Manchmal scheint es, als würde der rote Punkt auf Vandana Shivas Stirn eine magische Anziehungskraft entwickeln, auf ihre zahlreichen Fans ebenso wie auf ihre vielen Kritiker. Die einen sehen im traditionellen Bindi der indischen Aktivistin und Wissenschaftlerin ein Symbol für ihren heroischen Kampf gegen globale Industriekonzerne, Gentechnik und eine davon dominierte Agrarwelt. Ihre Kritiker hingegen weisen darauf hin, dass Shivas Bindi größer ist, als ihn die meisten Frauen in Indien je tragen würden. Er sei typisch für ihre Eitelkeit und den krampfhaften Widerstand gegen den Fortschritt, der mehr mit Glauben als mit seriöser Wissenschaft zu tun habe.

Fast genauso einschneidend wie die Unabhängigkeit von Großbritannien und die Trennung von Pakistan war für Indien die sogenannte Grüne Revolution. Die Briten hatten die Ressourcen des Landes geplündert. Allein während der bengalischen Hungersnot 1943 starben schätzungsweise 1,5 bis 4 Millionen Menschen. Eine Reihe von landwirtschaftlichen Innovationen, wie zum Beispiel der Stickstoffdünger, machte das angebaute Getreide robuster und ertragreicher. Noch 1966 importierte Indien eine Million Tonnen Getreide. Heute produziert das Land mehr als 250 Millionen Tonnen und ist ein bedeutender Weizenexporteur. So, argumentieren viele, hätte Indien den Hunger besiegt.

Vandana Shiva kämpft gegen Gentechnik

Vandana Shiva wurde 1952 am Fuße des Himalaya-Gebirges in eine wohlhabende Familie der obersten Brahmanen-Kaste hineingeboren. Sie studierte Quantenphysik und arbeitete an einem experimentellen Kernreaktor, bis sie sich mit den Gefahren der radioaktiven Strahlung befasste und sich davon abwandte. Immer weiter forschte sie an der Schnittstelle von Technik, Umwelt und Politik, und immer wütender wurde ihr Kampf gegen die „Grüne Revolution“. Denn die habe das traditionelle Leben in Indien zerstört, sagt Shiva. Vorher habe man eine organische Agrarpolitik betrieben, welche die Selbstbestimmtheit der Bauern gefördert und sie obendrein keinen Gesundheitsgefahren ausgesetzte. Tatsächlich haben die vielen künstlichen Düngemittel und Pestizide im Umlauf des Systems seit den 1960er-Jahren viele Seen und Flüsse so verunreinigt, dass große Teile des fruchtbarsten Bodens zerstört wurden.

Aber der Bedarf an Agrarprodukten wächst stetig – in Indien und in der Welt. Experten wie der indische Agrarwissenschaftler M. S. Swaminathan rufen deswegen zur „Immergrünen Revolution“ auf, die mit Hilfe der Gentechnik auch die Umwelt schützt. Ein Beispiel ist die Bt-Baumwolle, die in Indien schon mehrere Millionen Bauern anbauen und auch in Ländern Südamerikas und Afrikas verbreitet ist. Indem die DNA eines Bakteriums in die Baumwollsaat eingeschleust wird, produziert die Pflanze ihr eigenes Insektengift und macht umweltschädigende künstliche Pflanzenschutzmittel unnötig.

...und erhält dafür nicht nur Beifall

Für Shiva ist es kein Zufall, dass die Pionierarbeit ausgerechnet bei Baumwolle gemacht wird. Es gehe bei der Gentechnik nicht um den Hunger der indischen Bauern, sondern um die Industrie des Westens. Die hohen Patentkosten für die modifizierten Samen, die von Großkonzernen hergestellt werden, würden arme Bauern vom Markt und oft gar in den Suizid drängen. Pollen von gentechnisch veränderten Pflanzen, die in die freie Wildbahn treiben, könnten das Ökosystem für immer verändern.

Vor allem im Westen wird Vandana Shiva für ihre Arbeit verehrt, neben zahlreichen anderen Preisen erhielt sie 1993 den Right Livelihood Award – inoffiziell auch „alternativer Nobelpreis“ genannt. Allerdings haben viele Studien ihre Thesen widerlegt, wie der US-amerikanische Journalist Michael Specter 2014 in einem aufwendig recherchierten Artikel für den „New Yorker“ darlegte (Vandana Shiva dementierte große Teile des Textes). Während das US-amerikanische Magazin „Time“ sie bereits 2002 als „Heldin des Grünen Jahrhunderts“ auszeichnete, erhielt sie daraufhin vom indischen „Liberty Institute“ den „Bullshit-Preis für die Erhaltung der Armut“.

Titelbild: Bernd Jonkmanns/laif