren. „Eine Beratung dauert 60 bis 90 Minuten“, erzählt Marzock, die jeden Tag neue Beratungsanfragen bekommt

Weihnachten war der Super-GAU. Er hat uns alle zum Gespräch gebeten. Berichte von den einschlägigen Ärzten vorgelesen. Pläne ausgegeben, wie man Ivermectin einnehmen muss. Das wird in der Corona-Leugnerszene als Medikament gegen Corona gehandelt. Am Anfang haben wir uns noch die Mühe gemacht, all seine Infos nachzurecherchieren, und versucht, ihm zu zeigen, wem er da folgt. Aber das hat nichts genützt. Man kommt nicht zu ihm durch. Mein Vater war schon immer leichtgläubig, aber mittlerweile liest er nur noch die „Bild“ und Telegram, und zwar viele, viele Stunden am Tag. Er guckt abends nicht mehr „Tagesschau“, sondern in sein Handy. An Weihnachten haben wir schließlich gemerkt: Er versucht aus tiefster Verzweiflung noch ein letztes Mal, uns zur Vernunft zu bringen. Er ist überzeugt, dass er als Einziger überleben und an unseren Gräbern stehen wird. Er leidet extrem darunter. Das hat mich mit am härtesten getroffen. Die Verzweiflung, die mein Vater empfindet, ist real. Deswegen halten wir jetzt alle weiteren Impfungen geheim.

Ärzte oder Impfzentren haben kein Gespür dafür, was es bedeutet, mit einem Impfgegner zu leben. Ich habe lange versucht herauszufinden, ob wir meine Mutter boostern lassen können, ohne dass Post nach Hause kommt. Alle haben gesagt: Es wird schon nichts kommen. Aber das ist so einfach gesagt.

Wir Kinder leben alle nicht mehr zu Hause. Meine Eltern sind seit über 40 Jahren verheiratet. Bis vor kurzem sehr glücklich. Ich weiß nicht, wie meine Mutter das zu Hause aushält. Es gibt kein anderes Thema mehr für ihn. 

Schlimm ist für mich, wenn andere sagen, dass Nichtgeimpfte nicht gegen Covid behandelt werden sollten. Ich meine, das ist doch mein Vater. Auch wenn er falsche Entscheidungen trifft, die auf falschen Informationen basieren, möchte ich, dass er behandelt wird. Es geht ja nicht nur um ihn, sondern auch um die Angehörigen, die er zurücklässt.

„Mein Bruder ist wegen des ‚Impfzwangs‘ in die Schweiz gezogen“

– Kerstin, 34, Lehrerin aus Hamburg*

Bei meinem Bruder begann es mit den zweifelhaften Links, die er teilte. Die Pandemie hatte gerade begonnen, und die meisten waren supervorsichtig und ängstlich. Mein Bruder sagte: „Das ist nur eine Grippe. Was wollen die Leute?“

Irgendwann kam ein Argument dazu, das mich sehr belastet. Ob man krank ist oder gesund, sagt mein Bruder, sei eine Frage der inneren Haltung. Er teilt die Welt in zwei Gruppen: die Starken, die sich wie er gut genug um ihre Seele kümmerten und deswegen gar nicht krank werden könnten. Und die Schwachen, die krank werden würden. Das war der Punkt, an dem wir im Gespräch nicht weitergekommen sind. Wie er damit umgehen würde, wenn ich morgen eine Krebsdiagnose bekäme, habe ich ihn gefragt. Ob ich dann auch selbst schuld wäre? Seine Antwort: Irgendwie ja. Das hat mich verletzt.

Verrückt ist auch: Mein Bruder ist Ingenieur, er hat Fahrzeugbau studiert. Eigentlich müsste er in der Lage sein, eine solide Quelle von einer nicht soliden zu unterscheiden. Stattdessen teilt er teils obskure YouTube-Videos. Dabei gibt es durchaus Argumente, die wir teilen. Auch ich kritisiere den Stress, den unsere kapitalistische Arbeitswelt erzeugt, oder die Ungleichheit unserer Gesellschaft. Aber die Schlüsse, die wir daraus ziehen, sind komplett gegensätzlich.

Demo, Corona, Jesus
Die Fotos auf dieser Seite hat das Fotografenduo Hahn&Hartung auf Querdenker- und Hygienedemos der vergangenen zwei Jahre gemacht

Ich kann mir das nur so erklären: In unserer Familie gibt es eine Historie von Zwangssymptomatiken. Zwänge können stärker werden, wenn man sich in einem Zustand der Ungewissheit wiederfindet. Meine Hypothese ist, dass die Verschwörungen seine Bewältigungsstrategie sind. Nach dem Motto: Mir kann nichts passieren, ich kann meine Gedanken steuern. 

Im Oktober ist mein Bruder mit seiner Frau in die Schweiz gezogen, um dem „Impfzwang“ in Deutschland zu entfliehen. Wir sprechen kaum noch. Ich kann ihn bei dem Thema nicht mehr erreichen, und ich finde es beängstigend, Menschen unter uns zu wissen, die der Wissenschaft und der Demokratie nicht mehr vertrauen.

„Ich sehe solche Diskussionen als meine gesellschaftliche Aufgabe“

– Jan, 32, studiert Politikwissenschaft in Osnabrück*

Wir sind seit 15 Jahren befreundet. Wir spielen zusammen in einer Band. Er hat schon früher Dinge gesagt, an die ich nicht glaube. Dass die Pyramiden nicht von Menschen erbaut worden seien, sondern von Aliens. Fand ich schräg, aber eher unterhaltsam. Wie ein Witz auf einer Party. Wie stark sich unsere Weltbilder unterscheiden, wurde erst mit Anfang der Pandemie deutlich. Plötzlich stößt man gegen eine Wand. Die Gespräche mit meinem Kumpel sind heute sehr aufreibend.

Als Politikwissenschaftler bin ich bemüht, immer auch die andere Seite zu hören. Also habe ich mich auf seine Thesen eingelassen, versucht zu verstehen, woher er seine Infos hat, und mir viele Videos angeguckt. Erst dabei habe ich verstanden, wie tief er seit Jahren in diesem Verschwörungsuniversum unterwegs ist. Jetzt stehen wir uns in dieser krassen Opposition gegenüber. Er ist nicht geimpft. Aus Kritik an der Pharmaindustrie und zum anderen, weil er wohl denkt, die Impfung sei unnötig.

Ich verstehe jetzt besser, wie Verschwörungsmythen funktionieren. Viele bauen auf einem realen Ereignis auf, an dem es zum Teil berechtigte Kritik gibt. Das ist also nicht komplett unlogisch. Aber die Schlüsse, die man dann daraus zieht, sind vollkommen andere. Diese Irrtümer aufzuarbeiten ist wahnsinnig zeitaufwendig und anstrengend. Ich sehe das aber als meine gesellschaftliche Aufgabe. Zum einen, weil er mein Freund ist. Zum anderen, weil ich es immer kritisch sehe, wenn man das politische Gegenüber nicht ernst nimmt oder entmenschlicht. Ich gucke mir also die verschiedenen Kanäle an und bin in verschiedenen Telegram-Gruppen, um die Szene zu beobachten. Ich muss das gut dosieren, sonst saugt es mich aus.

Ich merke, dass es meinem Freund nicht gut geht. Mit seiner Meinung im Freundeskreis allein dazustehen ist nicht einfach. Neulich habe ich ihm klar gesagt, dass die Szene für mich sektenähnliche Züge hat. Daraufhin hat er sich wohl Videos noch mal angesehen und meinte, dass ich nicht ganz unrecht habe. Ich merke also schon, dass ich ihn noch erreiche, dass sein Glaube vielleicht doch ab und an bröckelt. Das liegt aber auch daran, dass ich die Infos, die er mir gibt, grundsätzlich erst mal ernst nehme, um sie dann zu analysieren.

Demo, Corona

„Meine Familie denkt, sie müsste sich gegen den Staat auflehnen“

– Marlen, 23, studiert Psychologie in Leipzig

Bei meiner Mutter hat es damit angefangen, dass ihre Kollegin im Friseursalon Corona geleugnet hat. Die hatte von Anfang an gefälschte Testnachweise. In der Stadt, in der meine Eltern leben, gibt es Mediziner, die ohne Weiteres Zertifikate fälschen. Meine Mutter hat das hingenommen. Sie hat nur diese eine Mitarbeiterin. Und ihre Kundinnen kommen regelmäßig mit gefälschten Testzertifikaten. Hätte meine Mutter die Covid-Regelungen im Salon umgesetzt, der Laden hätte wohl längst schließen müssen.

Zu Beginn der Pandemie habe ich wirklich schlimme Diskussionen mit ihr geführt. Gebracht hat das nichts. Meine Mutter interessiert sich nicht für Fakten, und ich bin die abgehobene Akademikerin. Es ist nicht mal so, dass sie besonders ausgefeilten Verschwörungsmythen anhängt. Sie glaubt einfach nicht an Corona. Sie hat sich sogar mit Covid infiziert und war zwei Wochen krank zu Hause, hat aber weiterhin behauptet, dass sie es nicht habe.

Ihre Weigerung, sich impfen zu lassen, ging so lange, bis wir gemeinsam in Österreich waren. Dass sie keine Impfung nachweisen konnte, war ihr so peinlich, dass sie sich hat impfen lassen. Aber auch nur, weil ich die Termine gemacht habe. Sie ist ja in Opposition zum Staat. 

Mein Vater hat sogar Long Covid. Er ist mittlerweile auch geimpft, glaubt aber trotzdem nicht an das Virus oder dass eine Impfung dagegen hilft. Er sagt, er hatte eine schwere Grippe. 

Weder meine Mutter noch mein Vater erzählen von ihrer Impfung. Sie wären sonst bei vielen unten durch. Ich glaube, das hat auch mit der DDR-Vergangenheit zu tun. Meine Familie denkt, sie müsse sich gegen den Staat auflehnen. Wenn alles andersherum wäre und es keine Impfstoffe gäbe, würden sie deshalb durchdrehen.

„Mein Vater hat schon lange vor Corona an Verschwörungen geglaubt“

–Vincent, 40, Drehbuchautor aus Hamburg

Mein Vater hat schon 2001 an Verschwörungsmythen zum 11. September geglaubt. Seit meine Eltern in Rente sind, wird ihr Verschwörungsglaube immer schlimmer.

Ich fürchte, losgetreten habe ich das Thema. Während meines Soziologiestudiums war ich viel zu Hause, habe meinem Vater immer wieder aus dem Studium erzählt. So hat er erst angefangen, Dinge zu hinterfragen, glaube ich. Mein Bruder und ich waren es auch, die ihn überzeugt haben, dass er Internet braucht, wenn er erst mal Rentner ist. So fing er an, sich Themen „selbst zu erarbeiten“. Er hat immer mehr Zeit auf YouTube verbracht. Der klassische Weg. Ich habe ihm erklärt, dass er nicht alles glauben soll und dass er Quellen unterscheiden lernen muss. Meine Versuche haben nichts gebracht. 
 

Demo, Corona

Sicher sind die auch mit seinem Stolz kollidiert: Ich bin der Erste in der Familie, der studiert hat. Mein Vater wollte nicht bevormundet werden. So als würde ich ihm Intelligenz absprechen. Ab da kam ich gar nicht mehr an ihn ran. 

Als Corona kam, war mir klar, dass er alles mitnimmt. Er ist der festen Überzeugung, man könne keinen offiziellen Informationen trauen. Alle, die irgendwie Entscheidungsgewalt haben, würden lügen. Er bezeichnet sich selbst als Querdenker. Er wollte unbedingt zu Telegram, um dort entsprechenden Gruppen beizutreten und mitzuorganisieren. An dem Punkt habe ich meinen Eltern gesagt, dass ich nicht mehr nach Hause komme. Im Sommer 2020 habe ich sie das letzte Mal besucht. 

Meine Mutter sitzt zwischen den Stühlen. Auf der einen Seite ist sie komplett von meinem Vater beeinflusst. Sie will nicht mit ihm streiten und ist schlecht informiert, weil er sagt: Wir gucken keine Nachrichten mehr. Auf der anderen Seite hat sie unglaubliche Angst vor Corona. Sie hofft sogar, dass die Impfpflicht kommt. Dann muss sie sich nicht selbst entscheiden.

* Name auf Wunsch geändert

Fotos: Hahn&Hartung 

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